Die Ökonomin Monika Schnitzer ist skeptisch, dass das Paket der Ampel für mehr Wirtschaftswachstum viel bringen wird. Was stattdessen nötig wäre – und was sich bei der Rente tun müsste. Deutschlands Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Nach einem Minus im vergangenen Jahr erwarten Experten für dieses Jahr nur ein Mini-Plus für die Wirtschaftsleistung. Um das zu ändern, will die Ampel nun ein großes Wachstumspaket auf den Weg bringen, inklusive Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und schärferen Sanktionen für Bürgergeldempfänger. Doch reicht das aus? Monika Schnitzer, Vorsitzende im Rat der fünf Wirtschaftsweisen, ist skeptisch. Im Interview mit t-online erklärt sie, warum die Regierung besser mehr Schulden machen sollte, wieso das Ehegattensplitting reformiert werden muss und warum die Deutschen länger arbeiten sollten. t-online: Frau Schnitzer, die Ampelregierung hat neben dem Haushalt für 2025 auch ein Paket für mehr Wachstum präsentiert. Wird jetzt endlich alles gut für die lahmende deutsche Wirtschaft? Monika Schnitzer: Nein, aber das wäre auch zu viel erwartet. Es ist gut, dass sich die Ampel überhaupt auf einen Etat geeinigt hat, denn schon daran gab es ja Zweifel. Von dem Wachstumspaket wird allerdings kaum ein allzu großer Impuls für die Wirtschaft ausgehen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist da zuversichtlicher, er erwartet fürs nächste Jahr ein Konjunkturplus von 0,5 Prozent, wenn alle 49 Maßnahmen umgesetzt werden. Warum teilen Sie seinen Optimismus nicht? Viele der Maßnahmen gehen in die richtige Richtung. Der Bürokratieabbau etwa wird den Unternehmen helfen, bessere Abschreibungsmöglichkeiten sicherlich auch. Aber kurzfristig 0,5 Prozent mehr Wachstum werden all diese Maßnahmen kaum bringen können, das ist wenig realistisch. Dafür ist der finanzielle Umfang der Entlastungen für die Unternehmen zu gering. Das heißt, es hätte noch mehr Steuererleichterungen gebraucht, wie es auch die Unternehmen fordern? Größere Steuerdiskussionen können wir uns angesichts der so angespannten Haushaltslage wohl kaum leisten. Allerdings gäbe es andere Möglichkeiten, wie wir die Wirtschaft stimulieren und gleichzeitig unsere Infrastruktur auf Vordermann bringen können. Sie meinen mehr Staatschulden, Geld für Investitionen, etwa fürs Sanieren maroder Brücken, Schienen, Autobahnen. Richtig. Der Staat muss weit mehr investieren, in die Verteidigung, aber auch in die Infrastruktur. Das wird nur über mehr Kredite gehen, die das enge Korsett der Schuldenbremse derzeit nicht zulassen. Als Sachverständigenrat haben wir Anfang des Jahres Vorschläge gemacht, wie sich die Schuldenbremse reformieren lässt. Konkret sollten wir die Schuldenbremse abhängig von der Staatsschuldenquote lockern und bei unter 60 Prozent eine Nettokreditaufnahme von jährlich 1,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ermöglichen statt wie derzeit 0,35 Prozent. Zwischen 60 und 90 Prozent Schuldenstandsquote schlagen wir eine zulässige Nettokreditaufnahme von 0,5 Prozent vor. Das hätte den Spielraum deutlich erweitert, denn wir stehen knapp über dieser 60-Prozent-Schwelle. Doch diese Chance hat die Ampel vertan, weil einer der drei Partner dogmatisch an der Schuldenbremse festhält und auch die Opposition überzeugt werden müsste. In der Vergangenheit war das Problem oft: Der Staat verschuldet sich, verspricht von dem Geld Straßen zu bauen – finanziert am Ende aber Dinge wie die Mütterrente . Wie lässt sich dem begegnen? Diese Gefahr ist in der Tat real. Eine Idee, die derzeit viel diskutiert wird, ist die eines Infrastruktur-Sondervermögens ähnlich dem, das