Der mit dem Wolf tanzt: Die Legende Luka Modrić bleibt
Den kroatischen Filmemacher Pavle Balenović faszinierten seit frühester Kindheit die Natur und die wilden Tiere, speziell Wölfe. Auf diversen Reisen hat er sich viel Erfahrung und Wissen aneignen können, traf sich mit Leuten, die aus Regionen mit Wölfen herkamen. So machte es sich im Jahr 1990 in die kroatische Gebirgslandschaft Velebit, um dort einen Dokumentarfilm über die wilden Tiere zu drehen. Dabei freundete er sich mit einem Bauern an und durfte dessen Sohn begleiten und aufnehmen, wie er ihre Ziegenherde zusammentrieb und einpferchte, und dabei von Wölfen beobachtet wird. Die Dokumentation verkaufte Balenović später der BBC. Und der fünfjährige Ziegenhirte von damals, der sich durch die Gebirgswelt pflügte und nicht einmal vor Wölfen halt machte, ist kein geringerer als: Luka Modrić.
Als der Mittelfeldspieler im Sommer 2012 bei Real Madrid vorgestellt wurde, hätten sich selbst die größten Optimisten kaum ausmalen können, welch eine einzigartige Erfolgsgeschichte Modrić und sein neuer Verein in den folgenden zwölf Jahren gemeinsam schreiben würden. Die Hürden, die Luka Modrić selbst auf dem Weg nach ganz oben meistern musste, machen seine Geschichte einzigartig und teilweise schier unglaublich.
Ein Bauer aus dem kroatischen Dorf Zaton Obrovački, im kargen dalmatinischen Hinterland gelegen, wurde im Herbst 1991 als eines von zahllosen zivilen Opfern des Jugoslawien-Krieges grund- und sinnlos ermordet. Er hieß Luka Modrić. Sein am 9. September 1985 geborener und nach ihm benannter Enkelsohn wurde anschließend mit seinen Eltern vertrieben und lebte fortan unter widrigsten Umständen in völlig überfüllten Flüchtlingsunterkünften in der Küstenstadt Zadar. Ablenkung vom tristen Alltag fand der kleine Luka auf der Straße, genauer auf einem alten Parkplatz, auf dem Flüchtlingskinder jeden Tag Fußball spielten. Modrić hatte es auch dort schwer. Er hatte zuvor nie Fußball gespielt, dazu kam noch seine Körpergröße – damals schon war er der Kleinste auf dem Platz. Die Art und Weise, wie er vom ersten Tag an mit dem Ball umging, wie mühelos er schwierige Situationen meisterte, lösten aber schnell Staunen und Anerkennung aus. „Luka konnte auf Beton grätschen und jedes Mal ohne Schürfwunden aufstehen“, erkannte Modrićs Grundschul-Sportlehrer auf Anhieb das außergewöhnliche Talent.
Das kam dann auch in der Jugend des NK Zadar zum Vorschein, wo der Ausnahmekönner ab 1995 seine ersten richtigen fußballerischen Schritte machte, ehe ihn Scouts des erfolgreichsten Vereins Kroatiens, Dinamo Zagreb, entdeckten und in die Nachwuchsabteilung des Hauptstadtklubs holten. Bereits mit 16 bekam Modrić seinen ersten Profivertrag, um dann mit 18 per Leihe in der bosnisch-herzegowinischen Liga – seinerzeit eine der brutalsten in Europa – bei Zrinjski Mostar zu landen. Es wurde die Reifeprüfung für Größeres und dort kreierte er auch sein neues Bewusstsein: „Wer sich in Bosnien durchsetzt, schafft es überall auf der Welt.“ Und Modrić wusste sich durchzusetzen: Bereits mit 18 Jahren wurde er als bester Spieler der bosnischen Liga ausgezeichnet. Anschließend wurde er in Zagreb zum Stammspieler, gewann dreimal die Meisterschaft und zweimal den Pokal, ehe er auch in seinem Heimatland 2008 zum besten Spieler der Liga gekürt wurde. Nach 68 Einsätzen für Dinamo sollte der nächste Schritt folgen: der Wechsel nach England zu Tottenham Hotspur, wo er zum internationalen Star reifte.
Auf dem Weg von der kargen Gebirgslandschaft über den Betonplatz bis in den Olymp waren in erster Linie jene Eigenschaften entscheidend, die Luka Modrić noch bis heute als Sportler und Persönlichkeit auszeichnen: Wille, Arbeitsethos, Durchsetzungsvermögen, Teamgeist, Gemeinschaftssinn und eine wohltuend ungezwungene Bescheidenheit. Diese Attribute sind es, die aus ihm eine der größten Legenden in der Geschichte des größten und erfolgreichsten Fußballvereins der Welt gemacht haben. Nachdem er zum vierten Mal – und dritten in Folge – mit Real die Champions League gewann und anschließend die kroatische Nationalmannschaft als Kapitän sensationell ins WM-Finale führte, wo er als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet wurde, schien Luka Modrić im Alter von 32 Jahren den Zenit seiner Karriere erreicht zu haben. Nur wenige Wochen später erhielt er noch den Ballon d’Or als Weltfußballer des Jahres 2018.
