In solchen Fällen wurde jedoch kein „vollständiges“ Insolvenzverfahren eingeleitet, sondern lediglich ein Konkursverfahren über das Vermögen der liquidierten Gesellschaften eröffnet. Der Oberste Gerichtshof Russlands hat sich nun aber mit dem Fall eines zyprischen Unternehmens beschäftigt und sich zur Einleitung eines umfassenden Insolvenzverfahrens über eine im Betrieb befindliche ausländische Organisation geäußert. Hintergrund des Falls: Zwei russische Staatsbürger – die Brüder Alexej und Konstantin Mauergauz – hatten auf Zypern die Gesellschaft Westwalk (Schuldnerin) gegründet, die ausschließlich in Russland tätig war und hier über Vermögenswerte verfügte. Als es zu einem Konflikt zwischen ihnen kam, wurde das Geschäft aufgeteilt. Konstantin blieb der Alleingesellschafter von Westwalk, während Alexej eine neue zyprische Gesellschaft (Klägerin und Gläubigerin) gründete, auf die ein Teil der Immobilien der Schuldnerin übertragen wurde. Westwalk überwies jedoch die von den Mietern dieser Einkaufzentren geleisteten Kautionen nicht an die Gläubigerin, die daraufhin diese Schulden vor einem russischen Gericht einklagte und anschließend die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Bezug auf Westwalk beantragte. Inzwischen war ein usbekischer Staatsangehöriger Alleingesellschafter der Schuldnerin geworden. Ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen in Russland war auf eine Zwillingsgesellschaft übertragen, deren Alleingesellschafter Konstantin Mauergauz war. In erster Instanz wurde die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt und darauf verwiesen, dass Gläubigerin und Schuldnerin verbundene Personen sind, die das Insolvenzverfahren dazu nutzen könnten, die Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ausländischen Gläubigern zu vermeiden. Das Gericht stellte ferner fest, dass die verbundenen Personen im Rahmen des gewählten Geschäftskonzepts (Gründung eines Unternehmens im Ausland, das jedoch in Russland tätig ist) das Risiko tragen sollten, dass ihnen in der Russischen Föderation kein Rechtsschutz gewährt wird. Das Berufungs- und das Kassationsgericht schlossen sich dieser Argumentation an. Nicht jedoch das Oberste Gericht: Es verwies den Fall zur Neuaufnahme des Verfahrens zurück. Es wurde darauf hingewiesen, dass die russischen Arbitragegerichte berechtigt sind, Fälle mit Auslandsbezug zu behandeln, wenn eine enge Verbindung des streitigen Rechtsverhältnisses mit Russland besteht, z.B. wenn die Gesellschaft eine dauerhafte wirtschaftliche Tätigkeit in Russland ausübt, das Vermögen der Gesellschaft sich in Russland befindet und ein erheblicher Teil der Gläubiger russische Personen sind. Der Oberste Gerichtshof hat auch Konzepte aus dem UNCITRAL-Modellgesetz über grenzüberschreitende Insolvenz verwendet und darauf hingewiesen, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) des Schuldners bestimmt werden muss. Dabei ist u.a. der Ort, an dem sich das Hauptvermögen und die meisten Gläubiger der Schuldnerin befinden, sowie der Ort, an dem die Schuldnerin ihre Tätigkeit ausübt und ihre Haupteinkünfte bezieht, zu berücksichtigen. Je nachdem, ob sich der COMI in Russland oder im Ausland befindet, ist zu entscheiden, ob ein primäres oder sekundäres (lokales) Insolvenzverfahren in der Russischen Föderation durchgeführt werden soll. Das Hauptverfahren erstreckt sich auf das gesamte Vermögen der Schuldnerin und aller Gläubiger, unabhängig davon, in welchem Land sie sich befinden. Das Sekundärverfahren erstreckt sich auf Gläubiger und Vermögen, die mit der Tätigkeit der Schuldnerin in Russland verbunden sind. Seine Einführung ist durch den Schutz der russischen Gläubiger bedingt, die aufgrund von Sanktionen und der hohen Kosten für die Einleitung eines Hauptverfahrens im Ausland möglicherweise keinen Zugang zur ausländischen Gerichtsbarkeit haben. Bei der erneuten Prüfung des Falls sind die unteren Gerichte gehalten, die Klarstellungen des Obersten Gerichtshofs zu berücksichtigen und die vom Antragsteller angeführten Umstände zu überprüfen.
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