Eine aktuelle Umfrage zeigt: Den Deutschen macht der wirtschaftliche Abstieg des Landes große Sorgen. Von der nächsten Regierung erwarten sie "grundlegende Reformen", wie auch Arbeitgeberpräsident Dulger bekräftigt. Die nackten Zahlen könnten kaum deutlicher sein: Um 0,2 Prozent ist die Wirtschaftsleistung Deutschlands vergangenes Jahr geschrumpft. Im zweiten Jahr in Folge befindet sich die Volkswirtschaft damit im Sinkflug, Ökonomen sprechen bereits von der längsten Stagnationsphase seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Folge: Der Wohlstand verringert sich, die Arbeitslosigkeit steigt, im Vergleich zu anderen Ländern fällt Deutschland zurück. Vor der Neuwahl des Bundestags Ende Februar alarmiert das auch viele Bürger. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für den Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), die t-online exklusiv vorliegt, zeigt: Die wirtschaftliche Lage Deutschlands hat sich in der Wahrnehmung der überwiegenden Mehrheit verschlechtert. Und: Damit das Land wieder gut für die Zukunft gerüstet ist, erwarten die Deutschen von der nächsten Bundesregierung "grundlegende Reformen". Demnach gaben nur drei Prozent der insgesamt mehr als 1.000 Befragten an, dass sich die Wirtschaftslage in den vergangenen drei Jahren eher verbessert habe – 80 Prozent sagten, sie habe sich eher verschlechtert. Zugleich halten nur zwei Prozent der Bürger Deutschland für künftige Herausforderungen "alles in allem" für gut aufgestellt. 21 Prozent sagten auf die Frage, ob Deutschland gut für die Zukunft gerüstet sei: "Nein, es sind kleinere Veränderungen nötig." Und 76 Prozent urteilten: "Nein, es sind grundlegende Reformen nötig." Auch Ältere wollen Reform des Rentensystems Den größten Reformbedarf sehen die Menschen in Deutschland dabei im Bildungssystem (Zustimmung: 84 Prozent), in der Energieversorgung für Bürger und Unternehmen (83 Prozent) und im Gesundheitssystem (81 Prozent). Ebenso notwendig seien Änderungen beim Rentensystem (77 Prozent), in der öffentlichen Verwaltung (76 Prozent) sowie bei der Verkehrsinfrastruktur (76 Prozent). Auffällig dabei: Auch die Älteren (60 Jahre und älter) halten eine Reform des Rentensystems mehrheitlich (73 Prozent) für wichtig. Viele Menschen beklagten dabei, dass Politiker auf der Bundesebene oft nicht gut genug erklärten, welche Veränderungen sie genau vorhaben – und was diese im Einzelnen für die Bürger und das Land bedeuten: 88 Prozent der Befragten stimmten einer entsprechenden Aussage zu, nur 9 Prozent sind zufrieden mit der Kommunikation der Politiker. Interessanter Befund: Nicht nur die Anhänger der Oppositionsparteien CDU/CSU, FDP , AfD und BSW sehen das in großer Mehrheit so. Auch jene Menschen, die SPD und Grünen nahestehen, finden, dass die Politiker offener über anstehende Reformen sprechen sollten. Nur 18 Prozent beziehungsweise 17 Prozent der SPD- und Grünen-Anhänger finden, dass die Kommunikation in dieser Hinsicht ausreiche. 78 Prozent der SPD-Wähler und 81 Prozent der Grünen-Wähler halten die Transparenz für nicht ausreichend. Dulger: "Es bewegt sich zu wenig in unserem Land" Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sieht sich und seinen Verband in den Ergebnissen bestätigt. Er appelliert: "Deutschland braucht eine Wirtschaftswende. Nach drei Jahren Ampel und zwei Jahren Rezession merken die Bürgerinnen und Bürger: Es bewegt sich zu wenig in unserem Land – es muss sich etwas ändern." Die Bürger spürten, dass auf vielen Feldern dringender Handlungsbedarf bestehe: "Ein fantasieloses Verwalten des Status quo darf es nicht geben." Die Resultate der Ampelregierung ließen "mehr als zu wünschen übrig". Dulger: "Wir brauchen grundlegende Reformen. Das ist ein klarer Auftrag an die nächste Bundesregierung. Die Politik muss jetzt liefern." Die neue Bundesregierung müsse zügig die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg in der nächsten Dekade schaffen. "Sonst wird unser Land weiter Schritt für Schritt an Wohlstand, Einfluss und Sicherheit verlieren." Längste Stagnationsphase seit dem Zweiten Weltkrieg Die deutsche Wirtschaft war bereits im Jahr 2023 geschrumpft. Damals sank das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent. Dass die Konjunktur in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schlecht läuft, ist ungewöhnlich. Seit der Gründung der Bundesrepublik gab es eine solche Schrumpfperiode bislang lediglich einmal, in den Jahren 2002 und 2003. Für das laufende Jahr erwarten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute kaum Besserung. "Die deutsche Wirtschaft dürfte sich auch in diesem Jahr kaum aus der Stagnation befreien, sollte es nicht bald gelingen, mit wirtschaftspolitischen Reformen die Standortprobleme in den Griff zu bekommen", sagte unlängst Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef beim Ifo-Institut. 2024 sei das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt nur wenig höher als 2019 vor der Corona-Pandemie. "Deutschland durchläuft die mit Abstand längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte." Parteien stellen Wirtschaftspolitik in den Fokus Im Bundestagswahlkampf ist die Wirtschaftspolitik darum ein zentrales Thema. Während SPD und Grüne für mehr schuldenfinanzierte Staatsausgaben und Subventionen werben, die die Konjunktur stimulieren sollen, sprechen sich die Unionsparteien sowie die FDP eher für Steuersenkungen aus. Diese sollen Anreize setzen für Investitionen und dafür, dass sich mehr arbeiten finanziell auch mehr lohnt. Ebenfalls als wichtig erachten die Parteien den Abbau von Bürokratie, die viele Unternehmen lähmt. Auch hier tun sich vor allem die Liberalen mit radikalen Forderungen zum jährlichen Rückbau vorhandener Regeln hervor, auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz will sich der Sache mit Priorität annehmen. An eine grundlegende Reform des Rentensystems, die viele Menschen in der Umfrage für nötig halten, wagen sich die Parteien jedoch nicht heran. Keine Partei wirbt etwa mit der unpopulären Forderung nach einem höheren Renteneintrittsalter um die Gunst der alternden Wählerschaft. Dabei halten etliche Experten diese für notwendig. Auch andere Ideen zur langfristigen Finanzierung des Umlagesystems, etwa eine Absenkung des Rentenniveaus oder ein Koppeln desselben an die Inflation statt an die Löhne, finden sich in den Wahlprogrammen nicht wieder. Für die Umfrage hat Forsa im Auftrag des Arbeitgeberverbands BDA im Zeitraum 6. bis 8. Januar insgesamt 1.008 Menschen in Deutschland ab einem Alter von 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind für die deutsche Gesellschaft repräsentativ. Die statistische Fehlerschwankung liegt bei plus/minus drei Prozentpunkten.