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Buchauszug "Falsche Wahrheiten": Rentner sind arm und wir versagen beim Klimaschutz? So einfach ist es nicht

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Journalist Nikolaus Blome hat ein Buch über falsche Wahrheiten und irreführende Glaubenssätze geschrieben. Der stern druckt Auszüge vorab.

Dies ist ein Buch für Besserwisser. Für solche, die es sind, und für solche, die es werden wollen. Es handelt von falschen Wahrheiten und Glaubenssätzen, die in die Irre führen wie diese hier: "Deutschland ist ein Einwanderungsland." "Rentner sind arm." "Frauen werden viel schlechter bezahlt als Männer." "Ein Abitur ist besser als eine Lehre." "Die meisten Arbeitslosen können gar nicht arbeiten." "Deutschland tut viel zu wenig für den Klimaschutz." "Der Sozialstaat rettet die Demokratie" und "Das Asylrecht schützt die Schwachen".

Alles Unfug.

Falsche Wahrheiten entfalten enorme Kräfte: Stellen Sie sich vor, keiner dieser Sätze stimmt, aber jeder prägt seit Jahrzehnten Politik und Gesellschaft eines großen Landes. Willkommen in Deutschland. Willkommen in einem Land, dessen Regierung an diesen Prägungen zugrunde gegangen ist und das nun eine epochale Bundestagswahl erlebt, die erste, vor deren demokratischem Ergebnis viele Demokraten Angst haben.

Nikolaus Blome, 61, ist Politikchef und Moderator bei RTL. Auch der stern gehört zu RTL

Falsch an den Glaubenssätzen ist nicht nur, welche Politik aus ihnen resultiert – nein, bereits die ökonomischen und sozialen Annahmen, die ihnen zugrunde liegen, bilden die Realität falsch ab. Wer diese Annahmen, wer den Rahmen setzen kann, bestimmt weite Teile des Diskurses und am Ende auch weite Teile der Politik, die gemacht wird, die gemacht werden kann. Das geht zum Beispiel so: Wenn wir fälschlich behaupten, Frauen verdienten viel weniger als Männer, enden wir bei einem Entgeltgleichheitsgesetz, das nichts bringt außer Frust und eine neue Bürokratiewelle aus Brüssel. Wenn wir fälschlich behaupten, die meisten Rentner seien arm, landen wir bei jährlich über 120 Milliarden Euro Steuerzuschuss für die Rentenkasse – und bei etlichen Leistungen, die die Falschen begünstigen, statt die wirklich Bedürftigen zu erreichen. Wenn wir fälschlich behaupten, eine Gesellschaft sei vor allem dann durchlässig und gerecht, wenn die Kinder einen höheren Bildungsabschluss erlangen als ihre Eltern, kommen wir bei großem Fachkräftemangel und bei der Verachtung einfacher Arbeit heraus. Und wenn wir schließlich behaupten, dass Deutschland beim Klimaschutz viel zu wenig tut, produzieren wir Milliarden Euro Kosten, überhastete, übergriffige oder untaugliche Regelungen – und indirekt auch 20 oder mehr Prozent für die AfD. "Das stimmt doch gar nicht" ist darum der neue Satz der Freiheit.

STERN PAID C+ Rentenreform 09.21

"Rentner sind arm"

Meine Frau und ich sind seit bald 35 Jahren verheiratet, ich würde sagen: glücklich und mit einem ziemlich zuversichtlichen Blick in die Zukunft. Armutsstatistisch hingegen ist meine Frau eine Katastrophe, ein amtlicher Beweis für himmelschreiendes soziales Unrecht und der Prototyp weiblicher Altersarmut. Sie ist eine Art Geschenk für den Paritätischen Wohlfahrtsverband und die ganze restliche Gerechtigkeitslobby. Warum? Nun, meine Frau und ich hatten eine Arbeitsteilung: Ich mache etwas mit Buchstaben und Bildern und sie für viele Jahre etwas mit drei Kindern, unseren Kindern, denen das wirklich nicht geschadet hat, sondern all das auf den Weg gab, was sie zu einem freien und glücklichen Leben brauchen. Dieses Familienmodell ist im Laufe der Zeit erklärungsbedürftiger geworden und in die Defensive geraten. Das ist uns nicht verborgen geblieben, aber ziemlich egal.

