Analyse: Mildes Urteil nach Vergewaltigung – damit der Täter Beamter bleiben darf?
Die Anklage lautete auf Vergewaltigung, die Strafe war vergleichsweise mild. Das Urteil gegen einen Feuerwehrmann sorgt für Diskussionen. Spielte sein Beamtenstatus eine Rolle?
Ein Feuerwehrmann vergewaltigt eine schlafende Frau. Und darf weiter Staatsdiener bleiben. Um seine Zukunft zu schützen, wie die Richterin andeutete. Die Empörung über das Urteil ist groß, zu beobachten in den sozialen Medien. Kann das, darf das sein?
Zunächst die Fakten: Das Amtsgericht München hat soeben einem 28-Jährigen den Prozess gemacht. Das Opfer, eine junge Frau, "wird den Rest ihres Lebens nicht mehr dieselbe sein wie vor dem Vorfall", erkannte die Richterin. Sie fällte mit zwei Schöffen dennoch ein mildes Urteil. Elf Monate auf Bewährung. Ein höheres Urteil hätte seine Entlassung als Beamten zur Folge gehabt. Diese Härte wollte die Richterin dem Feuerwehrmann nicht zumuten.
Die Staatsanwaltschaft hat schon angekündigt, in Berufung zu gehen. "Wir sind der Ansicht, dass die Strafe höher hätte ausfallen müssen, weshalb wir ein Jahr und sechs Monate zur Bewährung beantragt haben", sagt eine Sprecherin.
Jede Penetration ist eine Vergewaltigung
Der Feuerwehrmann hatte eine 31-jährige Bekannte nach Hause begleitet. Ihr war schwindelig geworden, zu Hause schlief die Frau auf dem Sofa ein. Der Feuerwehrmann nutzte das offenbar aus. Wie sich im Verfahren herausstellte, zog er den Rock der Frau hoch und ihre Strumpfhose herunter. Danach berührte er die Vagina der Frau und drang "mit einem nicht mehr genau feststellbaren Körperteil für zirka 5-6 Sekunden vaginal in die Geschädigte ein". So gibt es eine Sprecherin des Amtsgerichts wieder. Zwar sei jede Penetration eine Vergewaltigung, aber was genau geschehen sei, habe nicht rekonstruiert werden können. "Das Schöffengericht ging davon aus, dass ein Eindringen mit dem Glied nicht nachweisbar sei."
Der Feuerwehrmann berief sich zudem auf Gedächtnislücken. Er hatte mehr als zwei Promille.
Ein Gericht habe auch die Folgen einer Strafe zu berücksichtigen, sagt die Sprecherin weiter. Dazu gehörten auch berufliche Nachteile.
Das Gesetz sieht für Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren und bis zu 15 Jahren vor. Zur Wahrheit gehört: Die Anklage war in Teilen vage gewesen. Und der Täter hatte sich bei dem Opfer entschuldigt und ihm 6000 Euro gezahlt.
Besondere Milde für Staatsdiener?
Dennoch hinterlässt dieser Fall Fragen. Denn immer wieder gibt es Beispiele dafür, die den Eindruck erwecken, dass Staatsdiener auf Milde der Gerichte hoffen dürfen. Oder aber, dass Entscheidungen der Gerichte keiner einheitlichen Linie folgen.
Wenn ein Beamter wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert er den Beamtenstatus – und seine Pensionsansprüche. Ohne Wenn und Aber. Selbst bei Feuerwehrleuten und Polizisten, die die innere Sicherheit wahren sollen.
Kürzlich hat ein Professor aus Göttingen seinen Beamtenstatus verloren. Der Professor hatte zwei Doktorandinnen und eine Labormitarbeiterin sexuell belästigt. Es gab einen jahrelangen Rechtsstreit – bis zum Bundesgerichtshof.
