Wahlkampf bedeutet immer auch Kampf. Das hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt. Doch welcher Kandidat hat sich bisher am besten präsentiert? Ein Experte ordnet ein. Nur noch knapp einen Monat bis zur Bundestagswahl , der Wahlkampf geht in die entscheidende Phase. Dabei haben sich die Kanzlerkandidaten der Parteien bisher sehr unterschiedlich verkauft. Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD) stritten sich zunächst intensiv, blieben zuletzt aber ruhig. Dagegen machte Grünen-Frontmann Robert Habeck mit einem unausgereiften Vorschlag Schlagzeilen, während die AfD-Kandidatin Alice Weidel sich zunehmend radikal zeigte. Doch wessen Strategie geht bisher auf? Diese Frage beantwortet der Kommunikationswissenschaftler Simon Lübke. t-online: Herr Lübke, welcher der Kanzlerkandidaten kommuniziert in diesem Wahlkampf bisher am besten? Simon Lübke: Alle kommunizieren nach sehr ähnlichen Mustern, die wir aus bisherigen Wahlkämpfen kennen. Sie versuchen, die Themen voranzustellen, bei denen ihrer Partei eine große Kompetenz zugeschrieben wird. Am schwersten hat es im Moment Robert Habeck, weil das Kernthema der Grünen, der Klimawandel , in der Bevölkerung momentan keine hohe Priorität hat. Deshalb muss er versuchen, sich über andere Themen zu profilieren. Robert Habeck hat das offensichtlich erkannt und Aufsehen erregt, als er Sozialabgaben auf Kapitalerträge forderte. Allerdings gab es für den Vorschlag vor allem Kritik. Was hat er falsch gemacht? Ich vermute, dass die Erfahrung mit dem Heizungsgesetz eine große Rolle spielt. Viele sind bei Habeck und Vorstößen von den Grünen seitdem zusätzlich sensibilisiert. Es wird deshalb noch einmal genauer nachgehakt, ob im Detail alles durchgeplant ist. Außerdem spricht er ein Umverteilungsthema an, weshalb die politischen Mitbewerber hellhörig werden und Kontra geben. Und dazu kam natürlich, dass sich die Grünen sehr unsicher waren, wie sie es im Detail umsetzen möchten. Das ist eine gute Grundlage für Kritik vom politischen Mitbewerber. Ist es denn überhaupt ratsam, mit solchen riskanten Vorschlägen im Wahlkampf vorzupreschen? Es ist doch die Idee von Wahlkampf, dass man klarmacht, für welche Inhalte eine Partei steht. Und der Titel Kanzlerkandidat suggeriert zwar, dass man Kanzler für alle Menschen werden möchte, aber das funktioniert faktisch nicht. Es gibt immer eine bestimmte Spanne von Menschen, die bereit sind, eine Partei zu wählen. Und die versucht man zu mobilisieren. Dass ein solcher Vorstoß bei manchen Menschen zu Widerstand führt, ist erst mal normal. Interessant finde ich aber diesen Aufschrei: 'Schon wieder der Habeck, der etwas nicht durchgeplant hat.' Auch andere Parteien machen Vorschläge, ohne dass bei jedem Thema so detailliert nachgehakt wird. Aber ich bezweifle, dass über das Thema in einem Monat überhaupt noch diskutiert wird. Von Friedrich Merz und Olaf Scholz hat man zuletzt sehr wenig mitbekommen. Doch während die Union in den Umfragen aktuell verliert, gewinnt die SPD . Wieso ist eine solche Zurückhaltung also manchmal vorteil- und manchmal nachteilhaft? Das ist tatsächlich interessant. Denn eigentlich ist es für Merz ideal, dass es aktuell viel um innere Sicherheit und Wirtschaft – und damit die Kernthemen der CDU – geht. Scholz konzentriert sich eher auf Themen wie soziale Gerechtigkeit und den Arbeitsmarkt. Aber das Auftreten hat auch mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Erklären Sie das bitte. Habeck ist in der Rolle des Herausforderers. Friedrich Merz weiß, dass er deutlich vorn liegt, und Olaf Scholz ist quasi der Titelverteidiger. Deshalb interpretieren sie ihre Rolle anders. Das