Die Sportwelt staunt bei den Olympischen Spielen über die deutschen Basketballer. Experte Frank Buschmann erklärt den plötzlichen Boom und warnt zugleich. Die deutschen Basketballer und Basketballerinnen gehören bei den Olympischen Spielen in Paris zu den positiven Überraschungen und haben bereits große Euphorie ausgelöst. Die Goldmedaille der Frauen bei der Olympiapremiere im 3x3-Basketball soll dabei aber nur der vorläufige Höhepunkt gewesen sein. Im regulären Fünf-gegen-Fünf-Wettbewerb haben es die deutschen Frauen ins Viertelfinale geschafft und fordern dort am Mittwochabend (18 Uhr) Frankreich heraus. Die deutsche Männer-Nationalmannschaft steht bereits im Halbfinale und trifft dort am Donnerstag ebenfalls auf den Gastgeber. Nach dem Weltmeistertitel im vergangenen Jahr greift das Team von Bundestrainer Gordon Herbert nun nach einer olympischen Medaille. All das verfolgt natürlich auch Frank Buschmann mit besonderem Interesse. In den vergangenen Jahrzehnten war der Kult-TV-Kommentator schließlich der Experte und die Stimme des deutschen Basketballs. Also solcher ist er beim olympischen Turnier zwar nicht im Einsatz. Als Zuschauer vor Ort erlebt er das deutsche Basketball-Wunder aber trotzdem hautnah mit. "Ich bin in Paris und schaue mir die ganze Reise in den Hallen auf den Freiplätzen an", verrät er, als t-online ihn am Donnerstagvormittag am Telefon erreicht. Er habe alle Spiele gesehen. Buschmann, der selbst einst in der zweiten Liga spielte, ist weiterhin sehr nah dran am deutschen Basketball. "Wie schon seit 100 Jahren", sagt er und lacht. "Ich nehme noch meinen Orangensaft mit, geh' raus auf die Terrasse und dann können wir gerne darüber sprechen." Gesagt, getan. t-online: Die Sportwelt staunt gerade über das, was die deutschen Basketballer bei den Olympischen Spielen leisten. Sie auch? Frank Buschmann: Das ist Sportgeschichte, die der deutsche Basketball da gerade schreibt. Die Goldmedaille der 3x3-Mädels war eine Riesenüberraschung und Riesensensation. Ich war im Deutschen Haus, wo sie gefeiert wurden. Da musstest du ihnen nur in die Augen sehen, um zu erkennen: So richtig kapiert haben sie es selber immer noch nicht, was sie da erreicht haben. Auch, was im normalen Fünf-gegen-Fünf-Basketball bei den Frauen passiert ist, ist bemerkenswert. Was meinen Sie genau? In einer Gruppe mit dem Zweiten der Olympischen Spiele von Tokio, dem Europameister und dem US-Team zwei von drei Spielen zu gewinnen und jetzt im Viertelfinale zu sein, ist für mich eine Mega-Sensation. Dass die Männer im Halbfinale stehen, ist ja fast schon eine Selbstverständlichkeit – und das ist auch der Knaller. Das alles zusammengefasst bei Olympischen Spielen, wo der deutsche Basketball normalerweise eher eine Randnotiz oder gar nicht vorhanden ist, ist für mich als Basketballer und Basketballfan der absolute Hammer und wunderschön zu sehen. Nur eine Momentaufnahme oder steht der deutsche Basketball vor einer Goldenen Zukunft? Ich bin zu lange im Geschäft, dass ich mich von diesen Emotionen völlig tragen lasse. 