Kanzlerkandidatur: Mächtige Abgeordnete rücken von Olaf Scholz ab
Während Olaf Scholz in Rio weilt, zerfällt in der SPD seine Autorität. Die Chefs der Parteiflügel gehen auf Distanz zu ihm.
Die Frage der Kanzlerkandidatur ist in der SPD noch nicht zugunsten von Bundeskanzler Olaf Scholz entschieden. Nun bekommt er kalten Gegenwind: Erstmals melden sich in der Debatte über Scholz' Kandidatur zwei führende SPD-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen mit Zweifeln zu Wort.
"Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius", teilten die beiden Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag, Dirk Wiese und Wiebke Esdar, mit und berichten von einer kritischen Debatte in den Wahlkreisen.
Sie betonen zudem: "Das aktuelle Ansehen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist stark mit der Ampel-Koalition verknüpft. Mit einigem Abstand werden seine Arbeit und seine Entscheidungen für unser Land mit Sicherheit weitaus positiver beurteilt werden." Klar sei, dass "letztlich die Parteigremien über die Frage der Kanzlerkandidatur entscheiden, das ist auch der richtige Ort dafür."Scholz Klingbeil SPD Analyse 15:26
Widersprüchliche Haltungen innerhalb der SPD
Das Statement ist brisant und auch von Gewicht, weil Esdar Co-Vorsitzende der Gruppe der Parlamentarischen Linken und Wiese der Co-Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion sind. Es löste auch innerhalb der Landesgruppe Empörung aus. "Diese Statement der Vorsitzenden ist nicht in der NRW-Landesgruppe beschlossen worden", sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer der Nachrichtenagentur Reuters am Abend. "Es ist missverständlich, schwächt den Bundeskanzler und hat bei den SPD-Bundestagsabgeordneten keine Mehrheit. Ich habe sofort für morgen eine Sondersitzung der NRW-MdBs beantragt."
Zudem stehen die Äußerungen von Wiese und Esdar im Widerspruch zu den Äußerungen der SPD-Parteivorsitzenden, des ebenfalls aus NRW stammenden Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, sowie des SPD-Generalsekretärs Matthias Miersch, die sich zuletzt alle klar für Scholz ausgesprochen und die Debatte für beendet erklärt hatten.
Ein formaler Nominierungsbeschluss etwa im SPD-Präsidium oder im SPD-Bundesvorstand für Scholz fehlt aber noch. Die Parteispitze wollte damit ursprünglich bis Ende November warten. Klingbeil hatte angedeutet, dass man dies auch vorziehen könne.Abgeordnete pro Scholz 6:22
Boris Pistorius oder Olaf Scholz?
Seit Tagen gibt es in der SPD sowohl Stimmen, die sich für Boris Pistorius aussprechen, weil sie glauben, dass die SPD mit dem Verteidigungsminister laut Umfragen bessere Chancen hätte. Andere SPD-Politiker sprechen sich dagegen für eine schnellere Nominierung von Scholz aus, um die parteiinterne Debatte zu beenden. Unterstützung erhält Scholz etwa aus der Parteiführung und von Kabinettsmitgliedern der SPD. Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, die auch stellvertretende Parteivorsitzende ist, sagte dem stern: "Die SPD stellt den Kanzler, das ist eine große Chance. Deshalb ist Olaf Scholz der natürliche und richtige Kanzlerkandidat."
Pistorius schließt eine Kanzlerkandidatur grundsätzlich nicht aus, betont aber die Loyalität zu Scholz und erklärt, dass das Kanzleramt nicht seiner Lebensplanung entspreche.
Aus Sicht des früheren SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans sollte sich die Partei nicht mehr viel Zeit zur Klärung der K-Frage lassen. Scholz habe das Land in einer extrem schweren Zeit vor viel Bedrohlichem bewahrt, lobte Walter-Borjans einerseits in der "Rheinischen Post". Er betonte zugleich: "Wahr ist aber auch, dass Merz nur mit einem Kanzler zu verhindern wäre, der auf den letzten Metern die Kraft aufbringt, selbstkritisch und nahbar den Unterschied deutlich zu machen. Das ist bisher Olaf Scholz' schwacher Punkt". Die Verantwortlichen müssten nun "bitte rasch entscheiden", forderte Walter-Borjans, "notfalls in einer Nachtsitzung".Interview Anke Rehlinger 6.19
Die SPD liegt in Umfragen bei 15 bis 16 Prozent, die Union mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist mindestens doppelt so stark. Zugleich gehört Pistorius im Gegensatz zu Scholz zu den beliebtesten Politikern in Deutschland. Eine neue Umfrage untermauert dies. Im Politikerranking, das vom Insa-Institut für die "Bild" wöchentlich erstellt wird, steht Pistorius ganz oben. Dagegen ist Scholz vom 19. auf den 20. und letzten Platz abgerutscht, der Zeitung zufolge zum ersten Mal.