Zwei Initiativen im Bundestag zielen darauf ab, die AfD zu verbieten. Am Donnerstag wurden sie erstmals diskutiert. Die Mehrheit der Abgeordneten ist gegen sie – auch wegen der Stärke der Partei. Marco Wanderwitz wählt drastische Worte. "Wir haben es mit einer wirkmächtigen, gruseligen, rechtsextremen Partei zu tun, die leider von Wahlsieg zu Wahlsieg eilt", sagt der CDU-Politiker, der unter Angela Merkel Ostbeauftragter der Bundesregierung war. Die AfD vergifte "die politische Kultur, die Herzen und Köpfe der Menschen in unserem Land". Es ist Wanderwitz' Antrieb, um am Donnerstagmittag mit vier Kollegen aus anderen Parteien auf der Fraktionsebene des Bundestags zu stehen, Kameras und Mikrofone der Presse vor sich. Sie wollen an diesem Tag einen Antrag auf ein Prüfverfahren der AfD beim Bundesverfassungsgericht vorantreiben. Die Hoffnung der Initiatoren: Das oberste Gericht soll die Verfassungsfeindlichkeit der AfD feststellen – und sie verbieten. Ausradiert würde die Partei dann von den Wahlzetteln, ihre Gelder würden eingezogen, ihre Abgeordneten aus den Parlamenten verwiesen. Die Zeichen stehen auf Normalisierung Die Hürden für ein Parteiverbot aber sind enorm hoch; die Gründe, warum es misslingen kann, zahlreich. Ein anderer Antrag aus der Feder von einer Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast hat deswegen ein ähnliches Ziel wie die Wanderwitz-Initiative, will aber vorsichtiger vorgehen und verlangt eine genaue Vorprüfung, bevor man sich an das oberste Gericht wendet. Beide Anträge sollen an diesem Donnerstag erstmals im Bundestag beraten werden. Eigentlich könnte der Zeitpunkt für solche Ansinnen günstig sein. Die AfD nämlich tritt derzeit so radikal auf wie nie zuvor. AfD-Chefin Alice Weidel verbreitete zuletzt bei mehreren prominenten Auftritten Geschichtsklitterung, NS-Verharmlosung und rechtsradikale Narrative. Im Stil der rechtsextremen Parteien NPD und III. Weg verteilten AfD-Politiker zudem "Abschiebetickets" an deutsche Haushalte; angelehnt an eine Parole von Hitlers SA ("Alles für Deutschland") feiert die AfD-Basis Weidel nun mit dem Spruch "Alice für Deutschland". Im Wahlkampf also dreht die AfD weiter auf, statt sich zu mäßigen. Beide Anträge aber scheitern derzeit schon am allerersten Schritt – nämlich daran, genug Abgeordnete hinter sich zu versammeln, um überhaupt irgendein Verfahren auf den Weg zu bringen. Das liegt auch daran, dass die Zeichen im Bundestag trotz allem so sehr wie nie zuvor auf Normalisierung der AfD und erstmals auch auf Zusammenarbeit mit ihr stehen. AfD frohlockt: "Jetzt beginnt neue Epoche!" Größter Beweis dafür ist die Abstimmung, die einen Tag zuvor stattgefunden hat. Da erlangte zum ersten Mal ein Antrag, eingebracht von der Union, eine Mehrheit im Bundestag – allein, weil auch die AfD geschlossen für ihn stimmte. Ein Novum, ein historischer Tabubruch, gerade auch weil er vorhersehbar war. Alle Parteien hatten ihre Abstimmabsichten zuvor kommuniziert, so dass klar war: Es braucht die AfD zwingend, um diesen Antrag durchzubringen. CDU-Chef Friedrich Merz hielt dennoch an seinem Vorstoß fest. Das Richtige werde nicht falsch, nur weil die Falschen dafür stimmten, sagte er vorab. Am Ende stimmten 348 Abgeordnete von Union, AfD, FDP sowie aus den Reihen der Fraktionslosen für den Merz-Antrag, 345 dagegen. Die AfD jubelte und klatschte danach als einzige im Plenum. "Das bedeutet das Ende der rot-grünen Dominanz auch hier in Deutschland – für immer!", rief der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, am Rednerpult nach der Verkündung. "Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche, jetzt beginnt etwas Neues." Und