Streit um Migrationspolitik: Wer zahlt, schafft an? Söder und die Kirchen
Bayern, die CSU und das "C" für christlich - das hat lange fast untrennbar zusammengehört. Jetzt zeigen sich Brüche. CSU-Chef Söder warnt die Kirchen unverhohlen. Und die - schweigen.
Ob beim Evangelischen Kirchentag oder beim Amtsantritt eines neuen Erzbischofs - Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt sich gerne im kirchlichen Umfeld. Wenn Kirchenvertreter sich aber kritisch über den Kurs der Union in der Migrationspolitik äußern, wird der CSU-Chef ungemütlich. Die Kirchen schweigen derweil auffällig. Vom Laiengremium Landeskomitee der Katholiken kam lediglich ein allgemeiner Aufruf zur Wahl. Fragen und Antworten zu einem komplexen Verhältnis.
Die CSU, Söder und die Kirchen - wie kompliziert ist es?
Markus Söder, evangelisch-lutherisch getauft, betont oft seinen christlichen Glauben und dass er in der Bibel liest. Bei entsprechenden Anlässen verweist er darauf, dass dank seiner Politik in öffentlichen Gebäuden des Freistaats Kruzifixe hängen. Und als die Kultusministerin von den Freien Wählern laut darüber nachdachte, den Religions-Unterricht an Grundschulen zugunsten von Mathe und Deutsch zu kürzen, sprach Söder ein Machtwort. Weniger Religion an den bayerischen Schulen? Nicht mit ihm.
Vermutlich hat Söder ein wenig mehr Dankbarkeit von den Kirchen dafür erwartet - denn als Vertreterinnen und Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche die Migrationspolitik der Union kritisierten, hob Söder rhetorisch den Zeigefinger: "Ich weiß, wie plural Kirchen organisiert sind. Deswegen keine Kritik, aber vielleicht als kleiner Merkposten: Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Das sind nämlich wir. Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich alleine steht. Denkt mal darüber nach." Der Denkprozess dauert vermutlich an, denn bislang äußerte sich noch kein hochrangiger Kirchenverantwortlicher.
Wer zahlt, schafft an? Die kirchlichen Finanzen und der Staat
Söder erwähnte in seiner Rede auf dem kleinen Parteitag der CSU auch gleich noch das liebe Geld: "Bayern steht zu den Kirchen wie kaum ein anderes Bundesland. Wir sind wohl das kirchenfreundlichste Bundesland in Deutschland. Sei es mit Kreuzen, Religionsunterricht, Steuern - Gehälter übrigens, die bezahlt werden", sagte der Ministerpräsident.
Tatsächlich fließen jährlich Millionenbeträge aus der Staatskasse an die Kirchen. Sie bekommen diese sogenannten Staatsleistungen, aus denen auch Bischofsgehälter und deren Wohnungen gezahlt werden, für die Enteignung deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisierung. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche. Das ist über jeweilige Verträge - wie beispielsweise das bayerische Konkordat - geregelt. Zuletzt waren es bundesweit insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.
Für das Jahr 2023 waren im bayerischen Staatshaushalt für die Staatsleistungen an die römisch-katholische Kirche rund 77 Millionen Euro veranschlagt, für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern rund 26 Millionen Euro. Dazu kommen 27 Millionen für kirchliche Gebäude.
Durch diese Staatsleistungen zahlen auch diejenigen Steuerzahler für Glaubensgemeinschaften, die damit gar nichts zu tun haben - und das werden Jahr für Jahr mehr. Im Raum steht daher eine "Ablösung" der jährlichen Zahlungen durch eine Milliardensumme. Doch das genaue Vorgehen ist umstritten. Söder hatte sich immer wieder gegen eine Ablösung und für die Beibehaltung der geltenden Regelungen ausgesprochen und im vergangenen Jahr noch gesagt, er befürchte einen "Kulturkampf", wenn es eine Milliardenzahlung an die großen Kirchen in Deutschland geben sollte. "Es würde eine unglaubliche Neiddiskussion losgehen." Außerdem könnten sich die meisten Bundesländer - außer Bayern - einen anteiligen Betrag in dieser Größenordnung gar nicht leisten.
