Kirche: Bericht: Ex-Bischof hat unangemessen auf Missbrauch reagiert
Wenn die Pfarrei zum Tatort wird: Historiker untersuchen den sexuellen Missbrauch im Bistum Trier seit 1946. Nun nehmen sie die Amtszeit des früheren Bischofs Spital in den Blick. Was wusste er?
Der frühere Bischof Hermann Josef Spital hat in den 80er und 90er Jahren nach Ansicht von Historikern unangemessen und mit milden Mitteln auf sexuellen Missbrauch im Bistum Trier reagiert. Spital sei Anzeigen von sexuellem Missbrauch zwar nachgegangen, seine Lösungen seien aber "völlig unangemessen" und getragen von pastoralem Vertrauen gewesen, heißt es in einem Bericht der Universität Trier.
Spital war von 1981 bis 2001 in Trier im Amt. Währenddessen waren demnach mindestens 194 Menschen von sexuellen Übergriffen durch Kleriker und Amtspersonen des Bistums betroffen. Die meisten Kinder und Jugendlichen waren männlich, rund 22 Prozent waren Mädchen oder junge Frauen. Die Historikerin und der Historiker identifizierten zudem 49 Beschuldigte und Täter in diesem Zeitraum. 20 dieser Beschuldigten seien den Verantwortlichen innerhalb des Bistums bekannt gewesen, die anderen 29 seien erst nach 2010 bekanntgeworden.
Insgesamt 711 Opfer dokumentiert
Der Bericht basiert auf der Auswertung von mehr als 1000 Akten und 20 Gesprächen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Es handelt sich um den zweiten Zwischenbericht einer historischen Studie, die sexuellen Missbrauch durch Kleriker und Laien im Bistum Trier von 1946 bis 2021 wissenschaftlich aufarbeitet. Insgesamt dokumentierten die Trierer Historiker für den Zeitraum von 1946 bis 2021 bislang Taten mit 711 Opfern und 234 Beschuldigten.
Ende 2022 ging es in einem ersten Bericht der Historiker um die Amtszeit des ehemaligen Bischofs Bernhard Stein (1967-1980). Dieser war demnach "Teil des Systems" gewesen, das Missbrauchstäter gedeckt und geschützt hatte. Zum Bistum Trier gehören knapp 1,2 Millionen Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier teilte mit, der Bericht bestätige und vertiefe ihre bisherigen Erkenntnisse. "Das Handeln der Verantwortlichen des Bistums war auch in der Ära Spital im Wesentlichen dadurch geprägt, das Wohl und die Akzeptanz der Kirche zu schützen – es ging wohl auch um die Erhaltung von gesellschaftlichem Status und Anerkennung des Klerus."
Schwere Folgen für Betroffene
"Ein Teil der Betroffenen ist durch den sexuellen Missbrauch traumatisiert worden", heißt es in dem aktuellen Bericht. In der Gesellschaft der 80er und 90er Jahre habe es nur wenig Verständnis für die Folgen von sexuellem Missbrauch für die Psyche und Physis von Kindern und Jugendlichen gegeben. "Sakristeien, Pfarrhäuser, Wohnungen von Kaplänen und Pfarrern, Hotelzimmer bei Jugendfreizeiten wurden für sie zu Tatorten und die meisten verloren dort auch ihr Vertrauen in kirchliche Autoritäten", hieß es.
Viele der Betroffenen hätten sich erst im mittleren oder späteren Erwachsenenalter als Opfer von Missbrauchstaten selbst erkannt und anderen anvertraut. Sie seien in ihrem weiteren Leben auf therapeutische Hilfe angewiesen, schrieben die Autorin und der Autor. "Besondere Belastungen bis hin zu lebenslangen Schädigungen erlitten Kinder und Jugendliche, die über längere Zeit durch Priester missbraucht worden sind und die von den Tätern gezielt und erfolgreich psychisch abhängig gemacht worden sind."
Spital persönlich stärker involviert
Im Vergleich zur Amtszeit seines Vorgängers sei die Zahl der Fälle in der zweiten Amtszeit des Bischofs Spital gesunken, hieß es. In der Amtszeit von Spital habe es eine kleinere Gruppe von Mehrfach- bzw. Intensivtätern gegeben, die "besonders viele Betroffene missbraucht haben und die dies über längere Zeit ihres Berufslebens taten und häufig auch die betroffenen Minderjährigen über Jahre missbrauchten", heißt es im Bericht. "Entsprechend große moralische Schuld lastet auf ihnen." So habe es in dieser Zeit 14 Bistums- und Ordensgeistliche gegeben, die für den Missbrauch von mindestens 148 Menschen verantwortlich seien.
Spital sei nicht unbedingt besser informiert, allerdings persönlich stärker involviert gewesen als sein Vorgänger Stein. Er habe von mindestens 13 der 20 damals bekannten Missbrauchsfälle gewusst.
Schutz der Kirchenreputation
Konsequenzen gab es zwar intern, nach außen aber weniger. Am häufigsten seien die Beschuldigten versetzt oder an andere Bistümer vermittelt worden. "Dieses Mittel war erfolgreich als Schutz der Kirchenreputation, aber in den allermeisten Fällen wirkungslos als Schutz weiterer Betroffener", heißt es im Bericht. Weihbischof Leo Schwarz war demnach mindestens bei neun Fällen involviert. "Vor allem persönliche Verbindungen zu beschuldigten Priestern scheinen seine Urteilsfähigkeit getrübt zu haben." Er habe das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und dessen Folgen unterschätzt.
Spital habe sexuellen Missbrauch nicht aktiv vertuscht, aber zurückhaltend agiert. Er sei geneigt gewesen, Konflikten und Strafverfahren aus dem Weg zu gehen und habe auf die Expertise von Psychologen vertraut. "Während für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, so wurde die moralische Pflicht zu Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt", schreiben die Autorin und der Autor. Und: "Die Zeit der Verschwiegenheit und der Vertuschung war noch längst nicht vorbei."
Ackermann: Missbrauch sei begünstigt worden
Das Forschungsprojekt an der Uni Trier war von der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier initiiert worden. Für die historische Studie, die noch bis Ende 2025 läuft, sollen noch die Amtszeiten des früheren Trierer Bischofs Reinhard Marx und des derzeitigen Bischofs Stephan Ackermann untersucht werden. Die Berichte sollen vor allem in den Blick nehmen, wie Verantwortliche des Bistums mit bekanntgewordenen Fällen von Missbrauch umgegangen sind.
Ackermann schrieb in einer Stellungnahme, der Bericht zeige, "wie Kirchenbilder, Rollenverständnisse und Machtstrukturen in der katholischen Kirche Missbrauch begünstigt sowie Aufklärung und Ahndung verhindert haben". Das habe zugleich einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen unmöglich gemacht. Er wolle sich dafür einsetzen, dass die Kirche einen sicheren Raum darstelle.