Migration und die AfD: Und wenn das radikale Asylmanöver von Friedrich Merz aufgeht?
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz steht vor einer Schicksalswoche: Er will eine Asylwende durchboxen, notfalls mit der AfD. Das kann schiefgehen – muss aber nicht.
Friedrich Merz ist der Mann dieser Stunden. Die entscheidende Frage ist noch, was das für Stunden sind.
Der Unionskanzlerkandidat hat mit seiner überraschenden Ankündigung, die Asylideen der Union nicht länger vom Abstimmungsverhalten der AfD abhängig zu machen, den gesamten Wahlkampf unter einen enormen Druck gesetzt, dazu noch seine Partei, die politische Konkurrenz links und rechts und, ja, auch die sogenannte Brandmauer zur AfD.
Der Wahlkampf wirkte in den vergangenen Wochen wie festgefahren, das politische Tableau wie einzementiert, kaum eine Debatte verfing länger als wenige Tage. Plötzlich wirkt die Parteibasis elektrisiert, bejubelt den Kandidaten, Merz erklärt sich fast stündlich, wirkt kämpferisch, sendet auf allen Kanälen. Er setzt mit seinem Vorstoß jetzt auf Kopf oder Zahl, auf alles oder nichts. Ein Mann pokert – mitten im Schlussspurt des Wahlkampfs.
Findet Friedrich Merz das Rezept gegen die AfD?
Der Kanzlerkandidat hat nach Aschaffenburg entschieden, dass er diesen sicher geglaubten Wahlsieg nicht einfach nach Hause schaukeln will. Man kann ihm das als Hitzköpfigkeit auslegen, so wie es die SPD tut, oder als Gespür für das gefährliche Brodeln im Volk. Bietet hier einer der AfD den Steigbügel oder hat er endlich ein Rezept gegen sie?
Welche der beiden Erzählungen sich in dieser Woche durchsetzt, entscheidet über Merz' politisches Schicksal und über die politische Stabilität des Landes. Sein Vorstoß ist ein Wendepunkt. Ein Zurück gibt es für Merz nicht. In den nächsten Tagen kann der Kanzlerkandidat brutal scheitern. Oder ein Kanzler wachsen.
Ausgelöst hatte alles eine Schalte des Präsidiums der CDU am vergangenen Donnerstag: Friedrich Merz erklärte den Unionsleuten dort seinen Fünf-Punkte-Plan zur Asylpolitik, wollte sicher stellen, dass alle an einem Strang ziehen. Einzelne Teilnehmer sollen vor Umsetzungsschwierigkeiten gewarnt, vor allem bei der von Merz geforderten Abschiebehaft. Aber grundsätzlichen Widerstand gab es dem Vernehmen nach nicht.
Was geschah im Präsidium der CDU wirklich?
Gegen Ende der Sitzung, so wird es von Teilnehmern erzählt, habe er plötzlich angekündigt, den Plan noch vor der Wahl im Bundestag zur Abstimmung stellen zu wollen – egal, wer ihm zustimme. Eine Debatte gab es nicht, wohl auch, weil das Ausmaß dieser Sätze in der Runde nicht von allen verstanden wurde. Am nächsten Morgen legte Merz nach: "Ich bringe doch einen Antrag nicht deshalb nicht ein, weil die AfD mitstimmen könnte."
Merz gibt damit ein Prinzip auf, das er selbst noch im November im Deutschen Bundestag vorgeschlagen hatte: Keine Fraktion solle Anträge stellen, bei denen es zu Mehrheiten mit der AfD kommen könnte. Nach der tödlichen Messerattacke eines Afghanen auf eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg folgt die Kehrtwende. "Es reicht!", das hatte Merz schon nach dem Messerattentat von Solingen gesagt. Jetzt will die Union endlich auch Entschlossenheit bei der Umsetzung demonstrieren.
Diese fünf Asyl-Vorschläge will Merz umsetzen
Selbst im liberalen Teil der Partei wird die Tat des ausreisepflichtigen Afghanen als asylpolitische Zeitenwende gesehen, nur vergleichbar mit der Debatte um die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht 2015. "Konservative können jetzt nicht untätig bleiben", sagt ein Fraktionsmitglied. "Sonst liegt die AfD bald bei 30 Prozent." Die Union will deshalb dauerhafte Grenzkontrollen einführen, die Zurückweisung aller Schutzgesuche an Grenzen, die Inhaftierung von rund 40.000 vollziehbar Ausreisepflichtigen, Bundesausreisezentren sowie einen Ausreisearrest für Straftäter und Gefährder.
26: Hält «Brandmauer» Merz grenzt sich in Anträgen von AfD ab - 8a2bf3a5fe422beb
Klarer kann die Partei den Bruch mit der Ära Merkel kaum vollziehen. Trotzdem sagt selbst Karin Prien, Vize-Chefin der CDU und Vertreterin des liberalen Flügels: "Unseren politischen Weg als CDU, den Friedrich Merz jetzt konsequent geht, halte ich juristisch für gut begründbar, wenn man denn den Mut hat ihn zu gehen." Andere Vertreter des liberalen Flügels in der Union äußern sich ähnlich. Rein fachlich betrachtet wirkt die Union in der Asyl-Frage geschlossen, zumindest in der Parteiführung. Alles andere würde den Kandidaten allerdings auch unrettbar schädigen.
