Wie geht es im Wahlkampf nach dieser turbulenten Woche weiter? Der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg ordnet die aktuelle Situation ein. Hinter Deutschland liegt bundespolitisch eine turbulente Woche. Am Mittwoch war ein Antrag der Union mit fünf Punkten für eine verschärfte Migrationspolitik im Bundestag angenommen worden – unter Unterstützung der AfD . Der Parteichef der CDU und Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz , steht seitdem unter Druck. Daran änderte sich auch nichts, nachdem ein weiterer Antrag am Mittwoch und ein Gesetzentwurf am Freitag trotz Unterstützung der AfD keine Mehrheit fand. Doch was bedeutet dieser Kurswechsel der Union für den weiteren Bundestagswahlkampf? t-online hat darüber mit dem Politikwissenschaftler Volker Kronenberg gesprochen. t-online: Herr Kronenberg, gibt es eine Partei, die aus dieser turbulenten Woche überhaupt als Gewinner hervorgeht? Volker Kronenberg: Ich glaube, die AfD wird punkten. Denn die anderen Parteien waren in der Migrationspolitik nicht in der Lage, Änderungen vorzunehmen. Dabei ist dieses Thema gerade vielen Bürgern sehr wichtig. Was bedeutet das konkret? Die AfD sagt: Merz ist mit seinen Vorhaben gescheitert. Gleichzeitig wirft sie den Ampelparteien vor, dass sie in der Migration ohnehin in den vergangenen Jahren versagt hätten. Damit hat die Partei die Möglichkeit, unzufriedene, verängstigte oder wütende Menschen in dieser heißen Wahlphase an sich zu binden. Das Zustrombegrenzungsgesetz der Union wurde trotz Zustimmung der AfD am Freitag knapp abgelehnt, auch weil in der Union mehrere namhafte Abgeordnete ihre Stimme nicht abgaben. Hat Friedrich Merz möglicherweise seiner eigenen Partei zu viel mit diesem doch sehr riskanten Kurs zugemutet? Das war auf jeden Fall eine harte Probe. Das zeigt sich ja auch daran, dass Angela Merkel gegen Merz interveniert und seinen Kurs als Fehler bezeichnet hat. Merz hat das Gesetz nicht durchgebracht. Das ist kein Zeichen von Führungsstärke. Wichtig ist aber auch: Zwölf nicht abgegebene Stimmen bei 196 Abgeordneten sind in einer Fraktion noch keine Revolte. Hilfreich ist das in der heißen Wahlkampfphase aber auch nicht. Merz hat einen klaren strategischen Fehler begangen. Er hätte sich all das im Vorfeld besser überlegen müssen. Die Union stand bis zu diesem Zeitpunkt sehr geschlossen hinter ihm. Er hätte einfach in Aussicht stellen können, bei einem Wahlsieg seinen Fünf-Punkte-Plan einzubringen und die Grenzen zu schließen. Aber er hätte im zweiten Schritt nicht direkt darüber im Bundestag abstimmen müssen. Merz hat damit ohne Not eine Flanke geöffnet. Er ist damit deutlich zu weit gegangen. Merz hat jetzt mit zwei Problemen zu kämpfen: Er hat politisch nicht geliefert und gleichzeitig gilt er im Umgang mit der AfD als wankelmütig. Wie kann er das lösen? Ich glaube, dass die Wahrnehmung und Stimmung im politischen Berlin und in den Medien eine andere ist als etwa bei Wahlkampfveranstaltungen der Union. Merz hat deutlich gemacht, dass er eine grundlegende Änderung in der deutschen Migrationspolitik will. Selbst wenn ihm das jetzt nicht gelungen ist, möchte er als Bundeskanzler das Ziel weiterverfolgen. Damit spricht er etwas an, was viele Menschen bewegt. Eine Wahlniederlage muss die Union weiter nicht fürchten. Die einen sagen, dass Merz versucht, das Thema Migration der AfD zu entreißen. Andere sagen, er stärkt die AfD, weil er sich thematisch an ihr orientiert. Was stimmt? Ich glaube, das beides zutrifft. Die AfD punktet, weil die Migration als Thema im Wahlkampf in der Wahrnehmung gerade unangefochten auf Platz eins liegt. Trotzdem hat Merz sehr deutlich gemacht, dass es unter seiner Kanzlerschaft dort zu grundlegenden Änderungen kommen soll. Es gibt in dieser Frage aktuell kein