Nach dem brutalen Messerangriff in Solingen setzt die Union den Kanzler und seine Koalition unter Druck, beim Thema Migration zu handeln. Scholz wird zum Getriebenen – und Merz plötzlich zum Kanzler der Reserve. Friedrich Merz sieht durch seine runde Brille in die vielen Kameras, die ihm ins Gesicht gehalten werden. Während wild geknipst wird, wartet der CDU-Chef geduldig. Von diesem Moment soll es ruhig reichlich Belege geben. Der Oppositionsführer hat am Dienstagnachmittag in die Bundespressekonferenz geladen. Er will über die "notwendigen Konsequenzen" sprechen, die aus dem Messerattentat in Solingen am vergangenen Freitag folgen sollen. Merz fordert nun einen konsequenten Kurswechsel in der Migrationspolitik. Abschiebungen, Aufnahmestopp – wenn dafür Gesetze geändert werden müssten, dann eben. "Es gibt kein Tabu", unterstreicht der CDU-Vorsitzende in dem Zusammenhang noch einmal. Seit Tagen gibt er eine Vielzahl von Erklärungen dazu ab, fordert eine Kehrtwende in der Migrationspolitik und erläutert seine Pläne dazu. Das Problem dabei: Merz ist nicht Kanzler. Und die Union regiert im Bund nicht. Wozu also das alles? Ein Deal mit Folgen: Merz fordert Scholz zur Zusammenarbeit auf CDU und CSU wollen beim Thema Migration nun gemeinsam mit der Ampel nach Lösungen suchen. Eine ganze Reihe an Vorschlägen liegt dazu bereits auf dem Tisch. Etwa sollen Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan abgeschoben und Neuankömmlinge nicht mehr aufgenommen werden. Außerdem fordert die Union dauerhafte Grenzkontrollen und dass Geflüchtete ihren Schutzstatus verlieren, wenn sie in ihre Heimatländer reisen. Am Dienstagmorgen war der Oppositionsführer ins Kanzleramt gefahren, um Olaf Scholz seinen Plan zu unterbreiten und eine Zusammenarbeit vorzuschlagen. Das sei "ausdrücklich nicht die Bitte um eine Aufnahme in die Koalition", so Merz am Nachmittag. Allerdings gehe es darum, jetzt Lösungen auf den Weg zu bringen. Das würden die Menschen von Scholz und ihm so erwarten. Und Scholz? Wirkt getrieben. Merz gibt den Ton an, er reagiert. Während der Oppositionsführer nach den gemeinsamen Gesprächen in der Bundespressekonferenz vor die Journalistinnen und Journalisten tritt, kommt aus dem Kanzleramt erst mal: nichts. Erst am Mittwoch geht Scholz auf Merz' Angebot ein und erklärt, wie die Zusammenarbeit aussehen kann. Nutzt hier gerade einer die Chance, um zu zeigen, dass er es besser kann? Oder begibt sich die Union mit der Ampel in ein Boot, ohne zu wissen, welchen Kurs es nehmen wird? Deutschlandpakt 2.0 – warum Merz das vermeiden will Für Merz ist es nicht das erste Mal, dass sowohl er als auch der Kanzler über eine Zusammenarbeit sprechen. Nur: Bislang waren die Erfahrungen, die der CDU-Chef in der Hinsicht gemacht hat, kaum die besten. Vor Monaten hatte er Scholz einen Deutschlandpakt vorgeschlagen. Allerdings wollte Merz über Migration reden. Und Scholz über Bürokratieabbau. Gleich mehrfach fuhr der Oppositionsführer zu Gesprächen ins Kanzleramt. Am Ende beschloss der Kanzler bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ein Papier zur Flüchtlingspolitik mit den Ländern – und ließ Merz außen vor. Der machte anschließend kein Geheimnis daraus, dass er stinksauer war. Das Papier der MPK sei von dem, was die Union ursprünglich vorgeschlagen hatte, weit entfernt. Den Deutschlandpakt erklärte Merz für "erledigt". Scholz hatte ihn gewissermaßen bloßgestellt. Jetzt soll der Spieß also umgedreht werden. Die Union erhöht den Druck auf Scholz maximal. Einen Deutschlandpakt 2.0? Will man in jedem Fall vermeiden. Stattdessen will Merz dieses Mal zeigen: Wenn der Kanzler nicht handelt, hilft er ihm zwar, aber zu seinen Bedingungen. Vertauschte Rollen also. Was jetzt passieren soll: Geplante Gespräche mit Faeser Aber siehe da, Scholz reagiert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser werde "sehr zügig jeweils einen Vertreter des Vorsitzes und Co-Vorsitzes der Ministerpräsidentenkonferenz, Vertreter der größten Oppositionspartei und involvierte Bundesressorts zu vertraulichen und zielgerichteten Gesprächen über diese Frage einladen", sagte er am Mittwochnachmittag nach einem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer in Berlin . Merz hatte bereits angekündigt, als Vertreter der CDU/CSU seinen Vertrauten, den Innenpolitiker und Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei in die Gespräche zu schicken. Unterdessen arbeitet die Ampel an eigenen Vorschlägen, die sie mit in die Gespräche nehmen will. Kern dabei sollen die Themen Migration, Islamismus und das Waffenrecht sein. Schon in dieser Woche könnte es einen Maßnahmenkatalog geben. Einige Vorschläge sind bereits durchgesickert: So sollen schnellere Abschiebungen ermöglicht werden. Außerdem sollen Flüchtlingen, die über ein anderes EU-Land eingereist sind und dort registriert wurden (Dublin-Fälle), die Leistungen massiv gekürzt werden. Die Ampel dürfte ein gesteigertes Interesse daran haben, sich nicht alles von CDU und CSU diktieren zu lassen, sondern selbst Lösungen anzubieten und dann auch einzubinden. Innenministerin Faeser will für Anfang nächster Woche zu Gesprächen laden. Merz muss sich am Ende die Frage stellen, inwieweit er bereit ist, sich selbst und die Union in die Pflicht nehmen zu lassen. Ist es wirklich seine Aufgabe "mitzuregieren"? Denn Tonangeber wird er nicht bleiben. Das hat Scholz schon jetzt klargemacht. Eigentlich wollte die Union, dass Ampel wie Opposition nur je einen Vertreter schicken, um Lösungen zu erarbeiten. Er habe kein Interesse an einer Art Koalitionsverhandlungen, so Merz auf Nachfrage. Nun gibt es doch eine Arbeitsgruppe, an der etwa auch Vizekanzler Robert Habeck teilnehmen soll. Und das, obwohl CDU und CSU ausdrücklich unterstrichen haben, die Grünen seien in der Thematik das größte Problem. Die AfD nutzt das Ganze schon jetzt für sich. In Sachsen plakatiert die in weiten Teilen rechtsextreme Partei mit dem Satz: "Wir halten, was die CDU verspricht". Das Treffen zwischen Scholz und Merz zu Solingen nennt Parteichefin Alice Weidel bedeutungslos. Wenn es der Bundesregierung gemeinsam mit der größten Oppositionspartei am Ende nicht gelingt, dass sich spürbar etwas verändert, zahlt das nur noch auf ein Konto ein. Auf das der Extremen. Merz muss aufpassen, dass er nicht selbst zum Getriebenen wird.