Europawahl: Krahwall und Remmidemmi: Die Vorgeschichte zum Streit zwischen AfD und Marine Le Pen
Das französische Rassemblement National hat die Zusammenarbeit mit der AfD aufgekündigt. Anlass ist, wer sonst, Maximilian Krah. Doch die Ursachen reichen tiefer.
Die deutsch-französische Freundschaft zwischen der AfD und den Rechtsnationalen vom Rassemblement National (RN) litt schon seit Längerem. Nun scheint sie vorerst zerbrochen zu sein.
Das RN habe entschieden, im Europaparlament nicht mehr mit der AfD in einer Fraktion sitzen zu wollen, hieß aus dem Wahlkampfteam von Jordan Bardella. Der 28-Jährige ist Vorsitzender der Partei und ihr Spitzenkandidat für die EU-Wahl. Er ist das Gesicht des neuen, von Marine Le Pen seit Jahren entwickelten Rechtextremismus light.
Wie französische Medien berichteten, hätten "jüngste Äußerungen der AfD" zum Bruch geführt. Und es gehe, mal wieder, um Maximilian Krah.
Was war jetzt schon wieder passiert? Der EU-Spitzenkandidat der AfD hatte erneut seine exklusiven Ansichten über den Nationalsozialismus mitgeteilt. "Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war", sagte er der italienischen Zeitung "La Repubblica". Nicht alle Mitglieder der Schutzsaffel der NSDAP seien kriminell gewesen.
Nun ist diese Auslassung keineswegs neu, sondern reiht sich nahtlos in frühere Relativierungsübungen von Krah ein. Dennoch nutzen Le Pen und Bardella den Tabubruch, um sich im Europawahlkampf endgültig von der AfD loszusagen und abzugrenzen.
Der strategische Konflikt von RN und AfD
Doch warum? Zumindest ideologisch existieren zwischen beiden Parteien nur minimale Differenzen. Sowohl das Rassemblement National als auch die AfD vertreten extrem nationalistische, fremdenfeindliche sowie autoritäre Positionen und kämpfen gemeinsam gegen die europäische Integration.
Der Konflikt ist dementsprechend kaum inhaltlich begründet. Er hat vor allem strategische Ursachen, auf mindestens drei Ebenen.
Erstens wird in radikalen Bewegungen stets um die Frage gekämpft, ob die etablierten Machtverhältnisse mit revolutionären Methoden oder doch lieber mittels Reformen überwunden werden soll. In der AfD standen frühere Vorsitzende wie Bernd Lucke oder Jörg Meuthen für einen moderateren Ansatz, während die Extremisten um Björn Höcke den fundamentalistischen Widerstand propagierten. Dieser Flügel, zu dem auch Krah gehört, hat sich in den vergangenen Jahren in der Partei durchgesetzt.
Marine Le Pen hingegen geht schon lange den umgekehrten Weg. Sie sagte sich von ihrem rechtsextremistischen und rassistischen Vater los, trennte sich von dem Kampfnamen "Front" und trat gemäßigter auf.
Dies hat mit der zweiten Begründungsebene zu tun. Frankreichs ist zentral organisiert. Präsidialsystem und Mehrheitswahlrecht führen dazu, dass eine politische Kraft erst die politische Hegemonie im gesamten Land erlangen muss, um wirklich gestalten zu können.
Deshalb nützte es Le Pen wenig, dass sie etwa bereits 2014 ein Viertel der französischen EU-Mandate gewann, zuletzt 2022 eine große Fraktion in die Nationalversammlung schicken konnte und mehr als 40 Prozent bei der Präsidentschaftswahl gewann. Sie muss in den Élysée-Palast einziehen, um tatsächlich herrschen zu können. Das ist ihr Lebensziel, das sie 2027 erreichen will.