Besondere Gnade wurde dagegen einem Polizeichef aus Schleswig-Holstein zuteil. Der Mann, dem mehrere hundert Polizisten unterstellt waren, hatte auf seinem privaten Rechner 230 kinderpornografische Fotos gespeichert und war 2012 bei einer bundesweiten Razzia erwischt worden. Die Justiz erledigte das Verfahren schnell mit einem Strafbefehl über 9000 Euro. So blieb dem Polizeichef eine öffentliche Gerichtsverhandlung erspart. "Sollte da etwas unter der Decke gehalten bleiben", argwöhnten die "Lübecker Nachrichten" und fragten bei der Staatsanwaltschaft nach. Der Strafbefehl sei doch ein "gängiges Instrument", um Verfahren "unkompliziert abzuschließen", sagte ein Sprecher. Auch der Innenminister zeigte sich gnädig. Zwar musste der Mann seinen Chefsessel räumen, Polizist aber durfte er bleiben.
Protokoll Fürst Einbruch 21.10
Bundesverwaltungsgericht: Polizisten, die Kinderpornos besitzen, sind untragbar
Erst drei Jahre später, im Jahr 2015, entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass Polizisten, die Kinderpornos besitzen, grundsätzlich untragbar seien. Der Anlass: Drei Polizisten aus Thüringen, Berlin und Brandenburg hatten gegen ihre Entlassung geklagt. Und verloren. Sie hatten auf ihren privaten Rechnern Kinderpornografie angesehen. Ein Polizist hatte das Material sogar verbreitet.
Vor dieser Grundsatzentscheidung durften Polizisten selbst bei schweren Übergriffen auf Milde hoffen. In Bremen durfte Ende der 1990er-Jahre sogar ein Kripobeamter im Dienst bleiben, der eine Frau auf der Wache zum Oralverkehr gezwungen hatte. Der Polizeichef wollte ihn rauswerfen. Und scheiterte an Verwaltungsrichtern. Es reiche, dem Polizisten die Dienstbezüge zu kürzen, entschieden sie. Der Mann blieb Polizist.
Wie auch Olaf B. Sein Fall hat Rechtsgeschichte geschrieben. Der Polizeiobermeister war pleite, veruntreute Geld. Nicht als Polizist, sondern als Privatmann. Sachsens Innenminister wollte ihn rauswerfen, scheiterte aber vorm Bundesverwaltungsgericht. Es würde doch reichen, dem Polizisten die Dienstbezüge zu kürzen, entschieden die Richter 2015. Ergo: Kriminelle Polizisten dürfen durchaus im Dienst bleiben.
Polizist zwang Frau, sich auszuziehen
Im Jahr 2020 wurde ein 48-jähriger Polizist im oberpfälzischen Weiden zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Er hatte eine 25-jährige Frau bei einer Verkehrskontrolle gezwungen, sich auszuziehen. Zudem hatte er laut Presseberichten schon 2008 eine junge Frau sexuell genötigt, die er im Dienst kennengelernt hatte. Damals war er mit neun Monaten auf Bewährung davongekommen. Eine Entlassung aus dem Dienst war offenbar kein Thema. Seinem zweiten Opfer wäre die bittere Erfahrung erspart geblieben. Erst nach dem letzten Urteil wurde er entlassen.
Nicht mal, wenn Polizisten Drogen nehmen, verlieren sie in der Praxis zwangsläufig ihren Job. In Hamburg wurde ein Hauptkommissar erwischt, als er auf dem Kiez vier Beutelchen Marihuana kaufte. Von einem Dealer, den er eigentlich hätte dingfest machen müssen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen 1000 Euro Geldbuße 2019 ein. Der Beamte darf nun zwar keine Polizisten mehr unterrichten. Im Dienst durfte er trotzdem bleiben.
Genau wie ein Polizeikommissar aus Niedersachsen, der Amphetamine und Kokain konsumiert hatte. Der Innenminister wollte ihn loswerden. Doch das Verwaltungsgericht Hannover ließ 2013 Gnade walten und kürzte die Bezüge des Polizisten.
Den Feuerwehrmann aus München erwartet nun ein Disziplinarverfahren. Das ist unabhängig vom Strafverfahren. Es kann passieren, dass ein Beamter vom Strafrichter Bewährung bekommt, der Dienstherr ihn aber trotzdem rausschmeißt. Auch dafür gibt es Beispiele. Außerdem droht dem Feuerwehrmann aus München ein zweiter Prozess vor dem Landgericht. Es kann das Urteil des Amtsgericht revidieren. Oder eben nicht. Durch den Presserummel dürfte der Mann belastet werden. Auch das kann das Landgericht als strafmildernd werten.