3x3 ist eine Trendsportart, und vor allem für junge Leute sicher eine gute Alternative zum normalen Basketball. Diese Sportart wird ihren Weg gehen, viele Jungs und Mädchen werden den vieren, die Gold geholt haben, nacheifern. Dass wir einen Riesenpool an Talenten haben, war schon immer so. Das wird sich am schnellsten beim 3x3 auswirken. Aber ob 3x3 auch in der medialen Wahrnehmung überhaupt eine Rolle spielt, da bin ich eher skeptisch. Die TV-Anstalten und Streamingdienste werden da jetzt trotzdem nicht Schlange stehen. Umso mehr freut mich die Aufmerksamkeit, die sie bei Olympia jetzt bekommen. Wir reden auch beim regulären Frauenbasketball über eine absolute Randsportart in Deutschland. In der öffentlichen Wahrnehmung liegt da noch ein langer Weg vor ihnen. Mit Spielerinnen, die eine große Karriere machen, wie zum Beispiel den Sabally-Schwestern, wird das leichter. Beim Frauenbasketball tue ich mich insgesamt schwer damit, jetzt eine goldene Zukunft zu prophezeien. Dafür braucht es schon weit mehr als ein erfolgreiches Großevent. Und bei den Männern? Da ist es jetzt schon weit mehr als nur ein einzelner Erfolg. Sie haben bei der letzten EM Bronze geholt und sind im vergangenen Jahr Weltmeister geworden. Jetzt spielen sie um eine Medaille bei den Olympischen Spielen. Diese Mannschaft ist eine goldene Generation. Das ist auch in der Wahrnehmung der Männer-Nationalmannschaft überall zu spüren. Auch bei all meinen Kollegen und Kolleginnen vom Fernsehen, die mich vor Jahren noch mitleidig angeschaut und gesagt haben: Ihr habt halt Dirk Nowitzki, aber ansonsten ist das dünn. Wir hatten schon immer auch andere gute Basketballer, aber nicht in der Masse und Klasse wie heute. Es sagen alle: Das beste Team ist die deutsche Mannschaft. Keiner nennt da die US-Amerikaner, die von ihrer individuellen Klasse natürlich die Nummer eins sind. Bei den deutschen Männer-Basketballern stehen uns keine goldenen Zeiten bevor, sondern wir befinden uns bereits mittendrin. Sie haben schon über drei Turniere gezeigt, dass sie zu den Topnationen gehören, und das ist wunderwunderschön. Aber auch hier kann ich nur warnen. Wovor? Darauf zu schließen, dass sich dieser Erfolg auf die Bundesliga oder den Klubbasketball auswirken wird, das glaube ich aus Erfahrungen der vergangenen 30 Jahren nicht unbedingt. Das finde ich am deutschen Sport so traurig, weil es nämlich nicht nur den Basketball betrifft, sondern alles außerhalb von Fußball. Wenn so eine erfolgreiche Phase da ist, dann wird die Nationalmannschaft von Millionen von Zuschauern abgefeiert. Und wenn Alba Berlin und Bayern München das Finale um die deutsche Meisterschaft ausspielen, dann interessiert das keine Sau. Das finde ich schade und bitter. Könnte trotzdem jetzt ein Basketball-Boom in Deutschland ausgelöst werden? Darauf hoffe ich seit 30 Jahren. Es gab es genügend vielversprechende Momente: die Bronzemedaille bei der WM 2002, Silber bei der EM 2005 oder der NBA-Titel von Dirk Nowitzki mit den Dallas Mavericks 2011. Aber selbst die NBA-Spiele, die in Deutschland übertragen werden, finden nach wie vor fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eine großflächige mediale Begleitung gehört zu einem möglichen Hype aber zwangsläufig dazu. Wenn du keine große Masse erreichst, wird es schwierig. Damit ein Boom entsteht, brauchst du Begeisterung. Die ist bei der Männernationalmannschaft definitiv da. Aber auch dort ist immer noch ein ganz schön weiter Weg zu gehen. Ich glaube aber, dass bei einem großen Turnier der A-Nationalmannschaft der Männer mittlerweile für einen Free-TV-Sender die Möglichkeit besteht, drei bis acht Millionen TV-Zuschauer damit zu erreichen. Das war noch nie so. Da würden viele Menschen einschalten, wenn die Wagners und Schröders