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Kommentar nach Drama: Bodenhaftung bewahren, aber nichts kleinreden

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Nach dem dramatischen Viertelfinaleinzug gegen Atlético darf Real Madrid nicht abheben, findet REAL TOTAL-Redakteur Edin Soso – Foto: getty images

Ausgeglichene Bilanz

Wieviel kann ein Team ertragen, ohne umzufallen, ohne zu zerbrechen? Wieder einmal bewies Real Madrid, dass die sprichwörtliche Leidensfähigkeit inzwischen ein essentieller Bestandteil der eigenen Identität ist. Wieder einmal schafften es die Königlichen – allen Widrigkeiten zum Trotz, sei es der Gegentreffer nach dem ersten Angriff im Spiel, sei es der eigene verschossene Elfmeter – zu überleben und dem Gegner im letzten, entscheidenden Moment überlegen zu sein. Durch die Art und Weise, wie die Mannschaft von Carlo Ancelotti Atlético Madrid im Achtelfinale der Champions League ausschaltete, ist der Mythos Real Madrid um ein weiteres, historisches Kapitel reicher geworden.

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Gleichzeitig sollte gerade die Art und Weise des Triumphs im Estadio Metropolitano auch eine Art Warnung sein. Mit Blick auf die vielen Probleme des CL-Titelverteidigers muss zwingend Bodenhaftung bewahrt werden, denn keines der Probleme ist durch den Viertelfinaleinzug verschwunden. Die hochkarätig besetzte Offensive der Blancos schaffte es innerhalb der 120 Minuten trotz optischer Überlegenheit nicht, die Atlético-Defensive mehr als einmal ernsthaft zu gefährden – der verschossene Elfmeter von Vinícius Júnior war die einzige Großchance vor dem Kasten von Jan Oblak. Schon das Hinspiel im Bernabéu, in dem Real zwar die bessere Mannschaft war, offenbarte die altbekannte Schwäche: Im Spiel nach vorne fehlt es den Blancos schon seit Saisonbeginn an Konstanz, es fehlen erkennbare einstudierte Abläufe, Automatismen, man verlässt sich regelmäßig auf die – zweifelsfrei vorhandene – individuelle Klasse. Am Mittwochabend reichte nicht einmal die, um wenigstens einmal gegen Atlético zu treffen. Auch die personellen Probleme des spanischen Rekordmeisters sind weiterhin da und werden bis Saisonende auch nicht verschwinden, vor allem in der Defensive. Obwohl inzwischen durch die Rückkehr von David Alaba und den immer noch erstaunlich schnell reifenden Raúl Asencio die Personaldecke in der Abwehr nicht mehr so dramatisch dünn wie noch vor einigen Monaten ist, ist und bleibt der auf Kante genähte Kader der Blancos ein Ritt auf der Rasierklinge. So raubt man sich durch den ständigen Einsatz von Federico Valverde als Rechtsverteidiger nicht nur der eigenen Stärke im Mittelfeld, sondern man hat es geschafft den schier unzerstörbaren Uruguayer „kaputtzukriegen“ – Valverde läuft seit Wochen auf dem Zahnfleisch, musste erstmals in seiner Profikarriere mehrere Spiele hintereinander aussetzen.

Im Mittelfeld sieht es ähnlich aus. Mit Valverde fehlt im Zentrum der designierte Chef, durch die Verletzung von Dani Ceballos zudem ein wichtiger Stabilisator, Eduardo Camavinga kommt nach seiner Verletzung nicht richtig in Tritt, und man ist mittlerweile ein Stück weit vom beinahe 40 Jahre alten Luka Modrić abhängig. Dabei stehen die entscheidenden Wochen in der Champions League, LaLiga und der Copa del Rey erst noch bevor – das Duell gegen Atlético war nun mal erst das Achtelfinale, auch wenn es einem durch die zwei zusätzlichen Spiele in der Ligaphase sowie die Playoffs ganz anders vorkommt. Angesichts all der Sorgen und Probleme drängt sich die Frage auf: Wie soll das alles bloß gutgehen? Ist das Ausscheiden in der Champions League nur augeschoben?

Andererseits darf das bisher Erreichte aber auch nicht kleingeredet werden. Real Madrid ist immer noch aktiv im Rennen um alle drei verbliebenen Titel der Saison und dabei alles andere als chancenlos. In der Primera División kann am kommenden Wochenende, wenn mit Atlético und Barcelona die beiden Hauptkonkurrenten aufeinandertreffen, zumindest vorerst sogar wieder Tabellenspitze übernommen werden. Im spanischen Königspokal ist man nur noch einen kleinen Schritt von Finale entfernt und auf europäischer Bühne wartet mit Arsenal zwar eine starke, aber auf diesem Niveau auch immer noch unerfahrene Mannschaft auf Mbappé und Co. In der Premier League spielen die Gunners eine vor allem durch Inkonstanz geprägte Saison und in der Königsklasse ist Real Madrid in jeder Hinsicht ein ganz anderes Kaliber als PSV Eindhoven. Schon im Vorjahr scheiterte das gefühlt noch stärkere Team von Mikel Arteta in der Runde der letzten Acht am relativ zahnlosen FC Bayern – und dem Faktor Erfahrung. Geht man einen Schritt weiter, bereitet auch das seit Monaten erstaunlich stark aufspielende Paris Saint-Germain keine schlaflosen Nächte. Denn eines darf bei aller berechtigten Skepsis nicht untergehen: Mit Atlético Madrid schaltete das Ancelotti-Team eine der derzeit – defensiv wie offensiv – stärksten Mannschaften Europas. Der so hochgelobte FC Barcelona kann davon ein Lied singen: In zwei Heimspielen (!) schafften die Katalanen es gegen die Simeone-Truppe gerade einmal zu einem Unentschieden, kassierten dabei sechs Gegentreffer. Auf der anderen Seite ist Real gegen Atlético in der Liga zumindest unbesiegt, konnte in der CL einmal gewinnen und den Stadtrivalen wieder einmal im K.o.-Duell ausschalten, und kassierte in vier Spielen nur vier Gegentore. Das ist gegen dieses Atlético als Erfolg zu werten, zumal es gegen die Rojiblancos in den letzten zehn bis 15 Jahren immer und grundsätzlich schwierig, eng und dramatisch zuging, vor allem international.

Vom historischen Triple bis hin zu einer kompletten Nullrunde ist für die Merengues in dieser Saison weiterhin alles drin. Jetzt heißt es, nicht abzuheben, bescheiden zu bleiben, an eigenen Schwächen zu arbeiten, aber auch jetzt erst recht an die eigenen Stärken zu glauben. Vor allem dürfen aber keine weiteren langwierigen Verletzungen dazukommen. Dann ist tatsächlich alles möglich.

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