Nach der Wahlniederlage in Sachsen und Thüringen ringt die SPD um Geschlossenheit. Zur Revolte kam es nicht – vorerst. Doch die anstehende Wahl in Brandenburg könnte ein Kipppunkt sein. Strahlender Sonnenschein, ein Tagungsort mit historischem Ambiente, idyllisch gelegen am Groß Behnitzer See – die äußeren Umstände der SPD-Fraktionsklausur an diesem Donnerstag könnten malerischer nicht sein. Doch was die SPD-Abgeordneten im "Landgut Stober" westlich von Berlin zu besprechen haben, ist alles andere als idyllisch: Bei der Wahl in Sachsen und Thüringen am vergangenen Sonntag fuhr die SPD mit 7,3 Prozent beziehungsweise 6,2 Prozent eine herbe Niederlage ein. Nach der historischen Schlappe bei der Europawahl im Juni die nächste Klatsche für die Kanzlerpartei. Umso höher waren die Erwartungen an Kanzler Olaf Scholz , der am Donnerstag ebenfalls für ein paar Stunden in der ehemaligen Ruine in der Brandenburger Provinz vorbeischaute. Hat Scholz die Abgeordneten besänftigen können, konnte er seiner SPD neuen Mut einflößen? Kanzlerpartei im Stimmungstief Über den Auftritt des Kanzlers in der Fraktion gibt es unterschiedliche Erzählungen: "Kämpferisch und konzentriert" sei er gewesen, sagen die einen, er habe "die üblichen Satzbausteine" von sich gegeben, die anderen. Klar ist: Das aktuelle Stimmungstief bei den Abgeordneten konnte Scholz nicht einfach wegreden. Für Optimismus sorgte Teilnehmern zufolge eher Lars Klingbeil, der von seinem US-Besuch bei den Demokraten berichtete und davon, wie die SPD etwas vom Kamala-Harris-Hype lernen könne: eine Erzählung von Aufbruch und Zukunft. Immerhin: Zur Revolte kam es nicht. Mehrere Abgeordnete bestätigen t-online, dass die Stimmung friedlich und konstruktiv war. Der Kanzler habe bekräftigt, wie wichtig ihm der Kampf um sichere Renten sei. "Wie wir mit der Frage der Rente umgehen, ist eine Sache, die wahrscheinlich mehr darüber entscheidet, wer wir sind, als man denkt", soll Scholz Teilnehmern zufolge gesagt haben. Revolte abgeblasen – vorerst Wie lange es der Parteispitze noch gelingt, den Druck im Kessel zu halten, ist jedoch fraglich. Denn der Frust bei den Genossen wächst, erst recht nach den vergeigten Wahlen in Sachsen und Thüringen. Dass die Stimmung mies ist, sagen Sozialdemokraten mittlerweile nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Am Tag nach der Wahl holte der Duisburger SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir zum Rundumschlag aus: "Seit 2005 rechtfertigen wir als SPD mit ganz wenigen Ausnahmen von Wahl zu Wahl historisch schlechteste Ergebnisse und kündigen dann Analysen und Veränderungen an, machen aber kurz danach weiter wie bisher!" Die Kommunikation zwischen der SPD und ihren Wählern sei "gestört" und das sei auch die Verantwortung der Parteiführung, führte Özdemir aus, der zugleich parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium ist. Wenige Stunden später griff die sozialdemokratische Finanzministerin in Brandenburg, Katrin Lange, die SPD-Spitze direkt an und brachte sogar ein Talkshow-Verbot für Parteichefin Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert ins Spiel. "Unerträglich" seien die Auftritt "bestimmter Personen", sagte Lange. Chaostage bei der SPD, zumindest für kurze Zeit. Jetzt scheinen sich die Genossen wieder zu berappeln, zumindest für die Zeit ihrer Klausurtagung im Brandenburger Idyll. Klar ist aber, so beschreiben es zahlreiche Genossen: So wie es ist, kann es nicht weitergehen. "Merkt sie das überhaupt noch?" Ein Teil des Unmuts richtet sich aktuell gegen Klingbeils Co-Chefin Saskia Esken. Sie hatte zuletzt mehrere unglückliche TV-Auftritte hingelegt. Nach dem islamistischen Mordanschlag von Solingen erklärte sie etwa, dass sich daraus nichts lernen lasse, was polizeiliche Befugnisse betreffe. Eine Welle der Empörung war die Folge, die mitten durch die SPD schwappte. Mehrere Sozialdemokraten sagen t-online, wie bestürzt sie über Eskens Satz waren. Ein führender Genosse sagt: "Ich habe nur mit dem Kopf geschüttelt." Aber auch Eskens Äußerungen nach dem Wahlabend in Sachsen und Thüringen stießen vielen Genossen auf. Einer nennt Eskens "floskelhaften Aufruf" nach der Wahl, man müsse den Bürgern die SPD-Positionen einfach nur besser erklären, "unangemessen und respektlos" angesichts des Wahlsieges der rechtsextremen AfD in Thüringen. "In meinem Unterbezirk haben wir uns gefragt: Merkt sie das überhaupt noch? Oder spult sie nur ein Programm ab?" Scholz bleibt Scholz Doch