ist wahrscheinlich eine Erkenntnis aus dem Bundestagswahlkampf 2021, wo man immer wieder die grandiose Aufholjagd von Olaf Scholz beschreibt, auch weil die Gegenkandidaten bei Auftritten negativ aufgefallen sind, etwa Armin Laschets Lachen im Ahrtal. Was schließen die Kandidaten also jetzt daraus? Es gibt eine gewisse Zurückhaltung. Man will nicht zu sehr in die Offensive gehen. Denn auch wenn die Union gerade etwas verliert, bleibt sie ja stabil um die 30 Prozent und wird nach aktuellem Stand nach der Wahl die Regierung führen. Interessant wird, was jetzt aus der Messertat in Aschaffenburg folgt. Solche Ereignisse, auch Umweltkatastrophen, können den Ton noch einmal ändern. Wir sind zudem auch noch nicht in der heißen Phase des Wahlkampfes. Der Ton wird ja bereits rauer. Obwohl Merz das Thema Migration eigentlich aus dem Wahlkampf heraushalten wollte, prescht er nach dem Vorfall in Aschaffenburg jetzt mit deutlichen Forderungen vor. Hat Merz das Momentum genutzt? Ja, das kann man so sehen. Aber das gilt nicht nur für Merz und die Union. Auch andere fordern eine Reaktion. So spricht Olaf Scholz davon, dass "sofort Konsequenzen folgen müssen". Es ist nachvollziehbar, dass das Thema in der Debatte von verschiedenen Seiten aufgegriffen wird. Scholz hat tatsächlich ungewohnt deutlich reagiert. Er sei es leid, dass sich alle paar Wochen solche Gewalttaten zutragen. Er will keine falsch verstandene Toleranz. Hat er seinen Kommunikationsstil geändert? Olaf Scholz steckt bei vielen in einer gewissen Schublade. Es gibt ja die Zuschreibung als "Scholzomat" als sehr sachlich und wenig emotional. Und hält er mal ein, zwei Reden, wo er aus der Schublade ein bisschen rauskommt und mit der Erwartung bricht, wird da ganz kritisch draufgeschaut. Bei anderen nehmen wir es als normal hin, dass sie emotionaler argumentieren. Das ist ähnlich wie bei Habeck, wo man noch mal ein bisschen genauer nachhakt. Aber eigentlich ist das die erwartbare Reaktion eines Kanzlers. Aber in dieser Deutlichkeit hat er sich über das grundsätzliche Problem von straffälligen Migranten bei anderen Vorfällen nicht geäußert. Bei der SPD hat man sich sicher überlegt, wie die Sprache von Olaf Scholz wahrgenommen wird und an welchen Stellen es gut wäre, wenn er aus den üblichen Mustern ausbricht und sich von einer anderen Seite zeigt. Da versucht man sicher, im Wahlkampf sein Profil zu schärfen – und auch mal gegen Friedrich Merz auszuteilen. Das hat er insbesondere zu Beginn des Wahlkampfes rund um die Vertrauensfrage intensiv getan, unter anderem mit seinem berühmten Ausspruch: "Fritze Merz erzählt gerne Tünkram." Kommuniziert so ein Kanzler? Im Wahlkampf gehört es auch für den Amtsinhaber dazu, sich abzugrenzen und die anderen zu kritisieren. Man ist nicht dazu verpflichtet, den politischen Gegner zu loben. Es ist total legitim, sich zu positionieren und zu sagen: 'Ich gehe nicht konform damit, wie die anderen argumentieren.' Die Parteien haben aber im Vorfeld ein Fairnessabkommen beschlossen, die Kanzlerkandidaten haben den fairen Umgang auch bei Joko und Klaas bei ProSieben verkündet. Wurde das durch solche Aussagen verletzt? Was eine persönliche Herabwürdigung ist, müssen letztlich die Wählerinnen und Wähler beurteilen. Aber ein Wahlkampf, in dem man die Ideen und den Kommunikationsstil der anderen kritisiert, ist normal und gehört zum Wettbewerb. Man kann es als respektlos einordnen, aber ich würde es nicht größer machen, als es ist. Die AfD ist beispielsweise nicht Teil dieser Vereinbarung und schießt deutlich schärfer. Insbesondere deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel hat ihren Ton im Wahlkampf ja noch einmal