Untersuchungsausschuss: Robert Habeck und die bizarre Suche nach dem Atom-Bömbchen
Politik auf absurd: Mitten im Wahlkampf, wo niemand Zeit hat, durchleuchtet der Untersuchungsausschuss alle Facetten des Atomausstiegs. Szenen einer besonderen Tortour.
Nach allem, was man weiß, sitzt da gerade Robert Habeck am geschwungenen Tisch in der Raummitte, praktisch auf dem Präsentierteller für alle Anwesenden. Der Grüne ist am Donnerstagvormittag zwar ein bisschen blass ums Gesicht, aber doch unschwer als Robert Habeck zu erkennen. Auch das Namensschild vor ihm lässt keine Zweifel aufkommen: "Dr. Habeck".
Doch im großen Sitzungssaal 4900 des Paul-Löbe-Hauses wird heute alles ganz genau genommen, akribisch ab- und kritisch hinterfragt. Schließlich sitzt Robert Habeck als Zeuge hier. Die erste Streitfrage seiner Befragung lautet: Was ist dieser Mann von Beruf?
"Politiker", sagt Robert Christoph Habeck, 55, wohnhaft in Flensburg, für das Protokoll. "In diesem Fall: Minister", ergänzt der Vorsitzende des Ausschusses, der CDU-Abgeordnete Stefan Heck. Minister sei eine "Aufgabe auf Zeit", kein Beruf, widerspricht Habeck leicht hochtrabend. "Aber egal." Genau genommen hat die Befragung da noch gar nicht offiziell begonnen, doch der Ton für die nachfolgenden Stunden ist gesetzt.
Wozu die Detektei Bundestag?
Denn "egal" ist im Untersuchungsausschuss zur Atom-Laufzeitverlängerung gar nichts, nicht jetzt, mitten im Wahlkampf. Während der Normalbetrieb des Bundestags weitgehend zum Erliegen gekommen ist, wird hier sechs Wochen vor der Wahl nochmal jede Silbe auf den Prüfstand gestellt, Dokumente, Aktenvermerke und E-Mails mit einer Detailversessenheit rekurriert, als ginge es um die Zukunft des Planeten. Könnte sich ja ein Widerspruch, ein Skandal durch die gemeinsame Textexegese auftun. Irgendeine Dynamik jedenfalls, die sich im Wahlkampf ausschlachten lässt. Steffi Lemke, die grüne Bundesumweltministerin, wurde tags zuvor sieben Stunden befragt, dazu später mehr.
Aber wozu eigentlich dieses Detektivspiel?
Schon seit Monaten treibt die Opposition, insbesondere CDU/CSU, ein Verdacht um. Im Kern geht es um die Frage, ob ein Weiterbetrieb der zuletzt drei verbliebenen Atommeiler nach dem russischen Angriffskrieg ergebnisoffen geprüft wurde – oder das grüne Wirtschafts- und Umweltministerium aus ideologischen Gründen am Atomausstieg festgehalten haben. Keine irrelevante Randnotiz: Die Union, die den Ausschuss angestrengt hat, hätte an der Kernenergie gern festgehalten.
Seit Oktober werden vom Untersuchungsausschuss, der aus rund 351.000 internen Dokumenten schöpfen kann, dazu Zeugen vernommen. Die Nummer 39 ist aus Sicht der Union die Schlüsselfigur: Habeck. Der grüne Wirtschaftsminister soll der Voreingenommenheit überführt werden. Das ist insofern kurios, weil der Ausschussvorsitzende Stefan Heck von der CDU offenbar nicht mehr vom Gegenteil überzeugt werden muss. Kurz vor der Sitzung, eingerahmt von zahlreichen Kameras und Mikrofonen, wirft er dem Zeugen ein "großes Täuschungsmanöver" vor und schonmal vorauseilend, dass es nie eine ergebnisoffene Prüfung gegeben habe.
Und so drängt sich beim stundenlangen Ausharren auf der Besuchertribüne die Frage auf: Wie ergebnisoffen prüft der Ausschuss, ob der AKW-Weiterbetrieb ergebnisoffen geprüft wurde?
Bahnbrechende Erkenntnisse haben die Untersuchungen bislang nicht zutage gefördert, nicht mal ein Skandälchen. Aber all denjenigen, die auf Habecks Kosten politisches Kapital schlagen wollen, läuft allmählich die Zeit davon. Durch die vorgezogene Bundestagswahl muss auch der Ausschuss vorzeitig zum Schluss kommen. Es ist Wahlkampf. Und eigentlich hat niemand Zeit für diese Show, das ist das Absurde. Die meisten Anwesenden kämpfen um ihre Wiederwahl, die Sitzung reißt sie heraus aus ihren Kampagnen.
"Es hat mir offensichtlich gut gefallen", sagt Robert Habeck
Atomkraft, ja oder nein? Ein alter Wahlkampfschlager, hier neu aufgelegt. Fragerunde für Fragerunde. Zwischendurch verlassen die Abgeordneten immer wieder den Saal, um sich bei einem kleinen Caféteria-Wagen vor der Tür einen Fruchtsalat oder belegtes Brötchen reinzufahren. Ein bisschen Nervennahrung. Telefonate werden geführt, News werden gecheckt, auch während der Sitzung darf der eigene Wahlkampf nicht ganz aus dem Blick geraten. Wer hält länger durch, wer wird zuerst mürbe? Es geht hier um die Deutungshoheit, aber auch um das üppigere Sitzfleisch.
