Interview: SPD-Generalsekretär Miersch: "Die Union wird das Kanzleramt nicht bekommen"
Die SPD taumelt durchs Umfragetal, doch ihr Generalsekretär ist sich sicher: nicht mehr lange. Matthias Miersch über die Schwächen der Konkurrenz und die Aufholjagd des Kanzlers.
Herr Miersch, vor 100 Tagen sind Sie SPD-Generalsekretär geworden, in 39 Tagen wird schon gewählt. Auf was für einen Höllenritt haben Sie sich denn da eingelassen?
Der Job ist spannend und bereichernd, natürlich auch fordernd. Das gehört aber zur Verantwortung dazu, die ich gern trage.
Schalten Sie überhaupt mal ab?
Ich nehme mir bewusst Freiräume, um durchzuatmen.
In 100 Tagen hat Ihnen die Union ausweislich der aktuellen Umfragen das Kanzleramt abgeknöpft, die SPD ist seit Wochen zwischen 14 bis 16 Prozent einbetoniert. Warum?
Die Union wird das Kanzleramt nicht bekommen. Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen. In den nächsten Wochen werden sich die Menschen mit den Programmen beschäftigen und die großen Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU erkennen, nicht nur beim Personal. Friedrich Merz steht für eine Politik des Gestern: Er ist gegen E-Mobilität, gegen Windkraft und jetzt wettert er auch noch gegen nachhaltigen Stahl. Er verunsichert damit ganze Branchen. Die SPD kämpft für eine starke Wirtschaft und jeden Arbeitsplatz. Und dass vom Wirtschaftswachstum auch etwas bei den normalen Leuten ankommt.
Also ja: Mit einer SPD-Regierung wird der Mindestlohn auf 15 Euro steigen
Die SPD versucht Olaf Scholz als Retter in der Not zu inszenieren – dabei hat er die Not doch selbst herbeigeführt. Wie passt das zusammen?
Mit Verlaub, es war Putin, der Krieg nach Europa gebracht hat. Die Folgen spüren wir bis heute. Trotzdem hat Olaf Scholz die Energieversorgung gesichert, die Preise stabilisiert und eine schwierige Koalition in schwierigen Zeiten geführt. Ihren Bruch hat die FDP, wie wir jetzt wissen, provoziert und geplant. In unsicheren Zeiten, in denen der künftige US-Präsident Donald Trump heißt, werden die Bürgerinnen und Bürger sich daran erinnern, wer dieses Land durch schwierige Zeiten geführt hat. Die Karten werden jetzt neu gemischt.
Die SPD-Versprechen im Programm klingen ja schön und gut, viele Details sind aber offen, angefangen beim Mindestlohn. Der soll "spätestens ab 2026" bei 15 Euro liegen – indem Sie ihn wieder politisch festlegen?
Wir geben der Mindestlohnkommission die Chance, die europäische Mindestlohnrichtlinie zu berücksichtigen. Wir werden abwarten, wie sie entscheidet. Am Ende können wir, wie auch schon 2021, den Stillstand in der Kommission durch gesetzgeberisches Handeln ersetzen. Also ja: Mit einer SPD-Regierung wird der Mindestlohn auf 15 Euro steigen.
Scholz will "das eine Prozent mit den allerhöchsten Einkommen etwas stärker in die Pflicht nehmen". Wie?
Wir wollen vor allem 95 Prozent der Steuerzahler spürbar entlasten. Denn gerade für Familien ist das Leben in den letzten Jahren teurer geworden. Facharbeiter entlasten wir, indem der Spitzensteuersatz künftig erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 93.000 Euro für Singles greifen soll – dafür aber von 42 auf 45 Prozent steigt. Auch der Reichensteuersatz, den wirklich nur die absoluten Topverdiener zahlen, soll von 45 auf 47 Prozent angehoben werden. Am Ende zahlen Paare ab 284.000 Euro Jahreseinkommen nach unserem Modell mehr. Das ist fair. Und im Gegensatz zur CDU, die das Blaue vom Himmel verspricht, sind unsere Vorschläge solide finanziert.
Und was genau schwebt der SPD bei der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und der höheren Erbschaftsteuer vor? Hier nennen Sie keine Zahlen.
Uns geht es um Millionenvermögen und um einen hohen Vermögensstand bei den Erbschaften – also nicht um das vererbte Einfamilienhaus. Die Vermögenssteuer ist eine Ländersteuer. Das Geld, das wir dadurch einnehmen, soll von den Ländern gezielt für Investitionen in Bildung genutzt werden. Etwa zur Finanzierung eines kostenlosen Mittagessens in Schulen, mit dem wir Familien entlasten und für ein warmes Mittagessen für jedes Kind sorgen.
Was meinen Sie mit "Millionenvermögen"? Greift die neue Vermögenssteuer ab einer Million Euro?
Nein, es wird nicht direkt bei einer Million Euro beginnen. Wir werden die Zahlen im Rahmen der Gesetzgebung konkretisieren.
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck fordert eine "Milliardärssteuer". Warum kommt die SPD eigentlich nicht auf so eine Idee?
Die Milliardärssteuer von Herrn Habeck setzt aus meiner Sicht zu spät an. Auch Multimillionäre können mehr Verantwortung übernehmen, nicht erst Milliardäre. Unser Konzept ist zielgerichteter.