Schwarz und Weiß. Nach dieser Woche dominieren die Grautöne. Merz sagte bereits am Mittwoch, er bedauere, dass sein Antrag mit der AfD eine Mehrheit erhielt. Glauben Sie, dass dieses Manöver eine einmalige Episode bleiben wird oder dass sich der Kurs der Union zur AfD damit nachhaltig verändert hat? Friedrich Merz hat die Brandmauer nicht eingerissen. Aber er hat sie modifiziert. Er will mit der AfD keine Koalition und keine abgestimmte Arbeit im Bundestag. Wenn die AfD jedoch den Vorhaben der Union zustimmen will, scheint er damit kein Problem zu haben. Aber er weiß spätestens nach der Intervention von Angela Merkel, dass es in der Union immer noch eine Strömung gibt, die eine weitere Öffnung zur AfD niemals mitmachen würde. Das würde die CDU zerreißen. Ich erwarte deshalb, dass Friedrich Merz künftig bei Abstimmungen, bei denen es womöglich auf die AfD ankommen könnte, vorsichtiger sein wird. Eine Koalition zwischen AfD und Union bleibt also weiter unrealistisch? Die CDU ist die Partei eines vereinten Europas, auch wenn Merz' Vorschläge auch Kritik aus anderen EU-Ländern hervorgerufen haben. Aber mit einer AfD zu koalieren, die aus der EU austreten oder den Euro abschaffen will, wäre ja grotesk. Grüne und SPD warnen zwar jetzt vor einer solchen Regierung. Aber Schwarz-Blau ist nichts weiter als eine Schimäre. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Rolf Mützenich, sprach davon, Merz habe mit seinem Migrationskurs das "Tor zur Hölle" geöffnet. SPD und Grüne haben ein allzu dramatisches Bild von einer deutschen Demokratie gezeichnet, die ins Wanken gerät. Auch wenn sie es eigentlich besser wissen, versuchen sie damit, ihre eigene Zerrissenheit zu überdecken. Denn beide Parteien scheinen aktuell nicht in der Lage, in der Migration tiefergehende Änderungen vorzunehmen. Trotzdem ist Merz jetzt für das linke Lager noch stärker zu einem Feindbild geworden. Kann das sich in den Umfragen für SPD, Grüne, vielleicht auch die Linke auszahlen? Ich könnte mir vorstellen, dass die Diskussion tatsächlich Wind unter die lahmen Flügel von SPD und Grünen bringt. Die Beschwörung des Antifaschismus kann natürlich immer mobilisieren. Insofern ist auch das linke Lager ein Gewinner dieser Woche. Aber es wird keine grundlegende Trendumkehr bringen. Warum nicht? Die Wahl wird nicht allein mit dem Thema Migration entschieden. Sehr bald schon werden auch wieder andere Themen in das Zentrum des Wahlkampfes rücken. Wenn es dann beispielsweise um Wirtschaftsfragen geht, geraten SPD und Grüne schnell in Bedrängnis. Die SPD und Olaf Scholz wünschen sich vielleicht, dass die jüngsten Entscheidungen von Merz alles verändern. Aber Scholz wird dadurch nicht urplötzlich zur viel überzeugenderen Alternative. Das gilt auch für Robert Habeck . Die Fronten zwischen Union, SPD und Grünen wirken jedenfalls seit dieser Woche maximal verhärtet. Dabei werden vermutlich mindestens zwei der Parteien in der nächsten Bundesregierung vertreten sein. Was wird das für mögliche Koalitionsverhandlungen bedeuten? Es gab jetzt Debatten und Abstimmungen bei einem sehr sensiblen Thema in der heißen Wahlkampfphase. Insofern ist es klar, dass es da sehr emotional wird. Aber wir haben vor allem am Freitag gesehen, dass die Parteien der Mitte weiter miteinander reden. Es gab vor der Debatte und der Abstimmung eine lange Unterbrechung, in der CDU, FDP , Grüne und FDP erfolglos über eine Vertagung verhandelt haben. Trotzdem zeigt das aus meiner Sicht: Die Mitte ist nicht nur sprechfähig, sie ist auch weiter zu Koalitionen fähig. Da besteht für mich kein Zweifel. All diese Parteien haben sehr klar vor Augen, was etwa zuletzt in Österreich passiert ist, wo es keine Koalition aus der Mitte gab und die Konservativen jetzt mit den Rechtspopulisten verhandeln.