Beauftragte für Antidiskriminierung: Ferda Ataman im Osten: unterwegs in der Blase
Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen steht die Zivilgesellschaft unter Druck. Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman kann daran nicht viel ändern – es sei denn, sie überzeugt auch Andersdenkende.
Ferda Ataman kann nur hilflos zuschauen, als der Landrat aus dem Raum stürmt. „Ach, lassen wir das! Ich muss jetzt sowieso zum nächstem Termin“, sagt Johann Waschnewski noch mit kalter Stimme. Klack, Tür zu, Dialog gescheitert. Es ist der erste Moment auf Atamans Reise durch Thüringen und Sachsen, auf der die Antidiskriminierungsbeauftragte zu spüren bekommt: Was Diskriminierung ist und was nicht, ist hier fernab von Berlin ein Reizthema.
Ataman ist nicht der Auslöser für Waschnewskis Ärger. Einige Minuten vorher sitzt sie neben ihm am Kopf einer langen Tafel im Eisenberger Schloss. Über ihr hängt ein Kronleuchter, an der langen Tafel versammelt sind ein Dutzend Engagierte, die sich in der Region gegen Diskriminierung einsetzen. Gerade hat Ataman Waschnewski, den frisch gewählten Landrat des Saale-Holzland-Kreises in Thüringen, gefragt, wie es denn hier klappe mit der Integration von Fachkräften.
Der CDU-Mann, Ende 30, antwortet mit einer persönlichen Anekdote: Er spiele Fußball mit einem Usbeken, der als Fachkraft nach Thüringen kam. Am Anfang half Waschnewski noch beim Dolmetschen. Doch nun müsse er das nicht mehr, der Mann habe mittlerweile gut Deutsch gelernt. „Denn das braucht es eben auch, den Willen, die Sprache zu lernen und sich einzubringen“, sagt Waschnewski.
Eine Frau von der Tafel unterbricht ihn mitten im Satz: „Aber Herr Waschnewski, es geht nicht nur darum, was der einzelne Mensch macht!“, ruft sie quer über den Tisch. „Es gibt auch so etwas wie strukturelle Diskriminierung, im Alltag, auf dem Amt.“ Daraufhin geht Waschnewski.
Für Atamans Reise durch die Ost-Bundesländer ist die Szene ein schlechtes Omen. Denn eines wird sich dabei zeigen: Wer die Zivilgesellschaft hier, weit weg von der nächsten Großstadt, schützen will, muss dafür breite gesellschaftliche Unterstützung finden. Von der Flüchtlingshelferin bis zum CDU-Landrat. Diejenigen, die wie Ataman glauben, jeder „sollte das Recht haben, zu wandern“ – und diejenigen, die davon weniger überzeugt sind.
Ataman reist durch Thüringen und Sachsen, weil hier viele Initiativen das Ergebnis der Landtagswahlen im September fürchten. Was, wenn die AfD an Macht gewinnt, wenn sie den Haushalt mitbestimmen kann? Nicht ausgeschlossen, dass die Zivilgesellschaft dann zusammenbricht, weil massenhaft Fördergelder gestrichen werden. Auch Ataman spricht von einer Schicksalswahl: „Wird die AfD hier stärkste Kraft, fühlen sich dadurch noch mehr Menschen bestärkt, andere offen zu diskriminieren.“
"Gehe nachts nicht mehr allein auf die Straße"
Nächster Stopp ist Weimar. Die Kleinstadt hat es ihr angetan. Ataman schlendert durch die Fußgängerzone. Vorbei an Schillers Wohnhaus, den Boutiquen und Cafés in den Altbauten, frisch gestrichen in Pastellfarben. Sie sagt: „Es ist ja so schön hier, aber dann…“ Sie führt den Satz nicht zu Ende, doch es ist klar, was sie sagen will.
Denn gerade hat sie in einem der pastellfarbenen Altbauten Ayman Qasarwa getroffen, den Vorsitzenden des Weimarer Ausländerbeirats. Er ist ein ruhiger Mann mit breitem Lächeln, das verschwindet, wenn er Sätze sagt wie: „Seit einiger Zeit gehe ich hier nachts nicht mehr alleine auf die Straße“, aus Angst vor einem rassistischen Angriff. Und wenn doch, nur mit einem Schlüssel in der Hand.
„Ich hatte dieses Gefühl schon einmal“, erzählt er Ataman, „in den 90er Jahren.“ Ebenjene 90er also, über die man später als „Baseballschlägerjahre“ raunte. In denen Neonazis Migranten und linke Jugendliche durch die Straßen ostdeutscher Kleinstädte jagten, sie verprügelten, wenn sie sie zu fassen bekamen. Ayman Qasarwa scheint überzeugt: Diese Gewalt kommt gerade wieder.