Habeck nimmt das Angebot des Ausschussvorsitzenden daher widerstandslos an, ein Eingangsstatement abzugeben. Er nimmt sich dafür 40 Minuten Zeit, liest Blatt für Blatt, wie er einen "schweren politischen Fehler" der Unions-geführten Vorgängerregierung – die hohe Abhängigkeit von russischem Gas – glattgebügelt habe. Dass es keine ideologische Vorfestlegung in der Meilerfrage gegeben habe. Und ein Weiterbetrieb aus Kosten- und Sicherheitsgründen verantwortungslos gewesen wäre. Viel Erwartbares. Heck, der Ausschussvorsitzende von der CDU, stützt während des Referats tapfer den Kopf auf die Faust.
Die Fronten im Sitzungssaal 4900 sind klar: Die Ausschussmitglieder von SPD und Grünen stellen mit Vorliebe Fragen, die den Wirtschaftsminister respektive die Bundesregierung glänzen lassen, während CDU, CSU, FDP und AfD vor allem auf potenzielle Widersprüche und Fehlentscheidungen abheben. "Nebelkerzen-Weitwurf" moppert Konstantin von Notz, der Obmann der Grünen, an einer Stelle säuerlich ins Mikrofon.
Mini-Eklat bei Kabinettskollegin Lemke
Die Fragen sind geprägt von einer teils bizarren Kleinteiligkeit, die oft zu kuriosen Scharmützeln führen. So will der Ausschussvorsitzende etwa wissen, warum Habeck einen internen Vermerk als "famos" bezeichnet habe, wie es aus einer E-Mail hervorgehe. Er müsse das nochmal lesen, antwortet Habeck. "Es hat mir offensichtlich gut gefallen." Kichern auf der Besuchertribüne.
FDP-Obmann Frank Schäffler, gänzlich unverdächtig, ein Fan des Wirtschaftsministers zu sein, will zunächst wissen, wie sich Habeck auf die Sitzung an diesem Donnerstag vorbereitet habe. Lässt Habeck nun versehentlich durchblicken, dass er keine Ahnung von seinem Handwerk hat? Ihn zunächst seine Fachleute ins Bild setzen mussten? Schäffler sah schon im Heizungsgesetz des Grünen "eine Atombombe" für das Land. Kommt nun das Atom-Bömbchen in Sachen Laufzeitverlängerung? "Ich hatte heute ein bisschen mehr Zeit", antwortet Habeck. "Ich habe meine Wohnung aufgeräumt, Musik gehört, geduscht und mich angezogen."
Erkenntnisgewinn? Geht so. Neuigkeiten? Allenfalls für Feinschmecker. Novizen in Nuklear-, Energie- und Klimafragen suchen aus schierer Ratlosigkeit häufiger den Snack-Wagen vor dem Sitzungssaal auf.
Grüne fordern Änderung beim Klimaschutzgesetz 6.07
Habeck werden im Verlauf der Befragung zahlreiche Dokumente und Aktenvermerke gereicht, der Minister ist irgendwann von zahllosen DIN-A4-Seiten eingerahmt. Und zunehmend genervt von der ein oder anderen "semantischen Spitzfindigkeit". Vor allem die Union nimmt es sehr genau. Am Vortag hatte das zu einem kleinen Eklat geführt.
Bei der Befragung von Habecks Kabinettskollegin Steffi Lemke, der grünen Umweltministerin, wurde die Sitzung wegen eines Dissenses unter den Ausschussmitgliedern kurzzeitig unterbrochen. Nach 20 Minuten durften Schaulustige und Pressevertreter zurück in den Sitzungssaal. "So, wir sind wieder auf Sendung", frohlockte der Ausschussvorsitzende Heck, man habe eine "gute Lösung" gefunden. Die Lösung, im Grunde genommen: Man lasse sich gegenseitig ausreden.
Die Nerven lagen nach sechs (von insgesamt sieben) Stunden der Befragung offenkundig blank. CDU-Mann Dietrich Monstadt und Maren Klein, Juristin aus dem Umweltministerium, hatten sich wieder und wieder um die richtige Benennung von Zitatstellen gestritten. Monstadt wollte wissen, warum die Ministerin in einem Dokument den Begriff "Atomkraft" statt "Kernkraft" wollte. Semantische Spitzfindigkeiten – würde Habeck wohl dazu sagen.
Auch Habecks Befragung dauert bis in den Donnerstagabend, lediglich unterbrochen durch kurze Verschnaufpausen. "Von mir aus kann's weitergehen" lautet Habecks Losung. Um 18 Uhr muss sich aber auch der angriffslustige Wirtschaftsminister eine frische Cola einschenken und sich ein bisschen Koffein zuführen.
Die SPD-Seite hat sich zu diesem Zeitpunkt schon längst aus der Fragerunde zurückgezogen, möglicherweise, um Kraft zu sparen: Nach Habeck wird noch ein Zeuge vernommen, danach enden die Befragungen des Ausschusses und werden in eine Art Abschlussbericht gegossen.
Zeuge Nummer 40: Bundeskanzler Olaf Scholz.