die aktuelle Krise der SPD nur an Esken festzumachen, wäre verkürzt. Das weiß auch die SPD. Fragt man derzeit Sozialdemokraten, was sich unbedingt verbessern müsse, bekommt man meist dieselbe Antwort zu hören: Kommunikation und Auftreten. Denn ausgerechnet das größte Aushängeschild der Partei, Bundeskanzler Olaf Scholz, ist in puncto Kommunikation eine Dauerbaustelle. Immer wieder versuchten die Genossen, Scholz zu einem kämpferischen, leidenschaftlichen Auftreten zu bewegen. Bisher – weitgehend – erfolglos. Abgesehen von gelegentlichen kämpferischen Reden hinter verschlossenen Türen oder einigen wenigen mitreißenden Momenten in der Öffentlichkeit, bleibt Scholz einfach Scholz. Wie schwierig die Aufgabe sein muss, einen politisch so erfahrenen Kanzler zu einem neuen Stil zu überreden, zeigt ein aktuelles Beispiel: Als am Wahlabend Parteichef Klingbeil in einem Interview gefragt wurde, ob Scholz nun als SPD-Kanzlerkandidat wackele, antwortete der SPD-Chef an die Adresse des Kanzlers gerichtet deutlich: "Alle müssen jetzt dazu beitragen, dass es besser wird. Ich erwarte diesen Kampf von allen." Einen Tag später meldete sich der Kanzler auf der Plattform X mit einer kaum lesbaren, schnöden Zitatkachel zur Wahlschlappe. Von einem kämpferischen Stil ist das in etwa so weit entfernt wie Scholz aktuell vom Wiedereinzug ins Kanzleramt. Bestellt, aber nicht geliefert – so ließe sich die Scholzsche Kommunikationsoffensive umschreiben. Und doch: Das Problem der SPD hat nicht nur mit zu wenig flotten Reden und hemdsärmeligen Auftritten zu tun. Es gibt auch kritische Stimmen in der SPD-Fraktion, die sich an den Aufrufen zum gemeinsamen Kämpfen stoßen. "Das beschwört nach innen eine Art Korpsgeist, der Kritik an der Parteilinie schwieriger macht." Die Misere der SPD bloß auf die mangelhafte Kommunikation zu schieben, sei zudem ein "Schutzmechanismus", um nicht über Inhalte zu sprechen, sagt ein Genosse hinter vorgehaltener Hand. "Vielleicht sollten wir mal die Frage stellen, "ob wir vielleicht deswegen Wähler verlieren, weil wir versprochene Inhalte nicht ins Ziel bringen". Unerfüllte sozialdemokratische Versprechen Tatsächlich ist auf der sozialdemokratischen To-do-Liste noch einiges offen: das Tariftreuegesetz, die versprochenen 400.000 Wohnungen pro Jahr, sinkende Mietpreise, die Kindergrundsicherung und so weiter. Einiges davon, wenn auch nicht alles, lässt sich auf die vertrackte Lage in der Ampel zurückführen, den ständigen Streit, die Egotrips. Bestes Beispiel dafür ist das Rentenpaket II, wo in der Koalition bereits die Einigung stand, bevor sie kurz darauf von der FDP zerpflückt wurde. "Dürfen uns nicht mehr erpressen lassen" Für viele Genossen scheint die erste Lehre nach der Sachsen- und Thüringen-Wahl zu sein: Die SPD hat sich bisher in der Bundesregierung zu klein gemacht, agierte zu moderierend. Damit soll es nun vorbei sein. Der Bundestagsabgeordnete und Co-Sprecher der Parlamentarischen Linken, Tim Klüssendorf, sagt t-online: "Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, der Regierung einen stärkeren sozialdemokratischen Anstrich zu geben. Die Menschen haben uns wegen unserer Inhalte gewählt, nun müssen wir liefern. Wir dürfen uns nicht mehr von kleineren Koalitionspartnern erpressen lassen." Auch Andreas Schwarz, stellvertretender haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, mahnt: "Wir müssen den Worten konsequentes Handeln folgen lassen. Als Sozialdemokratie stehen wir für gute Arbeitsplätze, sichere Renten und internationale Solidarität. Das muss in der Arbeit der Regierung jetzt noch sichtbarer werden. Die SPD führt diese Regierung an, daran darf kein Zweifel mehr bestehen." Schicksalswahl in Brandenburg Aber reicht das? Und warum sollte gerade jetzt, da die Ampel fast stehend k.o. ist, mehr sozialdemokratische Politik möglich sein? Fragen, auf die kaum jemand eine Antwort weiß. Das dröhnende Schweigen über die Wahlklatsche und die vertagte Revolte im "Landgut Stober" hat auch mit dem 22. September zu tun: Dann wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Landeschef Dietmar Woidke droht, aus dem Amt zu fliegen, die Umfragen sehen seine SPD derzeit bei 19 Prozent, die AfD bei 24 Prozent. Sollte die SPD das Ministerpräsidentenamt verlieren, könnte der Partei ein Aufstand ins Haus stehen, bei der nichts mehr ausgeschlossen ist. Auch nicht, so sagen es mehrere Abgeordnete t-online, ob Olaf Scholz nicht doch noch als Kanzlerkandidat ausgetauscht wird.