dieses Neue würden die Kräfte der AfD anführen. "Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben!" Eine vor Kraft und Stolz strotzende AfD, die gleich am Freitag denselben Höhenflug erneut erleben dürfte. Da nämlich steht der nächste Unions-Antrag auf der Liste, bei dem die Mehrheiten ähnlich liegen. Wieder wollen Union, FDP und dieses Mal auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit der AfD stimmen. Und jetzt, in dieses Klima hinein, ein Antrag auf ein Verbotsverfahren? Künast: AfD ist so groß, dass sie Erfolg haben könnte Grünen-Politikerin Renate Künast schätzt die Chancen für die Verbots-Anträge im Parlament realistisch ein: Es sehe nicht gut aus, sagt sie im Bundestag t-online. Und doch sei es "richtig und wichtig", die Anträge am Nachmittag im Bundestag zumindest zu diskutieren. Es heiße in dieser Diskussion immer: "Die Partei ist zu klein oder sie ist zu groß oder der Zeitpunkt ist falsch", so Künast. "Aber nein", betont sie. "Das Grundgesetz sieht keine falschen Zeitpunkte vor." Im Grundgesetz ist in Artikel 21 festgelegt, dass die Verfassungswidrigkeit einer Partei gerichtlich festgestellt werden kann. Gelungen ist das bisher erst zwei Mal in der Geschichte. Bei dem letzten Verbotsverfahren gegen die NPD, das 2017 scheiterte, stellte das Verfassungsgericht hingegen fest: Die Partei sei zu klein, zu unbedeutend, als dass sie die Grundordnung der Bundesrepublik tatsächlich in Gefahr bringen könne. Künast betont, dass es bei der AfD heute anders sei: Sie wende sich nicht nur inhaltlich gegen die Verfassung, sie sei auch so groß, dass sie dabei enorm wirkmächtig sei. Der gemeinsame Beschluss mit FDP, CDU/CSU und den einzelnen Fraktionslosen am Tag zuvor zeige, wie sehr die AfD den Ton bestimme und CDU-Chef Merz "schon getrieben ist von der AfD". Umso mehr, findet Künast, "müssen wir darüber reden: Wo geht das hier eigentlich hin?" "Einige sind nachdenklicher geworden" Viele Abgeordnete hat die Entwicklung im Plenum aufgeregt. Noch am Donnerstag dominiert das Thema in den Aufzügen und an den Tischen in der Cafeteria. Einige Politiker, erzählt die Gruppe um Wanderwitz ebenso wie Künast, hätten sich seither an sie gewandt und Unterstützung für ein Verbotsverfahren signalisiert. "Sicherlich sind einige nachdenklicher geworden seit gestern", sagt die SPD-Politikerin und Mitinitiatorin Carmen Wegge. Genug für eine Mehrheit aber ist das noch lange nicht. Und es sieht nicht so aus, als würde sich das zeitnah ändern. Die SPD-Spitze hat sich gerade, ebenso wie zuvor bereits die CDU- und die FDP-Führung, im Namen ihrer Partei deutlich gegen ein Verbotsverfahren positioniert. Diese Ansagen haben enorme Strahlkraft auf Abgeordnete, auch in der letzten Bank. "Die Mehrheit in diesem Haus ist gegen die Debatte – da liegt das Problem", sagt Künast. Insgesamt hätten die beiden Anträge vielleicht 200 Unterstützer, bei 733 Abgeordneten im Bundestag. "Sorge bereiten mir die 500, die sich nicht trauen dürfen, die wegen Fraktionsbeschlüssen jetzt nicht ihrem Gewissen folgen, die das politisch für nicht opportun halten." Ein Beispiel für solche Gehorsamkeit der eigenen Parteispitze gegenüber scheint in einer anderen, doch ähnlich gelagerten Frage sogar Marco Wanderwitz. Der CDU-Politiker ist einer der vehementesten und frühesten Verfechter eines AfD-Verbotverfahrens, im Plenum zollen ihm später Abgeordnete unterschiedlicher Parteien dafür Respekt. Und doch lehnte Wanderwitz sich am Mittwoch nicht gegen den Tabubruch seiner Partei auf, mit der AfD zu stimmen. Anstatt ein deutliches "Nein" bei der Abstimmung abzugeben, blieb er der Abstimmung ganz fern. Beim Pressestatement am Donnerstag will er sein Abstimmverhalten auf Nachfrage der Presse nicht kommentieren. Sieben andere Unionsmitglieder hielten es wie er. Nur eine einzige Abgeordnete, die das Parlament bald verlässt, wagte ein "Nein". 