Borussia Dortmund steckt in der Krise. Mal wieder. Und mal wieder wird vor allem einer zum Sündenbock gemacht. Ist der Kapitän nach seiner Sperre sogar ganz außen vor? Es war das i-Tüpfelchen auf die vergangenen Wochen – im negativen Sinne. Die Rote Karte von BVB-Kapitän Emre Can bei der 1:3-Niederlage in Mainz am Samstag. Damit machten er und seine verletzungsgeplagte Mannschaft postwendend den Mini-Aufschwung nach den Siegen gegen RB Leipzig (2:1) und Sturm Graz (1:0) zunichte, bei denen Can nach heftiger Kritik in den Vorwochen als Aushilfsinnenverteidiger zu den besten BVB-Akteuren gehört hatte. Nun ist er für die nächsten beiden Bundesliga-Spiele gegen den SC Freiburg (23. November) und Bayern München (30. November) gesperrt. Die Rote Karte steht nun stellvertretend dafür, welch unglückliche Figur der Nationalspieler in den so turbulenten wie inkonstanten ersten drei Monaten der neuen Saison abgibt. Zum Start der Spielzeit vom neuen Trainer Nuri Şahin mitunter auf die Bank gesetzt, überzeugte er im defensiven Mittelfeld selten – wenn er denn überhaupt auflaufen durfte. Die Verletzungsmisere spülte ihn nun zuletzt in die Innenverteidigung. Obwohl sich Can nie darüber beklagte, wenn er gar nicht oder nicht auf seiner angestammten Position aufgestellt wurde, brach fast wöchentlich Kritik über ihn herein, die immer mehr zu Häme und Spott ausuferte. Etwa nach seinem Patzer in Augsburg, als er ein Gegentor mit verunglückter Abwehraktion praktisch direkt auflegte. Oder nach seinem frühzeitig abgebrochenen Laufduell gegen Real Madrids Super-Sprinter Vinícius Júnior, das in den sozialen Medien viral ging. Cans Missgeschicke wurden in den (sozialen) Medien ausgeschlachtet. Gute Auftritte wie gegen Leipzig oder Graz gerieten in den Hintergrund. Eine Frage, die sich dabei aufdrängt: Warum immer er? Klar, Can ist Kapitän des Klubs, zählt zu den Spitzenverdienern und zu den international erfahrensten Spielern im Kader. Er beansprucht für sich, Führungsspieler zu sein. Und er hat Fehler gemacht, die die Vorlagen für die Kritik lieferten, keine Frage. Doch es ist keineswegs das erste Mal, dass Can als Sündenbock herhalten muss. Der Zustand hat sich potenziert, als er 2023 für viele überraschend das Kapitänsamt von Vereinslegende Marco Reus übernahm. Can offen: "Bin auch nur ein Mensch" Nicht nur auf Klubebene war Can ein Ziel von öffentlichem Spott. Bei der Fan-Wahl zum Nationalspieler des Jahres 2023 wurden Can und die Online-Abstimmung selbst ins Lächerliche gezogen, nachdem sich X-User vernetzt und dazu aufgerufen hatten, einheitlich den Dortmunder zu wählen. Der lief in jenem Jahr jedoch nur in sechs von elf Spielen auf, absolvierte nicht einmal die Hälfte der möglichen Spielminuten. Und er gewann die so nicht mehr ernst zu nehmende Wahl mit großem Abstand. Er nahm es mit Humor: "Wenn aus Spaß Ernst wird. Freue mich trotzdem und hey, gegen Belgien und Frankreich war auch ganz gut", schrieb er damals auf Instagram. Doch in den vergangenen Wochen ist ihm der Humor vergangen. Can gab nach dem Sieg über Leipzig ehrliche Einblicke in sein Gefühlsleben: "Am Ende bin ich auch nur ein Mensch, der Leistung bringen will – und das nicht jede Woche, nicht in jedem Spiel hinbekommt. Aber ich versuche mich trotzdem nicht zu verstecken, in der Kabine da zu sein." Can zeigte sich reflektiert: "Und ich habe Fehler gemacht, keine guten Spiele gemacht, das weiß ich. Ich kann auch mit Kritik umgehen – aber nicht, wenn es unter der Gürtellinie ist. Damit kann ich nicht umgehen – und es war bisschen unter der Gürtellinie." Selbst Mitspieler hätten Mitleid mit ihrem Kapitän, der in der Kabine jedoch beliebt sei, berichtete die Boulevardpresse. Wie konnte es so weit kommen? Can kam 2020 als Hoffnungsträger Rückblick: Dortmund verpflichtete Can im Januar 2020 von Juventus Turin . Zunächst leihweise bis Saisonende, dann fest für eine Ablöse von 25 Millionen Euro. Der Transfer wurde als echte Verstärkung angesehen, vor allem, was die beim BVB damals schon grassierende Frage nach der Siegermentalität angeht. Schließlich hatte sich Can beim FC Liverpool und speziell unter Jürgen Klopp , der ihn unbedingt halten wollte, zu einem wichtigen Fixpunkt im Spiel der "Reds" entwickelt, bevor er nach Italien weiterzog und mit Juventus Turin den Meistertitel gewann. Warum ihn der BVB geholt hatte, machte Can direkt bei seinem ersten Einsatz deutlich, als er im Spiel in Leverkusen ein Traumtor erzielte. Ein Versprechen auf eine erfolgreiche Zukunft in Schwarz-Gelb. Doch an seine wohl beste Zeit in Liverpool konnte er in der Folge nicht mehr anknüpfen. Trotz seiner vorbildlichen Arbeiter- und Kämpfermentalität, wie sie etwa Cans Ex-Nebenmann Jude Bellingham , der von den BVB-Fans verehrt wurde, verkörperte, wurde der 30-Jährige nie zu einem Publikumsliebling im Signal Iduna Park. Dabei zählte ihn der französische Weltmeister Paul Pogba erst kürzlich als einen seiner unangenehmsten Gegenspieler auf. Auch Nationalmannschaftskollege David Raum lobte Can zuletzt: "Ich finde nach wie vor, dass er ein Topspieler ist. Nicht zuletzt, als er bei der EM nachnominiert wurde, hat er uns geholfen, auf und neben dem Platz. Er ist nicht umsonst Kapitän bei Dortmund, weil er in der Kabine wichtig ist." Doch es scheint, als könne die Sicht von Fans und Spielerkollegen auf Can kaum konträrer sein. Can verpasst Duell mit den Bayern Unfreiwillig hat Can in der Bundesliga jetzt Spielpause bis Dezember. Von Bundestrainer Nagelsmann wurde er nicht für die beiden Nations-League-Partien berücksichtigt. Nach seiner Roten Karte fehlt er seinem Klub mindestens zwei Spiele, unter anderem im Spiel gegen den FC Bayern . Eine Pause, die ihm persönlich womöglich guttut. Allerdings könnte die Zwangspause auch Folgen für ihn haben. In der Zwischenzeit werden einige Leistungsträger beim BVB zurückkehren. Etwa Verteidiger Waldemar Anton, dessen Platz Can zuletzt eingenommen hatte. In der Mittelfeldzentrale vertraute Trainer Nuri Şahin vor der Verletzungsmisere bereits eher anderen: Felix Nmecha, Pascal Groß und Marcel Sabitzer. Mit anderen Worten: Cans Stammplatz ist in Gefahr. Womöglich hat er sich in Mainz längerfristig aus der Startelf gegrätscht.