Was sollte ein 32-Jähriger danach noch erreichen, fragten sich damals viele Beobachter. Umso mehr wuchs die Skepsis um Modrićs Zukunft, als im Sommer 2018 nach den Abgängen von Cristiano Ronaldo und Erfolgstrainer Zinédine Zidane das Ende einer ganzen Ära vermutet wurde. Was seitdem aber passiert ist, straft nicht nur alle Skeptiker lügen, sondern ist schier unfassbar: Die Blancos holten zwei weitere CL-Titel, drei Meisterschaften und diverse weitere Trophäen. Eine der wichtigsten Säulen, eine Schlüsselfigur dabei: Luka Modrić. Der fast 39-Jährige spielte in den drei Jahren nach all den erwähnten Erfolgen zuvor wohl den besten Fußball seines Lebens. Naturgesetze schienen bei ihm außer Kraft, die magischen Momente nahmen mit der Zeit sogar zu. Auch in der letzten Saison kämpfte sich der kleine Magier eindrucksvoll zurück, nachdem er anfangs kaum Spielzeit bekam, und hatte in der entscheidenden Phase erheblichen Anteil an einer historischen Spielzeit, in der er zudem auch als Mentor für die jungen Wilden wie Arda Güler glänzte. Er ist immer noch in vielerlei Hinsichtr immens wichtig für Real Madrid.
Neben den erstaunlichen sportlichen Leistungen sind es jedoch vor allem auch andere Aspekte, die „Lukita“ mittlerweile zu einer absoluten Ikone der Königlichen machen. Während mehrere Stars nach all den den Erfolgen entweder zu satt erschienen oder ihr Ego über den Verein stellten, sich teils unrühmlich verabschiedet respektive ins Abseits gestellt haben, ist der Kroate sich und seinen Prinzipien treu geblieben. Wie vor genau zwölf Jahren ist er glücklich und dankbar, „beim größten und besten Verein der Welt zu spielen“, wie er regelmäßig betont. Vertragsverhandlungen zwischen Real Madrid und Modrić verlaufen seit Jahren nach dem gleichen Muster – geräuschlos und zu aller Zufriedenheit. Der neue Kontrakt für die Spielzeit 2024/25 ist nicht mal offiziell bestätigt wurden, sondern einfach im Hintergrund geschehen – Lukita bleibt, weil er seine Karriere in Madrid beenden will.
Nie stellte er das Vereinsprinzip in Frage, nach dem Spieler ab einem bestimmten Alter nur Einjahresverträge bekommen. Gehaltseinbußen sind ebensowenig je ein Störfaktor gewesen. Der Magier aus Kroatien betont vielmehr regelmäßig, wie wichtig es ihm sei, seine Karriere in Madrid zu beenden. Die gleiche Dankbarkeit, ja beinahe Demut, die er all die Jahre dem Verein und dem Mythos entgegenbringt, zeugt von echter Authentizität und wahrer Verbundenheit. Diese einzigartige Erscheinung ist mittlerweile zu einer der Identifikationsfiguren des Madridismo geworden. Parallel dazu entwickelte sich Modrić auch zu einem dieser Ausnahmesportler und -persönlichkeiten, denen vereinsübergreifend und über alle Grenzen hinweg Bewunderung, Respekt und Dankbarkeit entgegengebracht werden. Seit über einem Jahr wird er bei Auswechslungen in Auswärtsspielen von heimischen Fans regelmäßig mit Ovationen verabschiedet – Szenen, die absolut außergewöhnlich sind und nur ganz wenigen Großen zuteil werden.
Es ist Luka Modrić, Real Madrid und der ganzen Fußballwelt zu wünschen, dass der Kroate nach seiner unbestätigten Verlängerung in 2024/25 nochmal aufzaubern kann und gesund bleibt. Diese einmalige Karriere verdient es, mindestens noch ein Jahr weiterzugehen und Modrić verdient es, als der erfolgreichste Spieler in der langen und glorreichen Historie Reals Madrids abzutreten. Außerdem braucht Arda Güler den Altmeister mindestens noch eine Saison als Mentor. Die Legende vom kleinen Zauberer, dem seine Mitspieler wie die Ziegen vor fast 35 Jahren folgen und der trotz seiner zarten Gestalt mit seiner Geschicklichkeit Attacken der Gegenspieler wie damals die der Wölfe unterbindet, wird bleiben – für immer.
Der Beitrag Der mit dem Wolf tanzt: Die Legende Luka Modrić bleibt erschien zuerst auf REAL TOTAL.