Was nun ihre Rentenaussichten angeht, schlagen bei meiner Frau frühe Jahre der Berufstätigkeit zu Buche, Teile ihres Studiums und Erziehungszeiten für die drei Kinder. Das wird ihr am Ende um die 500 Euro monatlich an gesetzlicher Rente einbringen. Damit wäre sie definitiv ein Fall für die "Grundsicherung im Alter", das Bürgergeld (Hartz IV) für Rentner – und für die Statistik weiblicher Altersarmut. Die Lobby darf in die Hände klatschen, sie könnte meine Frau, unbekannterweise, als Beispiel für die altersverachtende Ungerechtigkeit des deutschen Rentensystems und die frauen-feindliche Gesellschaftsstruktur heranziehen. Allein: Meine Frau kann auf mehr Einkünfte zählen als nur ihre gesetzliche Rente. Diese Einkünfte gehen in die Armutsstatistik nicht ein, lassen sie aber ruhig schlafen. So gehört meiner Frau die Hälfte unseres irdischen Besitzes, denn wir haben ihn in unserer gemeinsamen Zeit erworben, und, fürs Rechnen praktisch: Wir hatten am Anfang beide nahezu nichts. Die Hälfte unseres materiellen Vermögens, das ist zwar kein Reichtum, aber von Altersarmut ziemlich weit weg. Wir müssen auch keine Miete oder Rate mehr zahlen, weil wir unser Häuschen abgestottert haben, und ein paar Aktien besitzen wir auch. Zudem kann meine Frau im Falle meines Ablebens mit einer Witwenrente rechnen. Im (absolut unwahrscheinlichen) Fall einer Scheidung wäre es die Hälfte unser beider addierten Rentenansprüche. Die sind nach meinen mehr als 30 Berufsjahren mit Beiträgen oberhalb der Bemessungsgrenze durchaus nennenswert. Kurzum: Meine Frau gehört in der amtlichen Rentenstatistik zu den Ärmsten der Armen, in der Realität liegt sie am entgegengesetzten Ende der Skala. Allerdings interessiert sich in der Politik niemand dafür oder besser gesagt: Solcherart Einkünfte werden mit Bedacht aus den Debatten herausgehalten. Zum "Alterssicherungsbericht" der Bundesregierung, der nur ein Mal (!) alle vier Jahre die Gesamteinkommen der Rentner erfasst, gab es Mitte November 2024 nicht einmal eine Pressemitteilung des Ministers.

Nikolaus Blome: "Falsche Wahrheiten – 12 linke Glaubenssätze, die unser Land in die Irre führen." Verlag: DVA. Erscheint am 22. Januar 2025 und kostet 22 Euro
© Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Wenn man alle gesetzlichen Renten zusammennimmt, darunter auch die Kleinstrenten für sehr kurze Versicherungszeiten, betrug der durchschnittliche Auszahlbetrag im Jahr 2023 (rechnerisch) 1093 Euro pro Monat, 1348 Euro bei den Männern und 908 Euro bei den Frauen. Das klingt erschütternd wenig, sagt indes nahezu nichts über die realen Verhältnisse. Im Alterssicherungsbericht heißt es: "Insgesamt ist die heutige Rentnergeneration überwiegend gut abgesichert." Für Senioren-Ehepaare weist der Bericht ein gesamtdeutsch durchschnittliches Nettoeinkommen von 3759 Euro pro Monat aus (Ende 2023). Alleinstehende Männer haben im bundesweiten Schnitt 2213 Euro netto im Monat. Alleinstehende Frauen haben im Bundesschnitt 1858 Euro, Ost und West gleichauf.

Unterm Strich stammen die Gesamteinkünfte aller Rentner nur zu gut der Hälfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung und zu je einem Viertel aus anderen Alterssicherungskassen sowie privaten Einkünften. Rechnerisch haben Rentner also doppelt so viel an Einkommen, als jene jammernd unterstellen, die ausschließlich über die Höhe der gesetzlichen Rente reden – das sind fast alle Politiker. Darum gehört das Gewese von der grassierenden Altersarmut zu den aberwitzigsten Stücken Propaganda, die ich kenne. Dieser Mythos hat Deutschland auf einen der gesamtgesellschaftlich teuersten Irrwege überhaupt geführt. Die Milliarden Euro Streuverlust dieser dysfunktionalen Pseudogerechtigkeit schreien zum Himmel. Die eigentliche Frage lautet darum nicht: Gibt es Altersarmut? Sie lautet: Wie viel davon gibt es, und was können wir gezielt und nicht mit der Gießkanne tun, damit es weniger wird oder am besten ganz aufhört?