187 Unions-Abgeordnete stimmten mit "Ja". Überzeugte, Zweifler, Kritiker Im Plenum des Bundestags bringen alle Seiten am Abend ihre Positionen vor: die Überzeugten, die Zweifler, die Kritiker. Die letzten beiden loben fast alle die Initiative und betonen: Die AfD sei keine normale Partei, sondern eine Gefahr für die Demokratie. Doch, so formuliert es der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle: Die AfD habe viele, viele Wähler – darunter Menschen, die sich nicht gehört fühlten und sich mehr Kontrolle wünschten. Einen Verbotsantrag zu stellen würde bedeuten, "das Gespräch mit diesen Menschen von heute auf morgen abzubrechen". Auch der CDU-Politiker Philipp Amthor betont: Die AfD sei antisemitisch, frauenverachtend, rechtsextrem; der Einsatz von Politikern wie Wanderwitz sei wertzuschätzen. Im Ziel bestehe Einigkeit, im Weg allerdings Unterschiede. Ein Verbotsverfahren sei aufwendig, langwierig, komme jetzt zum falschen Zeitpunkt. Stattdessen wolle die CDU "nicht Öl ins Feuer gießen", sondern die AfD "politisch bekämpfen". "Sie wollen Blut sehen!" Die Redner der AfD schlagen scharfe Töne an. Von "pathologischem Frust" und "undemokratischem Verbots- und Unterdrückungsfetischismus" der Konkurrenz spricht Stephan Brandner, Zweiter Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Die anderen, das seien "Hofschranzen der Mächtigen", behauptet er, die nur ein Ziel hätten: "Sie wollen uns vernichten. Sie wollen Blut sehen!" AfD-Politiker Peter Boehringer bleibt in weiten Teilen sachlicher. Er verweist – wie auch Kritiker und Zweifler anderer Parteien – darauf, dass die AfD vom Verfassungsschutz bisher nicht als "gesichert rechtsextrem", sondern noch immer als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" geführt werde – und sich gegen diese Einstufung nach wie vor juristisch wehre. Das reiche nicht, so Boehringer, für ein Parteiverbot brauche es viel mehr. Tatsächlich wollte der Verfassungsschutz ursprünglich bis Ende 2024 ein neues Gutachten zur AfD vorlegen. Experten erwarteten die Höherstufung der Partei auf die höchste Stufe für Verfassungsfeinde – "gesichert rechtsextrem". Doch die Ampelkoalition zerbrach, die Wahlen wurden vorgezogen, der Verfassungsschutz wollte sich nicht der Wahlbeeinflussung verdächtig machen. Nun soll das Gutachten erst nach den Wahlen im Februar erscheinen. Das "freundliche Gesicht des NS" jubelt Über die neue Stärke der AfD im Parlament, die Politiker wie Künast so kritisieren, jubelt am Ende der Diskussion der AfD-Politiker Matthias Helferich. Er nannte sich einst in internen Chats "das freundliche Gesicht des NS" (Nationalsozialismus). Zurzeit gehört er deswegen nicht einmal der AfD-Fraktion an, wohl aber der Partei. Auch sonst ist er einer der Radikalsten in der AfD, steht offen zu Rechtsextremisten außerhalb der Partei und propagiert eine "Remigration" im Stil von Martin Sellner, bei der "millionenfach" abgeschoben werden soll. Abgeordnete wie Wanderwitz würden bald schon der "politischen Bedeutungslosigkeit" angehören und nicht mehr im Bundestag sitzen, sagt Helferich. "Ich allerdings schon!" Und freut sich: "Gestern wurden volksfreundliche Mehrheiten in diesem Hause sichtbar!" Wenn die CDU erst ihre "weltanschauliche Katharsis" erfolgreich abgeschlossen habe, "dann ist der Weg für die Rettung unserer Heimat frei". Welches Volk und welche Rettung Helferich genau vorschweben, will man in diesem Moment lieber gar nicht wissen.