Unterschiedliche Systeme – unterschiedliche Strategien
Im föderal regierten Deutschland und seinem personalisierten Verhältniswahlrecht ist der Weg zur Macht gewöhnlich leichter: vom Einzug in die Länderparlamente über Tolerierung oder Koalition und die Wahl von Ministerpräsidenten bis hin zur Regierungsbeteiligung im Bund und schließlich zu Kanzlerschaft. Während die Linken am Ende im Bundestag aufliefen, gingen die Grünen fast die komplette Strecke – und auch die AfD verfolgt trotz ihrer Isolation unbeirrt diesen Kurs. Sie will 2024 in den ostdeutschen Ländern und 2025 im Bund derart stark werden, dass danach die sogenannte Brandmauer Stein um Stein fällt.
Le Pens RN jedoch befindet sich in einer völlig anderen Situation, zumal noch eine dritte Ebene hinzukommt: Die frühere Kolonialmacht Frankreich ist ein klassisches Einwanderungsland, ohne Migranten und deren Nachfahren kann hier keine Partei bei Wahlen eine Mehrheit gewinnen. Darüber hinaus begründet sich ein Teil des französischen Nationalstolzes auf der Geschichte der Résistance gegen Hitlerdeutschland – und auf der Abgrenzung zum Nationalsozialismus.
Deshalb sind Forderungen aus der AfD nach einer millionenfache "Remigration" angeblich illegaler Flüchtlinge toxisch für Le Pen. Und deshalb ist die Relativierung von NS-Verbrechen, wie sie Krah systematisch betreibt, eine Provokation für ihre Partei.
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Der Ärger mit dem RN lässt in der AfD die Nervosität weiter wachsen. Für die Partei häufen sich vor der Europawahl am 9. Juni die schlechten Nachrichten: erst die gerichtlich bestätigte Überwachung durch den Verfassungsschutz, dann die China-Spionageaffäre um einen Mitarbeiter von Krah, zudem die Korruptionsermittlungen gegen den auf Platz 2 der EU-Liste gesetzten Petr Bystron, das Urteil gegen Björn Höcke und jetzt auch noch der offene Zwist mit dem wichtigsten europäischen Partner.
Warnung vor "Melonisierung" der AfD
Obwohl sich die AfD in bewährter Manier als Opfer staatlicher und medialer Verfolgung geriert, gibt es einzelne differenzierte Stimmen. Der Europaabgeordnete Gunnar Beck mahnte am Mittwoch Schadenbegrenzung an. Es sei nun "vordringlich", dass die Partei "die nötigen Schlüsse" ziehe, "um weiterem Störfeuer Einhalt zu gebieten und dem Europawahlkampf trotz der Kampagne gegen die AfD eine klare und sachorientierte Richtung zu geben“, sagte er dem stern. "Ich bin zuversichtlich, dass die Parteispitze sich dessen und des Wertes einer weiteren Zusammenarbeit bewusst ist."
Doch selbst wenn: Ebenso wie im Februar, als Weidel in Paris vergeblich bei Le Pen um Milde bat, zeugt auch die aktuelle Reaktion der AfD-Spitze von Hilflosigkeit. Dass Krah jetzt aus dem Bundesvorstand zurücktreten musste und ein Wahlkampfverbot erhielt, ändert wenig an dem grundsätzlichen Zielkonflikt beider Parteien.
So sieht es offenkundig auch Benedikt Kaiser, Autor, Agitator der sogenannten Neuen Rechten und Angestellter der AfD-Bundestagsfraktion. Le Pen glaube womöglich, die italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kopieren zu müssen, schrieb er auf X (früher Twitter). Eine "forcierte Melonisierung" solle ihr zur Präsidentschaft in Frankreich verhelfen.
Doch das Ergebnis dieser Strategie, schreibt Kaiser, wäre ein "opportunistischer Mitte-Schwenk". In diesem Fall dürfe die AfD keinesfalls dem RN folgen: "Da kann man gleich die Union stärker machen; kommt aufs selbe raus." Sieht ganz so aus, als seien nicht alle in der AfD traurig über den Bruch mit den vormaligen Freunden aus Frankreich.