STERN PAID 50_24 Reckwitz „Die optimistische Erzählung hat einen Knacks bekommen“ 05.58

Der springende Punkt dabei ist: Wer die Frage nach dem "Wie viel" mit voller Absicht falsch beantwortet, wird auf die Frage nach der Abhilfe niemals die richtige Antwort finden. Eine Rentenstatistik, die systemisch solche groben Zuordnungsfehler aufweist, dürfte niemals Richtschnur für die Politik sein. Ist sie aber in Deutschland, denn die Lobby ist stark: Zu ihr gehören große Teile der SPD, die Linkspartei, die AfD, Sahra Wagenknecht und nicht selten auch die CSU. Olaf Scholz hat den SPD-Bundestagswahlkampf explizit als einen "gegen Rentenkürzungen" angelegt. Dabei könnte keinem Rentner je drohen, dass der Auszahlbetrag seiner Rente schrumpft. Das verhindert die "Rentengarantie". Auch wenn die Rente zeitweilig langsamer wachsen würde als die Löhne, wird sie nicht "gekürzt", weil sie ja wächst. Scholz hatte im Deutschen Bundestag also gelogen. So stark ist die falsche Wahrheit.

"Deutschland tut viel zu wenig für den Klimaschutz und verfehlt seine Ziele"

"Ich bin kein Leugner des Klimawandels. Ich bin bloß sauer", sagt Nikolaus Blome
© plainpicture/Linkimage/Felix Odell

Wer hin und wieder einen besonders breiten Streifen aus der Pathos-Tube braucht, dem kann geholfen werden: Kaum etwas hat so tiefe deutsche Schwingungen wie die öffentlichen Selbstanklagen, die einen (angeblich) in jeder Hinsicht unzureichenden deutschen Klimaschutz bekränzen. Man kann sich am Bundespräsidenten ergötzen, der in einer seiner Weihnachtsansprachen sagte: "Ich wünsche mir, dass die Älteren auch spät im Leben noch einmal bereit sind, sich zu verändern." Man kann auch Texte von Bernd Ulrich lesen, einem der prominentesten Journalisten der "Zeit". Er schrieb: "In Deutschland sind die meisten Minderheiten durch das Grundgesetz und den Rechtsstaat geschützt. Außer eine: jene Menschen, die Aussichten haben, das Jahr 2070 noch zu erleben. Die Minderheit der Jungen steht bloß und wund und widersprüchlich in der Landschaft." Damit kein Missverständnis entsteht: Der Sommer 2023 war auf der Nordhalbkugel der heißeste seit Menschengedenken, der Sommer 2024 war mindestens so heiß, wenngleich in Deutschland ziemlich verregnet. Die Erderwärmung ist real, sie ist menschengemacht. CO₂-Neutralität ist als das richtige globale Ziel auserkoren. Reiche, früh industrialisierte Länder wie Deutschland haben dabei eine besondere Bringschuld, weil sie ihren Wohlstand zu großen Teilen mit der Verbrennung fossiler Rohstoffe erlangt haben. Ich bin kein Klimawandelleugner, auch kein großer Klimaschutzskeptiker. Ich bin bloß sauer.

Denn in vielen Diskussionen fällt mir immer wieder auf: Macht der deutsche Klimaschutz Fortschritte, werden sie von jenen Gruppen, die ihn am lautesten fordern, entweder relativiert oder geleugnet. Lässt sich das nicht durchhalten, wechseln diese Gruppen schnell den Bezugsrahmen, von national auf global, vulgo: wie es gerade passt. Diese Art zu diskutieren führt nirgendwohin.