Ataman ist gekommen, um zuzuhören. Sie will sich von Erfahrungen berichten lassen, die Menschen wie Qasarwa hier machen. Sie will wissen, ob die Lage für Angehörige von Minderheiten tatsächlich so dramatisch ist, wie es aus Berlin scheint. „Meistens bekomme ich von hier ja nur das mit, was in der Tagesschau läuft“, sagt sie.
Wo immer sie hinkommt, geben die Initiativen ihr vor allem Aufträge mit. Überall hört sie: Wir haben zu wenig Geld, und viel zu wenig Personal. In Thüringen gibt es gerade einmal sechs Berater, die die nötige Ausbildung haben, um zum geltenden Recht zu beraten, im schlimmsten Falle auch eine Klage einzureichen.
Klinkenputzen für Fördermittel
In Weimar macht Ataman den Initiativen ein Angebot: Wenn sie wirklich nicht mehr weiterwüssten, könnten sie ja immer bei ihrer Antidiskriminierungsstelle in Berlin anrufen. Und dann, Frau Ataman? „Tja, das ist eine gute Frage“, sagt sie und wirkt kurz etwas ratlos. Sie könne den Hilferuf dann nur an die Bundesregierung weitergeben. „Schließlich muss ich auch immer Klinkenputzen gehen, um Fördermittel zu bekommen.“
Das ist die Tragik an Atamans Aufgabe: Sie ist die erste Antidiskriminierungsbeauftragte, die vom Bundestag gewählt wurde. Das verleiht ihr Legitimität. Aber wie ihre Vorgängerinnen kann sie nur wenig Geld verteilen. Gesetze, die das ändern würden, versanden gerade im Bundestag. Es reicht auf jeden Fall nicht, um ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen: Dass hier im ländlichen Raum jede und jeder, der wegen Herkunft, Sexualität, Behinderung oder Alter diskriminiert wird, in seiner Nähe eine Beratungsstelle findet.
Noch utopischer erscheint dieses Ziel mit Blick auf die Landtagswahlen im September. Umfragen aus dem Juni prognostizieren der AfD in Thüringen über 28 Prozent der Stimmen, in Sachsen 31. Sie würde die Thüringer Antidiskriminierungsstelle am liebsten abschaffen, daraus macht die Partei keinen Hehl. Damit könnte es bald nicht mehr, sondern weniger Beratungsstellen geben.
Jetzt muss Ferda Ataman auch Andersdenkende überzeugen
Ferda Ataman trifft auf ihrer Reise vor allem auf Gleichgesinnte. Sie besucht zivilgesellschaftliche Initiativen, eine linke Modemarke und ein Unternehmen, das sich für Vielfalt einsetzt. Mit ihrem Besuch schätzt sie deren Arbeit wert. Aber sie bewegt sich eben auch in einer Blase, die ähnlich denkt wie sie. Und zur Wahrheit gehört auch: Diese Blase kann sich im Osten nicht mehr selber helfen, weil ihr dafür immer häufiger Mehrheiten fehlen.
Das zeigt ein Fall aus Görlitz, wo Ataman den Aufbau einer Beratungsstelle für den ländlichen Raum unterstützt. Dort besucht sie das soziokulturelle Zentrum „Rabryka“, eine alten Waggonfabrik, darin ein Jugendzentrum, Räume für Vereine, ein Konzertsaal. Und vielleicht bald eine Beratungsstelle gegen Diskriminierung.
Wenn es die „Rabryka“ dann noch gibt. Denn schon länger möchte die AfD-Fraktion im Stadtrat deren Mietvertrag kündigen. Nach den Kommunalwahlen vergangenen Monat muss sie nur noch fünf weitere Stadträte von diesem Vorhaben überzeugen, dann müsste das Zentrum schließen. Hier bekommt die Brandmauer plötzlich eine ganz praktische Bedeutung.
Vielleicht muss Ferda Ataman auf ihrer nächsten Reise nach Ostdeutschland also vor allem eines tun: überzeugen. Diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit dem Aufbruch in eine diskriminierungsfreie Welt beschäftigen. Den bürgerlichen Stadtrat in Sachsen, den konservativen Landrat in Thüringen. Denn am Ende werden es womöglich sie sein, die vor Ort über das Schicksal der Zivilgesellschaft entscheiden.