Das Bundesverfassungsgericht kippt eine Regelung der Ampel-Wahlrechtsreform zugunsten von CSU und Linken. Damit macht sie die Kläger froh, ohne die Koalition groß zu düpieren. Das klassische Karlsruher Muster. Leider. Salomonisch nennt man landläufig ein Urteil, das eine schwierige Abwägung klug und zu gleichen Anteilen von Wohl und Wehe aller Beteiligten trifft. Tatsächlich wird sich auf diese Weise aber auch aus dem Kern des Problems heraus gestohlen. Das war schon bei dem Fall des Königs Salomo so, auf den das geflügelte Wort zurückgeht. Da beanspruchten zwei Frauen die Mutterschaft für ein Kind. Salomo schlug daraufhin vor, das Kind einfach zu teilen und jeder der Frauen eine Hälfte zuzusprechen. Daraufhin zog eine der Frauen ihren Anspruch auf das Kind zurück. Nur über einen Umweg wurde so die eigentliche Frage beantwortet: Wer ist die leibliche Mutter? Im Falle Salomos war es naheliegenderweise die Frau, die die Kindesteilung verhindern wollte. Ziel erreicht, Mutterschaft geklärt. In diesem Fall. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform aber wird wohl kaum zu vergleichbaren Erkenntnisgewinnen führen. Der eigentlichen Grundsatzfrage ist das Gericht ausgewichen. Es ist ein politisches Urteil, das die Kläger von Linkspartei und CSU zufriedenstellt. Aber das Grundübel der Reform nicht behebt. Die Karlsruher Richter haben es für verfassungswidrig erklärt, dass die sogenannte Grundmandatsklausel nach dem vorliegenden Ampel-Gesetz wegfallen würde. So ist sichergestellt, dass zum Beispiel die CSU mindestens einen Teil ihrer Direktmandate in den Bundestag tragen darf, auch wenn sie auf den Bund hochgerechnet unter der Fünfprozenthürde bliebe. Das hatte bei der Union für Wallung bis tief in die Reihen der CDU gesorgt, weil damit die Aussicht auf eine Übernahme des Kanzleramtes bei der nächsten Bundestagswahl stark geschmälert gewesen wäre. Schiebung! Wahlbetrug! Bananenrepublik! So riefen die Unionisten im Chor, nicht zu Unrecht, und haben von den Karlsruher Richtern in ihrem spezifischen Fall Recht bekommen. Das Verfassungsgericht umschifft die eigentliche Frage Dennoch hat das Urteil etwas Hasenfüßiges, Opportunistisches. Denn das Grundmandat ist nurmehr die kleine Schwester der Erststimme, mit der die Abgeordneten von ihren Wählerinnen und Wählern direkt nach Berlin als ihre Vertreter delegiert werden. Damit ist die Erststimme die demokratisch edlere Stimme, deswegen heißt sie ja auch Erststimme. In dieser numerischen Reihung liegt auch eine Priorisierung. One man, one vote, one constituency – ein Kandidat, eine Stimme, ein Wahlkreis, das ist der Wesenskern der repräsentativen Demokratie. Das neue Wahlrecht aus der Feder der Ampelkoalition stärkt aber die Verhältniskomponente zulasten der Direktkandidaten. Es macht die Zweitstimme zentraler als die Erststimme. Das Zweitstimmenergebnis deckelt künftig die Erststimmen. Es kann dazu kommen, dass direkt Gewählte in die Röhre gucken und nicht in den Bundestag einziehen. Das Übel der ständigen Parlamentariervermehrung kommt primär durch die Überhangmandate zustande. Das sind Mandate, die einer Partei bisher zusätzlich zustehen, wenn sie mit ihren Erststimmen mehr Direktmandate gewonnen hat, als ihr aufgrund des Zweitstimmenergebnisses zustehen. Ausgleichsmandate kommen bisher noch mal obendrauf. Damit ist nun Schluss. Aber eben zulasten des Primats der Erststimme. Und damit zulasten der Mehrheitswahlrechtskomponente unseres Mischsystems. Im Kern ist das neue Wahlrecht mit der Schwächung der Erststimme weniger unmittelbar demokratisch als das bislang geltende. Diesen Kern der Reform hat Karlsruhe unberührt gelassen. Und damit dem Ansatz der Ampel stattgegeben, auf dem falschen Weg (Primat der Zweitstimme) das richtige Ziel (kleinerer Bundestag) zu erreichen. Bedauerlich, dass sich die Richter nicht das Herz gefasst haben, diesen falschen Weg abzuschneiden. Und nur die Kläger mit dem Erhalt der Grundmandatsklausel kalmiert haben. Wie so oft sagt Karlsruhe: Ja, aber. Und zieht sich so in der Hauptsache aus der Affäre.
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