Es werden derzeit Hunderte Milliarden bewegt und am Wirtschaftsstandort Deutschland Weichen auf Jahrzehnte für Arbeit, Wachstum und Wohlstand gestellt – oder für das Gegenteil. Hält man die Bevölkerung da wirklich am besten bei der Stange, indem man ihre Anstrengungen und deren Erfolge ignoriert? Viele der einschlägigen Politiker und Experten machen es anders: Wenn gute Nachrichten der eigenen, höheren Sache zu schaden drohen, sind es keine guten Nachrichten mehr. Sie glauben, es ist leichter, ein Versäumnis oder Versagen zu beklagen und Wiedergutmachung zu fordern, als auf einem Erfolg aufzubauen. Es ist der Unterschied zwischen "gut machen" und "wiedergutmachen". Die Aktivisten unter den Klimaschützern kennen sich bestens aus mit der deutschen Sozialpsychologie. 

In den vergangenen Jahren konnte man minutiös verfolgen, was passiert, wenn die Kennzahlen des deutschen Klimaschutzes nicht (mehr) in die große Untergangs- und Schulderzählung passen. Anfang Januar 2023 schätzten die bestens beleumundeten Experten von Agora Energiewende wie jedes Jahr den CO₂-Ausstoß und verkündeten, er sei 2022 merklich gestiegen. In Wahrheit, so kam einige Monate später heraus, war der Gesamtausstoß aber gesunken – und hatte die Jahresetappe auf dem beschlossenen Weg bis 2030 erfolgreich passiert. Follow the science, rufen Experten und Aktivisten gern. Follow the figures, möchte man zurückrufen. Auch in den Jahren 2023 und 2024 wurde das Gesamtziel erreicht, zum Teil mit spektakulären Rückgängen beim CO₂-Ausstoß, die ganz überwiegend auf die "grüne" Stromerzeugung zurückgehen. Trotzdem kam die Erfolgsbilanz bei vielen Medien und Politikern schlecht weg: Verkehr und Gebäudeenergie hätten ihre "Sektorziele" verfehlt, das sei Grund zu großer Sorge, so der Tenor. Das sollte wohl der aktionserheischende Mythos vom säumigen CO₂-Sünder Deutschland retten, dem sich auch manche Medien verpflichtet fühlen, die in Sachen Klimaschutz nicht neutral bleiben. Dabei hatte der Schüler Deutschland die Versetzung wider Erwarten geschafft, doch es gab nur Schimpfe wegen der Vier minus in Kunst. Ich gebe zu: Ich habe meine Schulzeit und die binnenfamiliäre Kommunikation über Zeugnisse anders in Erinnerung. Es zählte, was unterm Strich steht. Ist das beim klimaschädlichen CO₂ nicht auch so? Zumal beim Verkehr und der Gebäudeenergie nur einige wenige Prozentpunkte zur Zielerreichung fehlten. Nach all den Jahren im Politikbetrieb kenne ich nur sehr wenige Großvorhaben, denen man so etwas auch attestieren kann. Egal?

Klimaschutz findet nicht im luftleeren oder demokratiefreien Raum statt. Im Gegenteil, Klimaschutz ist inzwischen eine Polarisierungswaffe größten Kalibers, denn es geht um viel Geld der Bürger und um die Identität großer Gruppen von ihnen. Obwohl sich der Mythos von den komplett ungenügenden deutschen Klimaschutzanstrengungen widerlegen lässt, hat er von seiner Lenkungskraft kaum etwas eingebüßt. Die falschen Wahrheiten vom vermeintlichen deutschen Versagen haben die Ampel-Regierung in ein überhastetes Heizungsgesetz getrieben. Im Rückblick markiert das Gesetz den Anfang vom Ende der Bundesregierung.

Des Weiteren haben die Ampel-Parteien nach dem Streit um das Heizungsgesetz nie wieder zum ursprünglichen Vertrauen untereinander zurückgefunden. Die Versagenserzählung hat die erste Dreier-Koalition der Bundesrepublik politisch überfordert und durch das Heizungsgesetz so sehr beschädigt, dass sie auch deswegen auseinanderbricht und eine weitere "Große Koalition" von CDU/CSU und SPD wie das kleinere Übel aussieht. Einen doppelten Tort hat man sich da angetan, der eigenen Sache und der politischen Form. Falsche Wahrheiten entfalten enorme Kräfte.




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