Doch Merz geht noch einen riskanten Schritt weiter, er taktiert. Mit seiner Ankündigung, sich nicht länger um die Stimmen der AfD zu scheren, setzt er das ungeschriebene Gesetz außer Kraft, selbst den Anschein einer Zusammenarbeit mit der AfD zu vermeiden. In der Asylpolitik, so die Erzählung in der Union, habe das die Partei in das Dilemma gebracht, genau die Politik nicht um setzen zu können, die man für dringend geboten halte, stattdessen habe man immer wieder Kompromisse mit dem linken Lager suchen müssen. Hinzu kommt, dass die Unterstützung in der Bevölkerung überwältigend sei. Zwei Drittel der Menschen wollen den von Merz geforderten "faktischen Einreisestopp", so ermittelte es gerade eine Umfrage des Insa-Instituts.
Teile der Partei halten den Kurs für ein unnötiges Risiko
Aber reicht das als Argument? Die Partei wirkt nervös in diesen Stunden. Manche führenden Unionsleute halten das Vorgehen für ein unnötiges Risiko, für unfassbar. Zumindest hinter vorgehaltener Hand. Merz habe die Asyl-Debatte doch ohnehin bestimmt, als er angekündigte, nach der Wahl sofort zu handeln. Warum das Risiko vier Wochen vorher? Was soll die unnötige Brandmauer-Debatte so kurz vor dem Wahltag? Plötzlich schwören sich SPD, Grüne und Linke auf einen gemeinsamen Gegner ein: Friedrich Merz. An den Ort seiner Rede am Sonntag sprühten linke Gruppen: #NieWiederMerz.
Merz und seine Leute haben zwar vorgesorgt. Ihren Asyl-Antrag schickten sie extra nur SPD, Grünen und FDP zu. Sie fordern die Parteien der Mitte zum Mitstimmen auf, wollen sie zu einer Reaktion zwingen. So schreibt es Friedrich Merz nun auch in einem Brief an alle Parteimitglieder, der dem stern vorliegt. "Mit der AfD haben und wollen wir keine Mehrheit", heißt es darin. Merz kommt entgegen, dass SPD und Grünen nach Aschaffenburg bisher nicht mehr einfiel, als die Schuld (teils fälschlich) auf die unionsgeführte Landesregierung zu schieben und die Union für ihre Vorschläge zu kritisieren.
Es wird nicht falsch, nur weil es die Falschen für richtig halten. Ich mache das, was wir in der Sache für notwendig und in dieser für uns außergewöhnlich schwierigen Situation in Deutschland für angezeigt halten.
Zur Sicherheit haben sie in den Bundestagsfraktion von CDU/CSU nun auch extra folgenden Satz in den Antrag aufgenommen: "Die AfD ist kein Partner, sondern unser politischer Gegner." Sie gefährde Deutschlands "Stabilität, Sicherheit und Wohlstand". Das alles wirkt erstmal wie ein kluger Schritt, um die eigenen Punkte zu setzen, AfD-Stimmen aber doch zu verhindern.
Was passiert, wenn die AfD doch zustimmt?
Trotzdem könnte die in weiten Teilen rechtsradikale Partei letztlich zustimmen. Weil sie geschlossene Grenzen will. Einerseits. Und andererseits, um der Union maximal zu schaden. Und dann? Was geschieht, wenn der Antrag der Union mit den Stimmen von AfD, FDP und BSW angenommen würde? Merz, der Abrissunternehmer?
Er selbst setzt offenbar darauf, dass eine Mehrheit der Menschen im Land genug hat von der politisch einstudierten Taktiererei im Angesicht der AfD, dass die Sehnsucht nach Lösungen der Asylfrage größer ist als die Sorge vor allzu großer AfD-Nähe. Es war Robert Habeck, der am Sonntag auf dem Bundeskongress der Grünen, die perfekte Vorlage für diese Überlegungen gab: Eine Reporterin fragte ihn dort, ob Parteien Anträge zurückhalten sollten, nur weil die Falschen dafür stimmen könnten. "Ja, so isses", sagte der grüne Kanzlerkandidat.
Am Sonntagabend postete das Team von Merz daraufhin schon wieder ein Video in den sozialen Medien: "Es wird nicht falsch, nur weil es die Falschen für richtig halten", sagt der Kandidat darin. "Ich mache das, was wir in der Sache für notwendig und in dieser für uns außergewöhnlich schwierigen Situation in Deutschland für angezeigt halten."
Auf einer von ihm anberaumten Bundesvorstandssitzung am Montagmorgen wird kein echter Widerstand erwartet, heißt es. Die Fraktion stehe sowieso nahezu vollständig hinter ihm.
Friedrich Merz wird das jetzt durchziehen. Wie er allerdings am Ende der Woche dasteht, das scheint derzeit kaum vorhersagbar.