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Katastrophen, Krieg, Musk und Trump: Auf bestem Wege in die Idiokratie

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Das auslaufende Jahr ist keines, dem man nachtrauern muss. Krieg und Katastrophe, wohin man blickt. Obendrein eine aggressive Dauererregung, die die Demokratie gefährdet. Höchste Zeit für Besinnung im digitalen Off. Gelungene Prosa bereitet mir Genuss von regelrecht erotischer Dimension. Lese ich zum Beispiel Stefan Zweig, taumele ich seitenweise glückstrunken von einem Satz in den nächsten. Was für eine Sinnlichkeit, was für ein Feingefühl und welche Meisterschaft, Gefühle, Beobachtungen und Gedanken in Sprache zu verwandeln. Mit Lyrik hingegen tue ich mich seit jeher schwer. Und doch ist einer der schönsten Texte deutscher Sprache, den ich kenne, ein Gedicht. Es heißt "Weltende" und stammt von Jakob van Hoddis. Es geht so: Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei, Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen . Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. Kaum je ein in deutscher Sprache verfasster Text schillert in so vielen Farben wie dieser. Lakonisch kommen die Verse daher, und sind deshalb so gewaltig. Sie klingen lapidar, fast banal, und künden doch von etwas ganz Großem, das da dräut. Die Wortwahl wirkt ungelenk, mindestens verstörend (wieso gehen Dachdecker "entzwei"?, das können doch nur Dinge wie Tassen oder Gläser), und ist doch so virtuos. Die Szenerie bleibt rätselhaft diffus und erscheint zugleich ganz konkret. Die Melodie der Worte klingt fast kitschig vollkommen – und ist eben drum einmal gekonnt unterbrochen von dem Satz, der sich von einer Zeile in die nächste hangelt. Ein Enjambement, wie der Fachmann sagt. 1911 hat van Hoddis "Weltende" geschrieben, im Eindruck eines drohenden Einschlags des Halleyschen Kometen auf der Erde, dessen Schweif manche Wissenschaftler auch im Stern von Bethlehem wiederzuerkennen glauben. Aber die Zeilen klingen, als seien sie für unsere Tage verfasst worden: Krieg, Klimawandel , der die Meere ansteigen lässt. Katastrophen mit modernen Verkehrsmitteln wie Eisenbahnen oder Autos. Die Analogien reichen noch weiter, als man beim ersten Lesen glaubt. Als Van Hoddis diese Zeilen schrieb, legte sich gerade eine furchtbare Anspannung über den europäischen Kontinent, die sich nach einem tödlichen Schuss auf einen Thronfolger in einem schrecklichen Krieg entlud. Damals waren es die Intellektuellen, die mit besonderer Begeisterung in diese erstmals mit schwerem Material mechanisierte Schlacht zogen. Ernst Toller hat in seiner Autobiografie "Eine Jugend in Deutschland" Zeugnis von dieser Kriegslüsternheit einer ganzen Generation abgelegt. Selbst der sonst immer so abgeklärte Thomas Mann war von dieser Begeisterung befallen. Diese aggressive Aufgeladenheit hat man in dem abgelaufenen Jahr auch überall verspürt. Mindestens eine Partei macht sie sich zunutze, um diese Energie in ihren Akkus zu sammeln. Die digitalen Frei- und Schreiräume von X (ehemals Twitter), Telegram und Co. triggern und treiben diejenigen, die sich dort zu viel aufhalten, manchmal über die verbale Gewalt hinaus. Alles schaukelt sich besinnungslos auf in den digitalen Brüllkammern. Und die herkömmlichen Medien, man muss das selbstkritisch sagen, tragen ihren Teil zu dieser permanenten Überreizung und daraus folgenden Gereiztheit bei. Diese Aggression hat auch die Weltenlenker erfasst. Wladimir Putin , irgendwo zwischen entrückt und verrückt, versucht , mit Waffengewalt und gnadenlosem Gemetzel die Sowjetunion und die glorreichen russischen Zeiten wieder herbeizubomben. In den USA steht ein Mann kurz vor dem Wiedereinzug ins Weiße Haus, der sein Wissen aus dem Trash-TV oder sozialen Netzwerken zieht. Und der über ebenso wenig Impulskontrolle verfügt wie der Borderliner Elon Musk , den er zu seinem Majordomus gemacht hat. Eine bitterböse Komödie wird Realität Vor knapp 20 Jahren erschien eine US-Komödie im Kino, bei deren Betrachtung einem heute das Lachen im Halse stecken bleibt. In "Idiocracy" , zu deutsch: "Idiotokratie", zeigt Regisseur Mike Judge eine Dystopie der Welt des Jahres 2505, in der eine geistig degenerierte Gesellschaft vor ihrem Ende steht. Zwei Jahrhunderte vorher konservierte absolute Mittelmaßmenschen werden in diese Welt geschleudert und gelten alsbald als Genies, weil sie den Erdenbewohnern sagen, dass sie ihre Felder nicht mit Energydrinks, sondern mit Wasser bewässern müssen, damit die Feldfrüchte dort gedeihen. Der amtierende amerikanische Präsident ist ein ehemaliger Wrestler, der sich auch immer noch wie einer benimmt und anzieht. Man kann insofern sagen: Den halben Weg in die filmische Dystopie ist der Westen mit Donald Trump schon gegangen. Diesen Weg der Demokratie zur Idiotokratie hat übrigens der griechische Politiker und Historiker Polybios schon im 2. Jahrhundert v. Chr. in seinem "Kreislauf der Verfassungen" beschrieben. Er hat sie nur anders genannt. In diesem Kreislauf der Herrschaftsformen folgt auf die Demokratie die Ochlokratie, die Herrschaft der verdummten Massen. Bevor dann wieder die Tyrannis, die Diktatur, auf den Plan tritt und alles wieder von vorn losgeht. Netze, die das Grundgewebe einer Gesellschaft zerstören Der Idiotokratie, der Hegemonie des Extremen und Einfältigen, haben das Digitale und dessen Netzwerke die Portale geöffnet. Der ehemalige Facebook-Manager Chamath Palihapitiya hat das in einem Interview von 2017 prägnant formuliert. Er sagte damals: "The short-term, dopamine-driven feedback loops that we have created are destroying how society works." Er beschrieb, wie soziale Medien die Gesellschaft regelrecht auflösten, ihr Grundgewebe ("fabrics of society") zerstörten, indem sie Fehlinformationen verbreiteten und den öffentlichen Diskurs untergraben würden. Palihapitiya führte weiter aus, dass er sich schuldig fühle, zur Schaffung von Werkzeugen beigetragen zu haben, die den sozialen Zusammenhalt zerstören. Dopamingetriebene Dauerschleifen, mit denen uns die sozialen Netze in den Irrsinn treiben: Es ist die richtige Zeit, wenigstens über die stillen Tage stattdessen mal etwas digitalen Detox zu betreiben und sich vom Dauerstrom der Dauererregung abzumelden. Sich Freunden, der Familie oder einem guten Buch zuzuwenden. Ich empfehle: Stefan Zweigs "Welt von Gestern". Wohl wissend, dass sie nie wieder zurückkommen wird.



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