Was sagen andere CSU-Politiker zu Söders Vorstoß?
Aus den Kirchen ist wenig zu hören, aus der CSU auch nicht. Lediglich der frühere CSU-Chef Erwin Huber zeigte sich "verwundert" über diesen "Tritt gegen die Kirchen", wie er dem Bayerischen Rundfunk (BR) sagte. Die Kirchen seien keine politischen Gegner der CSU. "Im Übrigen würde ich durchaus sagen, sollte man mahnende Worte der Kirchen ernst nehmen und sie nicht als Angriff missverstehen."
In früheren Jahren waren etliche CSU-Politiker kirchlich stark engagiert - etwa der ehemalige Landtagspräsident Alois Glück als Chef des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK) oder Barbara Stamm in verschiedenen Verbänden. Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein gehörte der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Solche profilierten Stimmen fehlen der CSU inzwischen.
Wie groß sind Bedeutung und Einfluss der Kirchen überhaupt noch?
Seit Jahren sind die Austrittszahlen in evangelischer und katholischer Kirche hoch. Auch in Bayern. Und wenn die Fronleichnamsprozession noch so prachtvoll ist und jedes bayerische Feuerwehrauto noch den kirchlichen Segen abbekommt - an vielen Sonntagen bleiben die Kirchenbänke inzwischen leer.
Zudem mangelt es an Personal, Verwaltungseinheiten werden größer, das Geld wird knapp. Dazu kommen Missbrauchsskandale, die beide Konfessionen erschüttern. Tatsächlich herrscht zuweilen der Eindruck, die Kirchen sind so mit sich selbst beschäftigt, dass ihr öffentlicher Einfluss immer geringer wird. Offen Kritik an den Kirchen zu üben - von welcher Seite auch immer - ist normal geworden. Und trotzdem: Aus Bayern kommen zwei der profiliertesten Kirchenmänner der vergangenen Jahre, nämlich der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx und der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Sie haben sich auch immer wieder zu gesellschaftlichen und politischen Themen geäußert.
"Lebensschutz" - was steckt dahinter?
Söders Tipp an die Kirchen: Sie sollten sich doch auf andere Themen konzentrieren, zum Beispiel auf den Lebensschutz. Gemeint ist damit der Paragraf 218, in dem die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen geregelt ist. Auch die AfD spricht interessanterweise oft vom Lebensschutz und will die Möglichkeiten zur Abtreibung stark einschränken.
Regelmäßig sorgt der "Marsch für das Leben" für Aufsehen, an dem katholische Bischöfe teilnehmen, obwohl dort auch Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum dabei sind.
Gleichwohl ist die Abgrenzung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) von der AfD sehr deutlich, vor rund einem Jahr verabschiedeten die Bistumschefs eine klare Absage an Politik und Ideologie der AfD.
Ist Migration also wirklich kein kirchliches Thema?
Sich um den Abtreibungs-Paragrafen sorgen, aber bitteschön nicht um Migration? Das dürften die Kirchen eigentlich so nicht auf sich sitzen lassen. Auf katholischer Seite ist es immerhin der Papst in Rom höchstpersönlich, der sich immer wieder mit dem Thema Flucht und Vertreibung beschäftigt und zu einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten aufruft.
Gleich nach seinem Amtsantritt 2013 reiste Franziskus auf die Insel Lampedusa, auf der zahlreiche Menschen nach ihrer gefährlichen Flucht über das Mittelmeer gestrandet waren. Zehn Jahre später sagte er in Marseille: "Das mare nostrum schreit nach Gerechtigkeit, denn an seinen Ufern herrschen auf der einen Seite Überfluss, Konsum und Verschwendung, auf der anderen Seite hingegen Armut und Prekarität." Natürlich seien die Schwierigkeiten bei der Aufnahme der Migranten nicht zu übersehen. "Aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde." Den Papst besuchte Markus Söder übrigens zuletzt im Mai 2024 - und befand nach der Audienz, es komme für die Kirche darauf an, die Attraktivität ihrer Botschaft zu steigern.