spielen. Die Leute kennen die Jungs mittlerweile und es gibt nicht mehr nur einen Namen, der alles überstrahlt. Ich hoffe, dass diese Geschichte so weitergeht. Inwieweit haben sich die Voraussetzungen im Vergleich zur Nowitzki-Zeit jetzt verändert? Es ist schon etwas anders. Dirk müssen wir nichts von seiner Weltkarriere nehmen. Das stellen auch die Jungs immer wieder raus. Franz Wagner hat zuletzt noch einmal betont, dass Nowitzki dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt zu dieser positiven Entwicklung und dieser goldenen Generation kommen konnte. In Nowitzkis Zeit war es noch ein Wunder, überhaupt um Medaillen mitspielen zu können. Er war da das absolute Frontschwein und es ist ja bekannt, was für ein feiner Kerl er ist. Die heutige Mannschaft hat größere Erfolge, mehr Ausgeglichenheit, andere, aber auch tolle Charaktere und grundsätzlich andere Grundvoraussetzungen: Das ist die beste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten und keine temporäre Erscheinung. Nowitzki ist bei den Olympischen Spielen ebenfalls als Zuschauer vor Ort, war auch beim 3x3 und beim Viertelfinale der Männer. Wie wichtig ist er nach wie vor als Botschafter des deutschen Basketballs? Er ist immer noch einer der größten Botschafter unseres Landes und das lange nach seinem Karriereende. Das sagt schon alles über seine Bedeutung als Sportler und Vorbild. Wie aktuelle Nationalspieler über ihn reden, spricht für sich. Genauso, wie sich die Mädels nach ihrem Goldtriumph gefreut haben, als er sie in den Arm genommen hat – das kam ja von Herzen. Dieser Typ war und ist Gold. Trotzdem muss ich eins sagen. Bitte. Im deutschen Basketball sollten wir jetzt so langsam die Abnabelung von Nowitzki vollzogen haben. Unsere Superstars heißen jetzt Dennis Schröder oder Franz Wagner und Co. Meine Meinung über Schröder war immer ein wenig gespalten. Er hat aber eine unglaubliche Wandlung vollzogen. Da habe ich auch persönlich Abbitte geleistet, er hat sich wirklich unfassbar entwickelt – auch abseits des Platzes. Wir haben diese wunderschöne Geschichte mit den Wagner-Brüdern und so viele gute Basketballer. Und darüber hinaus einfach eine so geile Mannschaft, da passt kein Blatt Papier dazwischen. Deutschland hatte mal Nowitzki, das wird nie jemand vergessen. Aber jetzt haben wir die Wagner-Brüder, Schröder oder auch Andi Obst, vor dem sich die Amerikaner jetzt wahrscheinlich schon wieder ein bisschen ins Höschen machen. Das ist einfach wunderschön, das hier zu beobachten. Ich sitze auf der Tribüne und komme aus dem Strahlen nicht mehr raus. Aber bevor die Frage jetzt kommt, die mir sehr viele stellen … Sie meinen die, ob es Ihnen nicht wehtut zu dieser Zeit, jetzt nicht mehr am TV-Mikro zu sitzen? Genau. Meine Antwort darauf lautet: Ne, es tut gar nicht weh. Alles zu seiner Zeit. Ich genieße das alles. Und die TV-Zuschauer werden es auch genießen, dass ich mal nicht mein Zeugs ins Mikrofon absondere (lacht). Ich muss nicht am Mikrofon sitzen, um Basketball zu genießen. Das kann auch mal wunderschön sein, es hier so als Zuschauer zu erleben. Sehen Sie in Schröder also einen würdigen Nachfolger von Nowitzki? Oder vom Spielertyp her dann vielleicht eher in Franz Wagner? Ich kann nur sagen: Hört endlich auf, den Nachfolger von Dirk Nowitzki zu suchen. Den wird es nie geben. Jetzt gibt es Dennis Schröder und Franz Wagner. Das ist die Gegenwart und Zukunft des deutschen