Koalitionskrise: Pistorius: Bundeswehr fehlen "fast sechs Milliarden Euro"
Die Ampel wackelt und scheint mit sich selbst beschäftigt, der Verteidigungsminister fordert aber Tempo und Geld beim weiteren Aufbau der Bundeswehr. Nötig sei nun "staatspolitische Verantwortung".
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die wackelnde Ampel-Koalition aufgefordert, sich ihren Aufgaben zu stellen und sich dabei auf eine ausreichende Finanzierung der Wehrfähigkeit zu verständigen. Die Bundeswehr brauche im Jahr 2025 etwa 58 Milliarden Euro, um Fähigkeitslücken schnell zu schließen. "Nach jetzigem Stand werden uns rund 52 Milliarden zugesprochen. Damit fehlen uns fast sechs Milliarden Euro im nächsten Jahr", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Er erwarte, dass sich in der aktuellen Situation alle Akteure ihrer Verantwortung bewusst seien. "Es geht um staatspolitische Verantwortung", sagte Pistorius.
Pistorius beobachtet "taktische Spielchen"
Vor dem Hintergrund der schwierigen Verhandlungen in der Koalition räumte er ein, die Aufgabenpalette sei außergewöhnlich groß. "Ich habe bei dem ein oder anderen Akteur allerdings das Gefühl, dass ihnen der Ernst der Lage nicht bewusst ist oder dass sie glauben, sie könnten mit taktischen Spielchen diese wirklich großen Herausforderungen bewältigen", sagte Pistorius. "Und wer so denkt, der wird dieser großen Verantwortung unserer Zeit nicht gerecht."
Wegen der Finanzierungslücke könnten etwa 100 Projekte für die Bundeswehr nicht umgesetzt werden, die Beschaffung von Material werde verschoben. Betroffen sind nach diesen Angaben eine weitere Tranche des Schützenpanzers Puma, dringend benötigte Munition sowie die Entwicklung weitreichender Präzisionswaffen ("Deep-Precision-Strike-Fähigkeiten").
"Wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt"
Finanziert aus dem mit 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen für die Bundeswehr seien "ungewöhnlich viele Projekte ungewöhnlich schnell auf den Weg gebracht" worden. Nach 30 Jahren Vernachlässigung der Bundeswehr sei die Ausstattung jedoch noch lange nicht abgeschlossen.
"Wir sind jetzt an einem entscheidenden Punkt", sagte Pistorius und warnte, dass Lücken in der Bundeswehr wieder größer würden, während die Bedrohung steige. Deswegen brauche es einen Aufwuchs des Etats. "Ich bin mir der fiskalischen Herausforderungen dabei sehr bewusst. Wir müssen jetzt Prioritäten setzen. In dieser Phase schaut uns die Geschichte sozusagen über die Schulter", sagte er. Er warnte davor, Bedrohungen kleinzureden, um sich ihnen nicht stellen zu müssen.
Russland produziert deutlich mehr Waffen und Munition als die gesamte EU
Schon jetzt gebe es Desinformationskampagnen, Cyberattacken und Ausspähungen der kritischen Infrastruktur. Russland rüste zudem militärisch massiv auf. Schon bald werde Russlands Armee rund 1,5 Millionen Soldaten haben. Die russische Wirtschaft habe auf Kriegswirtschaft umgestellt. Moskau investiere sechs Prozent für Rüstung und Verteidigung, vermutlich sogar mehr.
"Die russische Industrie produziert in drei Monaten mehr Waffen und Munition als die gesamte Europäische Union in einem Jahr. Und wir müssen damit rechnen, dass Putin willens uns bereits ist, seine Streitkräfte auch zu nutzen", sagte Pistorius. Und: "Das ist die Realität, vor der wir stehen."