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Baerbock in der Türkei: Erdoğan droht kurdischer Miliz in Syrien

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Nach dem Sturz von Baschar al-Assad wollen auch Regionalmächte ihren Einfluss auf Syrien ausbauen. Der türkische Präsident Erdoğan kündigt die Auslöschung kurdischer Milizen an. Kann Deutschland diese erneute Eskalation verhindern? Aus Ankara berichtet Patrick Diekmann Es sind Momente, die zum Ende des Jahres vielen Menschen im Nahen Osten zumindest etwas Hoffnung machen. Der Diktator Baschar al-Assad ist geflohen, mehr als 13 Jahre Bürgerkrieg in Syrien sind vorerst vorbei. Zwar ist die Zukunft Syriens noch immer ungewiss. Es bleibt abzuwarten, wie gemäßigt die von Islamisten dominierten Milizen als neue Machthaber im Land auftreten werden. Aber für den Moment feiern die Menschen auf den Straßen in Damaskus , Familien umarmen ihre Angehörigen, die zuvor aus den Foltergefängnissen des Assad-Regimes befreit wurden. Viele Syrerinnen und Syrer sehen den politischen Neustart als Chance, dass nun vieles besser werden könnte. Und es gibt Hoffnung auf einen nachhaltigen Frieden. Doch die Kriegsgefahr ist nicht vorbei. Im Gegenteil. Regionalmächte wie die Türkei greifen auch weiterhin Ziele in Syrien an, wie sie erklären, aus eigenen Sicherheitsinteressen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan rief angesichts des Machtwechsels in Damaskus dazu auf, die Terrormiliz IS und die kurdischen Kämpfer in Syrien zu vernichten. Im Visier hat er allerdings vor allem die Kurden, deren Autonomie in Nordsyrien er kritisch sieht. "Es ist an der Zeit, die in Syrien existierenden Terrorgruppen auszulöschen", sagte Erdoğan am Freitag. Eine ungeheure Drohung, die eine neue Eskalation des Krieges in Syrien wahrscheinlich macht. Es wächst die Sorge, dass die Türkei in weitere Teile Syriens einmarschieren könnte. Und das ausgerechnet, während viele westliche Länder Weihnachten und den Jahreswechsel feiern. Deswegen versuchte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), bei einem kurzfristig organisierten Besuch in Ankara das Schlimmste zu verhindern. Doch das ist ein Kampf mit sehr viel Gegenwind. "In kurzer Zeit vernichtet" Zumal Erdoğan aktuell aus seinen Angriffsplänen eigentlich kein Geheimnis macht. Schon seit Beginn der Offensive der syrischen Rebellen gegen das Assad-Regime Anfang Dezember griffen die von der Türkei unterstützten Milizen der Syrischen Nationalarmee (SNA) das von Kurden kontrollierte Gebiet an, eroberten bereits Manbidsch. Doch nun scheint die Türkei ihren militärischen Einsatz noch einmal erhöhen zu wollen: Erdoğan lässt in Syrien Kämpfer der SNA zusammenziehen. An der türkisch-syrischen Grenze sammeln sich türkische Artillerie und Panzer. Keine Frage: Die Türkei wäre in der Lage, ihre Interessen militärisch durchzusetzen. Doch plant die türkische Führung eine weitere Eskalation? Oder möchte sie lediglich Druck aufbauen, um sich möglichst großen Einfluss auf die politische Neuordnung Syriens zu sichern? Diese Frage ließ sich auch am Freitag nicht final beantworten. Es gab jedoch Signale von Erdoğan, die eben eine weitere Eskalation des Krieges befürchten lassen. So kündigte der türkische Staatschef erneut an, auch die kurdische Arbeiterpartei "PKK und ihre Verbündeten" in Syrien bekämpfen zu wollen. Diese Gruppen seien eine Bedrohung für das "Überleben Syriens", und ihre Anführer müssten "in möglichst kurzer Zeit" vernichtet werden, polterte Erdoğan. Andererseits gab es vom türkischen Außenministerium Signale, dass die Türkei sich einer politischen Lösung nicht entgegenstellen würde. Aber wie könnte diese aussehen? Bisher kommt aus der türkischen Regierung das Signal, dass die kurdischen dominierten Milizen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) aufgelöst und entwaffnet werden müssten. Das würden die Kurden wiederum wahrscheinlich nicht akzeptieren, weil sie ohne ihre Verteidigungskräfte keinen Schutz hätten. In der Vergangenheit wurden sie schon oft von ihren Verbündeten verraten. Deshalb werden die Kurden ihr Schicksal nur widerwillig in die Hände fremder Mächte legen. Beharrt Ankara auf diesen Forderungen, wäre ein erneuter türkischer Kriegseinsatz sehr wahrscheinlich. Türkei hat alle Trümpfe in der Hand Die Chance für Diplomatie scheint jedoch nicht aussichtslos zu sein. Im Prinzip verfolgt