Weniger Küchentisch und mehr Schreibtisch täte Habeck gut
Aber grundsätzlich macht Habeck das im Wahlkampf ganz gut, oder? Gibt sich nahbar am Küchentisch, angriffslustig in der Auseinandersetzung …
Weniger Küchentisch und mehr Schreibtisch täte Habeck gut. Unser Land steckt mitten in der Rezession und der Wirtschaftsminister findet die Zeit, Bücher zu schreiben, lässt aber wichtige Gesetzesvorhaben wie die Kraftwerkstrategie liegen. Die Prioritäten stimmen hier nicht.
Wir haben den Eindruck, die SPD verliert im Wahlkampf keine Silbe über Habeck. Aus Angst davor, dass er der Hauptkontrahent von Friedrich Merz wird?
Die SPD hat sicher keine Angst vor Herrn Habeck. Das Duell um die Kanzlerschaft findet zwischen Oppositionsführer Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz statt.
Mit Blick auf die aktuellen Umfragen liefern sich Scholz und Habeck gerade ein Duell um Platz 3.
Die Umfragen sind sehr volatil. In allen, bis auf einer, liegen wir vor den Grünen. Aber das sind alles Momentaufnahmen. Fakt ist: Es steht der amtierende Kanzler zur Wahl gegen Friedrich Merz, den Oppositionsführer.
Die SPD setzt auf einen Abgrenzungswahlkampf zur "Merz-CDU". Kann nur noch das Schlechtreden der anderen die Kanzlerschaft von Scholz retten?
Nein. Nun liegen die Programme vor und die Unterschiede werden deutlich. Über die Steuerpläne von Friedrich Merz haben wir bereits gesprochen. Jemand, der eine Million im Jahr verdient, zahlt bei uns 20.000 Euro mehr, damit die restlichen 95 Prozent entlastet werden können. Bei der CDU werden Millionäre um 24.000 Euro entlastet. Das ist doch absurd und zeigt, für wen Friedrich Merz Politik macht.
Auf welche Koalition setzt die SPD?
Erstmal setze ich darauf, dass die SPD weiterhin den Kanzler stellt. Grundsätzlich gilt, dass alle Parteien in der demokratischen Mitte koalitionsfähig sein müssen. Ich sage aber auch: nicht zu jedem Preis.
Wie meinen Sie das?
Es muss Grundprinzipien geben. Sie können ganz sicher sein, dass die SPD eine Umverteilung zugunsten der oberen zehn Prozent unter keinen Umständen mitmachen wird.
Können Sie sich dann – wie der Kanzler – eine erneute Koalition mit der FDP vorstellen?
Die Planung des Koalitionsbruchs hat viel Vertrauen zerstört, auch auf der persönlichen Ebene.
Nach Stand der Dinge ist eine Große Koalition unter Führung der Union die einzig realistische Machtoption für die SPD …
… über diese Fragen mache ich mir keine Gedanken. Jetzt geht es erstmal darum, dass die SPD stärkste Kraft wird.
Der Streit in der Ampel-Koalition hatte zerstörerische Elemente
Ihre Mitbewerber sind transparenter: Die CSU schließt Schwarz-Grün aus, die FDP wirbt offensiv für Schwarz-Gelb. Wollen Sie den Wählern nicht sagen, woran Sie mit der SPD sind?
Eine solche Festlegung wäre unehrlich. Niemand kann das Wahlergebnis vorhersehen. Es gebührt der Respekt vor dem Wähler, das Ergebnis abzuwarten, es zu bewerten und dann in Verhandlungen zu gehen. Herr Söder ändert jeden zweiten Tag seine Meinung. Auch in inhaltlichen Fragen ist er sehr wechselhaft. Es ist offensichtlich, dass er taktiert.
Unionskanzlerkandidat Merz rechnet mit einem SPD-Ergebnis von über 20 Prozent. Wie viel Prozent trauen Sie der CDU zu?
Guter Versuch. Ich finde es putzig, jetzt über Zahlen zu spekulieren. Erstmal geht es um Inhalte, nach der Wahl dann um Prozentpunkte. Nicht umgekehrt.
Im Wahlkampf wird einhellig von verdammt ernsten Zeiten gesprochen, die schnelles Handeln erfordern würden. Muss bis Ostern die nächste Bundesregierung stehen?
Eine neue Regierung bis Ostern wäre wünschenswert. Donald Trump stellt europäische Grenzen infrage. Menschen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz. Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden. Die nächste Regierung muss schnell und zwingend Stabilität schaffen, auch um den Rechtsextremisten wirkungsvoll entgegenzutreten.
Also weniger streiten als in der Ampel?
Streit gehört zur Politik dazu. Wie gestritten wird, ist die entscheidende Frage. Der Streit in der Ampel-Koalition hatte zerstörerische Elemente, was wir am FDP-Drehbuch zum Koalitionsbruch gesehen haben. Daran leidet die Demokratie insgesamt.
Was muss die neue Bundesregierung in ihren ersten 100 Tagen angehen und umsetzen?
Für eine SPD-Regierung kann ich sagen, dass wir schnell Impulse zur Belebung der Wirtschaft setzen werden. Wir müssen jetzt Arbeitsplätze sichern. Außerdem wollen wir 95 Prozent der Steuerzahler schnell entlasten. Beides ist für uns zentral, ebenso die Stabilisierung des Rentenniveaus – die gesetzliche Regelung, die wir bis jetzt haben, läuft schon im Sommer aus.
Wollen Sie selbst nach der Wahl Generalsekretär bleiben?
Ich habe das Amt lieben gelernt, besonders die Gestaltungsmöglichkeiten. Ich würde gern als SPD-Generalsekretär weitermachen – vorausgesetzt, die Partei will das auch.