Scheut die Ampel vor einer Migrationswende ohne Unionsbeteiligung zurück? Bei "Markus Lanz" forderte der Liberale Johannes Vogel eine Fortsetzung der Verhandlungen. Mit der schwierigen Koalitionsbildung in Thüringen, dem gescheiterten Migrationsgipfel und der VW-Krise nahm sich ZDF-Moderator Markus Lanz drei Themen vor, die stellvertretend für ein neues Gefühl der politischen und ökonomischen Ungewissheit in Deutschland stehen. FDP-Vizechef Johannes Vogel nutzte seinen Auftritt, um die Union an ihre staatspolitische Verantwortung zu erinnern und sie zur Zusammenarbeit zu drängen. "Die Union muss zurückkommen an den Gesprächstisch", forderte der Liberale, der sich angesichts der kompromisslosen Haltung von CDU und CSU noch immer verstört zeigte, am Dienstagabend im ZDF . Gäste Bodo Ramelow (Die Linke) , Ministerpräsident Thüringens Johannes Vogel (FDP) , stellvertretender Parteivorsitzender Eva Quadbeck , Redakteurin des RND RedaktionsNetzwerks Deutschland Felix Lee , Journalist Dass CDU und CSU mit dem Verlassen des Gipfels zu weit gegangen sein könnten, machte auch die Journalistin Eva Quadbeck deutlich. Anders als ihr Mitdiskutant von der FDP unterstellte die Leiterin der Hauptstadtredaktion des "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (RND) den konservativen Schwesterparteien aber Kalkül. Man habe nie vorgehabt, sitzenzubleiben, sondern zwischen den Landtagswahlen die Chance gesehen, an der Stelle die Parteien der Regierungskoalition auseinanderzutreiben. "Die Union hat aber komplett überzogen und dann diesen Effekt bekommen, dass die Ampel sich zusammengerauft hat", führte Quadbeck aus. Ramelow glaubt an Wahlkampfmanöver der Union "Man sollte oder darf so nicht miteinander umgehen", schloss sich der noch amtierende thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow der Kritik an der Union an. Das Thema eigne sich nicht für Wahlkampfmanöver. "Der Eindruck, den ich habe: Wir stehen vor der Brandenburger Wahl und es soll noch mal Kräftemessen gemacht werden. Ich finde das sehr bedauerlich", sagte der Linke-Politiker. In der Analyse der gegenwärtigen Problemlage an den deutschen und europäischen Grenzen waren sich die Talkteilnehmer weitgehend einig. Das Dublin-Verfahren, wonach das Ersteinreiseland für den Asylantrag zuständig ist, sei durchlöchert wie ein Schweizer Käse, so Ramelow bildhaft. Eine Ansicht, die Quadbeck bekräftigte. Das ganze Asylsystem in Europa funktioniere seit 2015 so, dass Dublin missachtet und alles nach Deutschland durchgewunken werde. Und Deutschland habe das so lange akzeptiert, dass es sehr, sehr schwer werde, davon abzurücken, gab die Journalistin zu bedenken. FDP-Vize sieht Akzeptanz für Migration gefährdet Gleichzeitig ließ FDP-Politiker Vogel keinen Zweifel daran, dass die Zahl der irregulären Migranten sinken müsse. "Ich will ein weltoffenes, vielfältiges Land, das mehr qualifizierte Einwanderung hat. Um das hinzukriegen, müssen wir aber Akzeptanz für die Migrationspolitik insgesamt haben", erläuterte der Liberale. Von Quadbeck musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, sich hinter dem Abbruch der Gespräche durch die Unionsvertreter zu verstecken. "Die Ampel hat Angst vor der eigenen Courage", lautete das Urteil der RND-Redakteurin. Für die vielen und mitunter harten Maßnahmen, die sich die Regierungsparteien vorgenommen hätten, brauchten sie die Union nicht, resümierte Quadbeck. Vor dem Hintergrund der Tücken der angestrebten Wende in der Migrationspolitik wirkte die Frage nach der künftigen Regierungskoalition im Erfurter Landtag geradezu simpel. Ministerpräsident Ramelow sah genau drei Optionen: eine Koalition aus CDU, BSW und SPD unter zusätzlichem Einschluss der Linken; eine Minderheitsregierung aus CDU, BSW und SPD unter Tolerierung der Linken oder ein Bündnis aus BSW, SPD und Linker unter Tolerierung der CDU. Ramelow äußerte eine klare Präferenz für die mittlere Option. Davon, dass er persönlich mit seinem Direktmandat die zur Mehrheit fehlende letzte Stimme für ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD beisteuern könnte, wollte der Linke-Politiker bei seinem Auftritt nichts wissen. "Das hängt davon ab, wie oft sie mich noch in ihre Sendung einladen wollen und wie viel Lakritz ich dabei kriege", kommentierte er launisch die bohrenden Nachfragen des Moderators. Journalist hält China bei E-Mobilität für überlegen Dass der Standort Deutschland vor Problemen ganz anderer Größenordnung stehen könnte, erklärte Felix Lee. Der deutsch-chinesische Journalist, dessen Vater als VW-Manager maßgeblich an der Entwicklung der erfolgreichen China-Aktivitäten des deutschen Autobauers beteiligt war, sah die Konkurrenz aus Fernost im Wettbewerb um gute, bezahlbare E-Autos vorn. VW habe unter dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn zu stark auf Dieselmotoren gesetzt und auch sonst schwere Managementfehler begangen. "Was wir jetzt bei VW erleben, das ist natürlich total dramatisch", sagte Lee. Ohne massive Verluste und staatliche Interventionen komme man aus der Sache nicht mehr heraus. Auch sonst werde in Deutschland stark auf Verschleiß gefahren. In diesem Zusammenhang riet der Autor dazu, sich von der Schuldenbremse zu lösen und eher pragmatisch als ideologisch zu handeln. China habe in Sachen E-Mobilität und darüber hinaus seine Hausaufgaben gemacht, während hierzulande vieles nicht mehr funktioniere. "Wir verpassen den Anschluss in einer Reihe von Schlüsseltechnologien, und zwar in einer Geschwindigkeit, wie wir uns das kaum vorstellen können", konstatierte Lee. Vogel, dem einzigen Ampel-Politiker in der Runde, blieb angesichts des harten Urteils wenig anderes übrig, zusätzlich zur Migrationswende eine veritable Wirtschaftswende in Aussicht zu stellen.