Erdoğan in Syrien unterschiedliche Ziele, die teils als widersprüchlich erscheinen. So sieht er die SDF als Ableger der Terrororganisation PKK, welche die türkische Regierung vernichten möchte. Mindestens will Erdoğan laut öffentlichen Äußerungen eine Pufferzone, die die kurdischen Milizen in Syrien räumlich von der türkischen Staatsgrenze trennen soll. Fest steht: Es hängt lediglich von der Türkei selbst ab, ob sie diese strategischen Ziele erreicht oder nicht. Denn der türkische Präsident befindet sich durch den Assad-Sturz in einer Position der Stärke. Die nun dominierende Miliz Haiat Tahrir a-Scham (HTS) in Syrien gilt zwar nicht als Verbündeter der Türkei, aber sie wurde in den vergangenen Jahren auch über die türkische Grenze mit Waffen versorgt. Die türkische Armee soll laut Experten mit Geheimdienstinformationen zum Erfolg der HTS im Kampf gegen Assad beigetragen haben. Inoffiziell gibt es Drähte zwischen Ankara und der HTS. Nach der Flucht Assads und der Schwächung des russischen und iranischen Einflusses auf Syrien hat Erdoğan die Möglichkeit, seine Sicherheitsinteressen auch militärisch durchzusetzen. Erdoğan könnte also die Gunst der Stunde nutzen, um Fakten zu schaffen. Er ist plötzlich der wichtigste Spieler in der Region, und sein Selbstbewusstsein ist merklich gestiegen. Trotzdem gibt es Gründe, warum die Türkei vor einem erneuten Kriegseinsatz zurückschrecken könnte. Ein strategisches Ziel der türkischen Regierung ist sicherlich die Stabilisierung Syriens. Erdoğan möchte weitere syrische Geflüchtete in das Nachbarland zurückschicken, weil sie für ihn innenpolitisch zur Belastung geworden sind. Außerdem steckt die Türkei noch immer in einer Wirtschafts- und Währungskrise und möchte vom Wiederaufbau des Nachbarlandes auch ökonomisch profitieren. Für all das bräuchte es aber Stabilität in Syrien und eben keine Eskalation des Krieges. Ein weiteres Hemmnis für den Kriegseinsatz könnte sein, dass sich Ankara mit einem Angriff auf die kurdischen Milizen international isolieren würde. Erdoğan wäre der Staatschef, der das Chaos zurück nach Syrien bringt. Auch in Deutschland würden erneut Debatten entstehen, die die Waffenlieferungen an die Türkei infrage stellten. Dabei hat die türkische Führung in den vergangenen Jahren international hart dafür gekämpft, dass die Lieferbeschränkungen der Nato-Partner aufgehoben werden – mit Erfolg. Entscheidung liegt bei Erdoğan In Summe all dieser Argumente ist es auch für die Türkei keine einfache Entscheidung. So wurde mutmaßlich auch für Außenministerin Baerbock bei ihrem Besuch in Ankara deutlich, dass es in der türkischen Führung unterschiedliche Strömungen gibt. Es gibt einige Stimmen, die zumindest einen politischen Prozess nicht ausschließen. Andere, die den Augenblick nutzen wollen, um militärisch die Ziele zu erreichen, die man schon seit Jahren mit Blick auf die Kurden verfolgt. Fest steht aber: Die Entscheidung liegt letztlich bei Erdoğan. Ob der türkische Staatschef tatsächlich den Angriffsbefehl gibt, ist kurz vor Weihnachten noch unklar. Auch deswegen gibt es momentan einen extremen Besucherverkehr in der türkischen Hauptstadt: aus den USA , Frankreich , Deutschland. Die Nato-Partner versuchen, eine weitere Eskalation zu verhindern, Einfluss auf Erdoğan zu nehmen, ihm Angebote zu machen. So hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Treffen mit dem türkischen Staatschef am Mittwoch eine Milliarde Euro zur Unterstützung für syrische Flüchtlinge in der Türkei im Gepäck. Außenministerin Annalena Baerbock erklärte am Freitag: "Wenn Syrien wieder aufgebaut werden soll, wenn Menschen zurückgehen sollen, kann das nur funktionieren, wenn niemand mehr Angst haben muss, verfolgt zu werden." Dies sollte "auch im Interesse der türkischen Regierung sein". Sie hob hervor: "Syrien darf weder zum Spielball fremder Mächte noch zum Experiment radikaler Kräfte werden. Wer Frieden in der Region erreichen will, darf die territoriale Integrität Syriens nicht unterminieren." Es war eine Mahnung an die türkische Führung, die vor allem dokumentiert, dass auch die Bundesregierung aufgrund der türkischen Truppenkonzentration das Schlimmste befürchtet. In den kommenden Tagen wird die Stabilität Nordsyriens wieder auf Messers Schneide stehen. Und glaubt man den Äußerungen Erdoğan, stehen die Zeichen auf Krieg.



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