für die Bundeswehr im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Das hat durchaus seinen Reiz, denn dann ist klar: Das Geld in diesem Topf fließt wirklich nur in große Infrastrukturprojekte. Aber es eröffnet auch Spielräume im Haushalt, die dann vielleicht wieder für die falschen Dinge verwendet werden. Außerdem wäre irgendwann ein solcher Fonds auch wieder leer. Mir schwebt deshalb etwas anderes vor. Nämlich? Wir könnten zum Beispiel zusätzlich zur angesprochenen Reform der Schuldenbremse eine fixe Investitionsquote für die Sanierung unserer Infrastruktur festlegen. Also ähnlich wie das Nato-Zwei-Prozent-Ziel beim Verteidigungsetat eine Quote für Investitionen in Brücken, Straßen, Schienen und mehr verankern. Und wie viel Prozent der Wirtschaftsleistung sollten wir für solche Infrastrukturinvestitionen ausgeben? Das müsste man ausdiskutieren. Am Ende ist das eine politische Entscheidung. Der Rat der Wirtschaftsweisen hat vergangenen November gewarnt, dass die Wirtschaft auch langfristig kaum mehr wachsen kann, weil immer weniger Menschen in Deutschland arbeiten. Wie sehr helfen da die neuen Arbeitsanreize der Ampel, etwa für Bürgergeldempfänger und Ältere? Es ist gut, beim Bürgergeld größere Anreize für die Aufnahme eines Jobs zu setzen. Die schärferen Sanktionen sind vor allem als Signal wichtig. Allein schon für die politische Befriedung der Debatte, um denen zu begegnen, die sich sorgen, dass sich Menschen staatlicher Gelder bedienen, obwohl sie arbeiten gehen könnten. Dennoch dürfen wir nicht erwarten, dass deshalb mit einem Schlag Hunderttausende Menschen mehr in Jobs kommen. Warum? Weil es ganz unterschiedliche Gründe dafür gibt, dass Menschen im Bürgergeld feststecken. Bei Alleinerziehenden fehlt es oft an Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder, bei anderen fehlen die notwendigen Qualifikationen, um sie erfolgreich vermitteln zu können. Oft genug braucht es deshalb Nachqualifikationen. Leider wird an dieser Stelle nun gespart. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Wie kann die Regierung noch dafür sorgen, dass mehr Menschen mehr arbeiten? Eine wichtige Stellschraube ist, dass die Millionen Teilzeit-Arbeitnehmer ihre Stunden erhöhen. Wer in Teilzeit arbeitet und staatliche Unterstützung erhält, für den lohnt sich Mehrarbeit oft zu wenig, weil dann die Unterstützung stark gekürzt wird. Hier sollte bei Mehrarbeit mehr Netto übrigbleiben. Wir haben in unserem letzten Gutachten gezeigt, wie das funktionieren kann, ohne dass es die Staatskasse belastet. Außerdem müssen wir für mehr Kindergartenplätze und längere Betreuungszeiten sorgen. Und dann müssen wir auch ans Ehegattensplitting ran. Das Ehegattensplitting hat unlängst für Verstimmung in der Ampelregierung gesorgt. Familienministerin Lisa Paus will es gern abschaffen, Finanzminister Christian Lindner es unbedingt erhalten. Wofür sind Sie? Wir müssen das Ehegattensplitting grundsätzlich reformieren. Momentan ist es so gebaut, dass die Paare am stärksten bei der Steuer profitieren, in denen der eine besonders viel und der andere besonders wenig verdient. Meistens ist es freilich die andere, denn in der Regel verdient die Frau weniger als der Mann. Das ist nicht nur ungerecht, sondern führt dazu, dass viele Frauen sagen: Mehr arbeiten lohnt sich nicht, dann bleibe ich lieber in Teilzeit oder ganz zu Hause. Genau das aber können wir uns als Volkswirtschaft nicht leisten. Kritiker wenden ein: Das Ehegattensplitting erlaubt es einem Paar, füreinander Verantwortung zu übernehmen. Aus diesem Grund kann man das Splitting auch nicht ganz abschaffen, das hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten. Allerdings sollten wir an einzelnen Stellschrauben drehen, etwa an den Freibeträgen. Das müssen Sie erklären. Derzeit überträgt der Partner mit dem geringen Einkommen in Steuerklasse 5 seinen steuerfreien Grundbetrag an den Partner mit dem höheren Einkommen in Steuerklasse 3 . Dadurch zahlt derjenige mit weniger Einkommen mehr, der mit mehr Einkommen weniger Steuern . Diese Steuerklassenkombination will die Ampel nun zugunsten der Steuerklasse 4 mit Faktor abschaffen, sodass die Steuerlast bei beiden ihrem jeweiligen Einkommensanteil entspricht. Das ist schon mal gut, weil ein Aufwuchs der Arbeitszeit für Frauen in Teilzeit ihnen dann monatlich deutlich mehr netto einbringt. Noch besser wäre es, das Ehegattensplitting auf das verfassungsrechtlich gebotene Minimum zu begrenzen, um so die Erwerbsanreize zu erhöhen. Eine Herausforderung für die Wirtschaft ist auch, dass absehbar mehr Alte in Rente gehen als Junge in den Arbeitsmarkt kommen. Die Bundesregierung möchte auch da nachhelfen, indem sie ältere Menschen zum längeren Arbeiten bewegen will. Kann dieser Plan aufgehen? Es ist vernünftig, dass Leute, die über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, künftig die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung ausgezahlt bekommen sollen, denn sie haben ja kein Risiko mehr, arbeitslos zu werden. Dieses Extrageld kann sicherlich den einen oder anderen zum längeren Arbeiten bewegen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen: An den großen Wurf bei der Rente traut sich auch diese Regierung nicht heran. Sie meinen ein höheres Renteneintrittsalter, wie Sie und die Wirtschaftsweisen es fordern. Exakt. Um die gesetzliche Rente finanziell zu stabilisieren, müssen wir das Renteneintrittsalter anheben und an die Entwicklung der Lebenserwartung koppeln. Denkbar wäre auch, den individuellen Renteneintritt zu flexibilisieren, aber bei vorzeitigem Renteneintritt die korrekten Rentenabschläge vorzunehmen. Was ist denn falsch an der aktuellen Berechnung der Abschläge? Wer heute vorzeitig in Rente geht und dabei keinen Anspruch auf die abschlagsfreie "Rente mit 63" hat, muss für jeden Monat, den er früher aufhört zu arbeiten, dauerhaft auf 0,3 Prozent seiner Rentenbezüge verzichten. Das klingt viel, ist aber viel zu wenig, wenn man bedenkt, dass man nicht nur weniger einzahlt, sondern auch länger Rente bezieht. Die Abschläge für den vorzeitigen Renteneintritt müssten, korrekt berechnet, doppelt so hoch sein, also 0,6 Prozent. Ein Vorstoß, mit dem Sie sich kaum beliebt machen dürften. Mag sein, aber das macht ihn nicht falsch. Wenn der Abschlag richtig berechnet würde, dann würden sich auch mehr Menschen fragen, ob sie tatsächlich früher aufhören zu arbeiten. Anders ausgedrückt: Wenn die Abschläge die korrekten Kosten widerspiegeln, ist gegen einen individuell flexibleren Renteneintritt nichts einzuwenden. Abschließend zurück zum großen Wurf, den auch die Ampelregierung nicht zustande bringt: Haben Sie wenigstens Hoffnung, dass die nächste Bundesregierung – potenziell unter Führung der CDU – eine echte, große Rentenreform hinbekommt? Es wäre sehr zu wünschen, aber ich habe große Zweifel. Die Ampelregierung hat sich gerade darauf verständigt, die derzeitigen Rentner weiter zu begünstigen; das Rentenniveau soll nicht unter 48 Prozent sinken, was bedeutet, dass die Beiträge für die Jungen künftig noch weiter steigen müssen. Angesichts der wachsenden Anzahl der Älteren, die zugleich alle Wähler sind, sehe ich nicht, wie eine künftige Regierung an diesem Kurs etwas ändern sollte. Frau Schnitzer, vielen Dank für dieses Gespräch.