EU-Ratspräsident fordert Wende in Flüchtlingspolitik - viel Kritik

Die Flüchtlingskrise spaltet Europa. Viele Osteuropäer wollen den Andrang begrenzen. Nun stellt sich EU-Ratspräsident Tusk hinter sie.Dafür hagelt es Kritik. Die EU-Innenminister beraten am Freitag - über die Verteilung von Flüchtlingen und die Kontrollen der Grenzen.Berlin/Brüssel (dpa) - EU-Ratspräsident Donald Tusk hat von den EU-Staaten eine Wende in der Flüchtlingspolitik gefordert. «Niemand in Europa ist bereit, diese hohen Zahlen aufzunehmen, Deutschland eingeschlossen», sagte Tusk in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» und fünf weiterer europäischer Blätter. Konkret sprach er sich dafür aus, den Zustrom von Flüchtlingen durch eine drastische Ausdehnung der Prüfzeit auf 18 Monate zu bremsen.Damit befindet sich der EU-Ratspräsident auf Konfrontationskurs zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Tusk sagte mit Blick auf führende Politiker in Europa: «Manche von ihnen sagen, die Flüchtlingswelle sei zu groß, um sie zu stoppen. Das ist gefährlich.» Gesagt werden müsse vielmehr: «Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen.» Tusk schlug vor, sich 18 Monate Zeit zu lassen, um Flüchtlinge zu überprüfen. «Man kann und man sollte Migranten so lange aufhalten, bis die Überprüfung abgeschlossen ist.» Die Frage der Sicherheit dürfe nicht heruntergespielt werden. Der EU-Ratspräsident stellt sich damit hinter die osteuropäischen Staaten, die sich für eine stärkere Abschottung Europas aussprechen. Viele von ihnen lehnen die geplante Verteilung von 160 000 Flüchtlingen in Europa strikt ab. Nach der Slowakei hat nun auch Ungarn wie angekündigt gegen die Quotenregelung der EU zur Verteilung von Flüchtlingen vor dem Europäischen Gerichtshof Klage eingereicht. «Es reicht nicht, zu protestieren, man muss auch handeln», erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban in Budapest. Ungarn macht seit Monaten Stimmung gegen Flüchtlinge und hat den Zustrom durch den Bau von Zäunen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien sowie durch verschärfte Strafgesetze fast gänzlich gestoppt.Tusk löste mit seinen Äußerungen parteiübergreifend Empörung aus. Vor allem SPD, Grüne und Linke sprachen sich dagegen aus. Die Linke wertete seine Aussagen als «absolutes Armutszeugnis» und «Bankrotterklärung für die europäische Flüchtlingspolitik». Die Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, kritisierte, Tusk treibe die Spaltung der EU-Staaten in der Flüchtlingspolitik voran: «Der EU-Ratspräsident sollte zusammenführen und nicht polarisieren.» Über die Flüchtlingsfrage beraten die EU-Innenminister am Freitag in Brüssel. Dabei geht es um die beschlossene Verteilung von Flüchtlingen, die weiter nur schleppend in Gang kommt, sowie den Schutz der EU-Grenzen. In der Kritik steht Griechenland, das nach Ansicht vieler die europäischen Außengrenzen nicht ausreichend schützt. Deshalb wird über andere Maßnahmen nachgedacht. Laut Schengen-Grenzkodex können Staaten ihre Binnengrenzen bis zu zwei Jahre lang wieder kontrollieren, wenn ein Schengen-Land die EU-Außengrenzen nicht ausreichend schützt. Nach Medienberichten könnte auf diese Weise Athen aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden. Die EU-Kommission wollte dies nicht kommentieren. Eine Sprecherin verwies aber auf die beiden entsprechenden Artikel des Schengener Grenzkodex zu solchen Kontrollen und sagte: «Dies heißt nicht, jemanden hinauszuwerfen, sondern es geht um ernsthafte und anhaltende Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen und die Frage, ob man diese feststellen kann oder nicht.» Bei den Innenministern liege ein entsprechendes Papier auf dem Tisch.Seit Monaten gibt es Klagen aus den EU-Staaten, dass Griechenland die vielen ankommenden Flüchtlinge nicht registriert und diese unkontrolliert in andere EU-Länder weiterreisen. Innerhalb des von 26 europäischen Staaten gebildeten Schengen-Raumes gibt es keine Grenzkontrollen, doch sind alle Staaten zur Sicherung der EU-Außengrenze verpflichtet.In Griechenland wehrte sich der stellvertretende Minister für Migrationspolitik, Ioannis Mouzalas, gegen die Schuldzuweisungen anderer EU-Länder. Solange man die Schmuggler an den türkischen Küsten nicht aufhalte, könne Athen auch nicht verhindern, dass überfüllte Boote an den griechischen Inseln anlandeten. Sie zurückzudrängen sei gleichbedeutend damit, die Menschen ertrinken zu lassen, sagte er. Griechenland bat am Donnerstag die EU wegen der Flüchtlingskrise um Unterstützung und forderte in Brüssel Notfallhilfe an.