Basketballs und Nowitzki die herausragende Vergangenheit. Wagner ist der bestbezahlte deutsche Sportler aller Zeiten (sein Fünfjahresvertrag garantiert ihm 224 Millionen US-Dollar; Anm. d. Red.), der deutlich mehr verdient als Nowitzki jemals. Es sind aber auch andere Zeiten in der NBA . Wagner ist vielleicht der Star bei Orlando, aber damit ist er nicht automatisch als Nachfolger von Dirk Nowitzki zu begutachten. Franz Wagner ist Franz Wagner, Dennis Schröder ist Dennis Schröder. Genauso sollten wir da rangehen. Welchen Anteil hat Bundes- und Weltmeistertrainer Gordon Herbert am Erfolg der deutschen Basketballer? Wenn wir über diesen Erfolg dieser Mannschaft und dieses Blatt Papier reden, das man nicht zwischen einzelne Teile schieben kann, dann ist der Schlüssel zu allem wahrscheinlich der Trainer. Was immer zu spüren ist, ist dieses unbändige Vertrauen der Spieler in diesen Mann. Eine Einheit funktioniert nur dann, wenn auch ihre sportlich schwächsten Glieder sich darin wohl und wichtig fühlen. Dieser Zusammenhalt zeigt sich vor allem in schwierigen Phasen, wie man mit Rückschlägen innerhalb eines Spiels oder eines Turniers umgeht. Alles, was ich da beobachten kann, spricht für den Trainer. Ich habe das Gefühl, die Mannschaft hätte sich nichts mehr gewünscht, als dass er weitermacht. Im deutschen Basketball ist das mit einer Doppelfunktion aber leider nicht möglich. Herbert wird nach Olympia wieder als Klubcoach zum FC Bayern wechseln. Trauen Sie ihm zu, dort Ähnliches zu bewirken? Zaubern kann er auch nicht. Aber er wird bei Bayern auch wieder auf einige Nationalspieler treffen und sicher einen guten Kader zur Verfügung haben. Für ihn ist die Umgebung sehr wichtig: Er braucht kein kuscheliges Bett, aber schon eine Wohlfühlatmosphäre, Vertrauen und Freiheit im Gestalten seiner Arbeit. Ich würde den Verantwortlichen einen Ratschlag mitgeben. Welchen? Auch wenn es vielleicht mal ruckelt und nicht gleich so funktioniert, ein bisschen Geduld bewahren und weiter an die Idee zu glauben, für die man sich jetzt mit Herbert entschieden hat. Dass sie im deutschen Basketball als amtierender Meister und Pokalsieger sowie Euroleague-Teilnehmer mit ihren Möglichkeiten outstanding sind, steht außer Frage. Aber um in Europa mittel- und langfristig eine gute Rolle zu spielen, werden sie noch Geduld brauchen. Zum Abschluss noch mal zurück zu Olympia: Welche Medaillen trauen Sie den deutschen Basketballteams jetzt zu? Die Frauen werden es mir hoffentlich nicht übelnehmen. Ich habe vor dem Turnier gesagt, dass sie kein Gruppenspiel gewinnen werden. Und ich glaube auch jetzt, dass es gegen Frankreich mit der Macht der Zuschauer extrem schwierig wird. Überhaupt im Viertelfinale zu stehen, ist jetzt schon ein Riesenerfolg. Ich glaube nicht, dass es für eine Medaille reichen wird. Am Ende dürfen sie und alle anderen aber gerne über mich lachen, wenn sie dann doch eine geholt haben. Dann lache ich mit und freue mich mit. Und die Männer? Da bleibe ich bei meinem Tipp von vor dem Turnier, dass es eine Medaille wird. Da habe ich gesagt: Bronze. Jetzt erhöhe ich auf Silber. Ich fürchte, dass die Amerikaner individuell zu gut sind. Ich traue ihnen zu, Frankreich im Halbfinale noch mal zu schlagen, auch wenn das ein richtiges Brett und eine Atmosphäre wird, die wir uns alle gar nicht vorstellen können. Im möglichen Finale sind die USA aber dann doch der Topfavorit.