deutlich verschärft, was insbesondere bei der Rede auf dem Parteitag deutlich wurde, als sie beispielsweise auch das Wort "Remigration" verwendete. Die AfD argumentiert gerne populistisch, sie sei Vertreter der normalen Bürger. So bodenständig nehme ich Alice Weidel nicht wahr. Sie nimmt eher die Rolle der Anwältin derjenigen ein, die die Partei als vernachlässigte, normale Bürger beschreibt. Rhetorisch passt sie sich dabei den radikalen Positionen ihrer Partei an. Sie ist ja auch erfolgreich damit, dann den Diskurs dahingehend zu verschieben. Im Deutschlandtrend war zuletzt Zuwanderung noch vor der Wirtschaft das wichtigste Thema. Und daran hat die AfD auch ihren Anteil, indem sie radikal gegen Minderheiten hetzt. Das bedient Weidel nun. Die AfD hat insbesondere in den sozialen Medien Erfolg. Sie forschen insbesondere in diesem Bereich. Was macht die Partei dort besser als die anderen Parteien? Die AfD kann in ihrer Sprache und anhand ihres Programms stärker emotionalisieren und Botschaften besser verkürzen. Sie folgt anderen Spielregeln als die anderen Parteien. Und das wird von den Algorithmen der sozialen Medien belohnt. Denn verkürzte, emotionale Botschaften funktionieren gut, wenn man ein Zeichenlimit hat und die Aufmerksamkeit begrenzt ist. Da ergibt sich ein gutes Zusammenspiel aus Plattformlogik und der Art und Weise, wie die Partei kommuniziert. Aber Studien zeigen: Die anderen Parteien sind nicht chancenlos und oft auch erfolgreich. Wir schenken der AfD da zu viel Aufmerksamkeit. Ein Mann der anderen Parteien, der ebenfalls sehr erfolgreich ist, ist CSU-Chef Markus Söder . Was macht er so gut? Er hat es geschafft, eine eigene Marke zu etablieren. Söder macht das ähnlich wie andere Persönlichkeiten, die in den sozialen Medien erfolgreich sind. Er hat zum Beispiel feste Rubriken wie 'Söder isst' oder macht Gewinnspiele. Er bedient die Mechanismen der sozialen Medien, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es ist schwierig, eine sehr komplexe politische Botschaft in sozialen Medien rüberzubringen. Aber sich über Freizeitaktivitäten und Essen zu inszenieren, kann einen leichten Zugang zur Politik ermöglichen. Wenn wir jedoch überlegen, Söder wäre der Kanzlerkandidat der Union geworden, würde ihm seine Social-Media-Aktivität in der Partei wahrscheinlich negativ ausgelegt werden. Das heißt, sich als Influencer zu inszenieren, ist gut für die Reichweite, aber nicht gut für die politische Karriere? Es kann auf jeden Fall ein Problem sein. Wir reden nicht ohne Grund jetzt über Markus Söder. Es ist nicht gang und gäbe für jemanden mit einem so hohen politischen Amt, sich in sozialen Medien so zu zeigen. Das Profil von Friedrich Merz ist dagegen sehr viel staatsmännischer. Er zeigt sich als Akteur auf der internationalen Politikbühne und versucht, sich als kompetenten und wichtigen Akteur zu inszenieren. Das würde sich bei Markus Söder mit Blick auf seine bisherigen Beiträge beißen, selbst wenn er es anpasst. Das würde ihm immer wieder auf die Füße fallen. Aber langweilt es die Menschen nicht viel eher, wenn sich Friedrich Merz so staatsmännisch inszeniert? Es generiert doch wenig Interesse, wenn dort nichts passiert. Man braucht eine gute Mischung, also Inhalte, die verfangen und Aufmerksamkeit schaffen, um dann die tatsächlichen politischen Inhalte in dem Moment der Aufmerksamkeit zu vermitteln. Das ist ein schmaler Grat. Aber es muss auch zur Person passen. Olaf Scholz könnte sich nicht so inszenieren – und Friedrich Merz auch nicht. Andererseits braucht Söder das Bierzelt für seinen Stil – das passt besser als internationale Bühne. Herr Lübke, vielen Dank für das Gespräch!