Hinter der CDU liegen turbulente Tage. Denn zum ersten Mal hat die Union im Bundestag eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen. Was das für den Wahlkampf bedeutet, erklärt Jens Spahn im Interview mit t-online. Jens Spahn sitzt im Auto. Eine halbe Stunde bleibt ihm für das Telefonat mit t-online, dann muss er weiter. Der CDU-Politiker ist auf dem Weg zu einem Termin in Erlangen . Gerade überschlagen sich die Termine nur so. Denn es sind entscheidende Wochen im Wahlkampf – erst recht nach den Ereignissen der vergangenen Tage. Eigentlich hatte man sich in der Parteispitze darauf geeinigt, den Fokus im Wahlkampf auf das Thema Wirtschaft zu legen. Doch der Messerangriff eines Afghanen in Aschaffenburg vor etwas mehr als einer Woche hat alles verändert. Die Union hat deshalb zwei Anträge und einen Gesetzentwurf zur Begrenzung illegaler Migration in den Bundestag eingebracht. In einem Fall hat sie dafür sogar eine Mehrheit mit Stimmen der AfD in Kauf genommen. Seither rumort es in der Partei. Viele blicken besorgt auf den Wahlkampf und fürchten mögliche Konsequenzen. Und Jens Spahn? t-online: Herr Spahn, war das eine gute Woche für die CDU ? Jens Spahn: Es war jedenfalls der Höhepunkt einer dreijährigen Arbeitsverweigerung von SPD und Grünen. Es war eine aufschlussreiche Woche, weil deutlich geworden ist, wer wirklich was tun will, um irreguläre Migration zu beenden – und wer sich verweigert. Gleichzeitig ist auch sichtbar geworden, wessen Geistes Kind die Rechtsextremen im Parlament sind, unflätiges Benehmen inklusive. Insofern war das eine gute Woche für die Demokratie. Im Plenum haben sich vor allem die Parteien der Mitte untereinander angegriffen. Die Außenministerin und ihr Parlamentarischer Geschäftsführer haben sich gegenseitig der Lüge bezichtigt. Schadet das der demokratischen Debatte nicht eher? Demokratie heißt auch, dass Unterschiede sichtbar werden. Es muss in der Sache gestritten werden. Dabei ist normal, dass der Ton auch mal rauer wird. In der Politik gehört das genauso dazu, wie auf der Familienfeier. Man sollte dabei natürlich respektvoll miteinander umgehen. Laut einer Forsa-Umfrage glauben 66 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass die Parteien in Deutschland nicht ausreichend kompromissfähig sind. Müssen Sie hier besser werden? Umfragen bilden immer nur einen Teil der Wahrheit ab. Es gibt beispielsweise auch Umfragen, die zeigen, dass zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger die irreguläre Migration beenden wollen. Die Frage ist also, was bildet man ab. Die Leute wollen einerseits Klarheit und dass die Probleme gelöst werden, und andererseits hätten sie das am liebsten im Konsens. Das ist ein schwer zu erfüllender Anspruch. Ich denke, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist Handlungsfähigkeit in der Sache wichtiger als Kompromissfähigkeit als Selbstzweck. Denn ein Kompromiss macht keinen Sinn, wenn er das Problem nicht löst, sondern vertagt. Vor dem Hintergrund der Kompromissfähigkeit: Haben die vergangenen Tage die bevorstehenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen schwerer gemacht? Die Gespräche nach der Wahl wären ohnehin schwer geworden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir als Union richtig stark werden. Jeder kann wählen, was er will. Ob SPD, Grüne, FDP , AfD oder uns. Ich respektiere das. Aber ich sage den Menschen im Wahlkampf auch: Wenn sie echte Veränderung wollen, müssen sie uns wählen. Wir brauchen als Union ein Ergebnis in Richtung 40 Prozent, um auch wirklich diesen Unterschied machen zu können. Ein Ergebnis dieser Woche ist, dass die Union am Mittwoch zum ersten Mal für einen ihrer Anträge eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen hat. Nun folgt daraus politisch aber erst einmal gar nichts. War es das Manöver wirklich wert? Ist es das wert, die eigenen Vorschläge in den Bundestag einzubringen? Ja, dafür sind wir da. Und das waren wir den Menschen nach dem furchtbaren Attentat in Aschaffenburg auch schuldig. Wir haben gezeigt: Im Bundestag gibt es eine Fraktion der demokratischen Mitte, die sich um diese Probleme kümmert und handelt. Die AfD mag aktuell feixen und jubeln. Aber sie übersieht, dass sie in einer entschlossenen Union ihren wahren Gegner gefunden hat. Ist Ihnen die Abstimmung leichtgefallen? Das ist niemandem leichtgefallen, weil wir uns alle eine Mehrheit in der Mitte gewünscht hätten. Aber dafür standen SPD und Grüne nicht zur Verfügung. Wichtig ist für mich, nochmals zu betonen, dass Union und AfD keine Mehrheit im Bundestag haben. Das haben wir gestern gesehen. Die Frage ist doch: Machen wir Abstimmungen im Bundestag über Inhalte, die die Mehrheit der Menschen im Land für richtig hält, abhängig davon, dass SPD und Grüne gnädig ihr Okay geben? Ich hielte das für falsch. Heißt in der Konsequenz, wenn es nicht anders geht, müssen Mehrheiten mit der AfD akzeptiert werden? Wir suchen keine Mehrheiten bei der AfD. Im Gegenteil, die Union hat sich immer bemüht, in der Mitte um Lösungen zu ringen. Das ist eine theoretische Debatte. Gleichzeitig haben Sie am Mittwoch einen Präzedenzfall geschaffen. Wie erklären Sie denn Ihren Parteikollegen in Thüringen, wo die CDU eine Minderheitsregierung anführt und für Mehrheiten dauerhaft auf Stimmen jenseits der eigenen Koalition angewiesen ist, dass sie die künftig nicht von der AfD in Kauf nehmen dürfen? Das muss ich niemandem erklären. Es gibt keine Zusammenarbeit, kein Zusammenwirken und keine Absprachen mit der AfD. Weder im Bund noch in den Ländern. Das hat auch Mario Voigt in Thüringen klargemacht. Wir bringen in die Parlamente ein, was wir in der Sache für richtig halten. Und wir werben bei den Parteien der demokratischen Mitte um Mehrheiten dafür. Und wenn es die nicht gibt? Immerhin hat auch die CDU in Thüringen vergangenes Jahr etwa für ein Gesetz zur Grunderwerbsteuer eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen. Das, was wir in der Sache für richtig halten, bringen wir im Parlament ein. Das gilt in den Ländern, wie im Bund. Und überall dort, wo die CDU die Regierung anführt, werden Mehrheiten jenseits der AfD gesucht und gefunden. Sehen Sie es mal von der anderen Seite: Wir sind das einzige Bollwerk gegen die AfD. Denn wenn wir die Probleme selbst adressieren, spielt die AfD doch überhaupt keine Rolle mehr. Am Freitag haben im Plenum jedenfalls die Parteien der Mitte gestritten, während die AfD bedeutungslos daneben saß. Friedrich Merz hat am Tag nach dem Angriff in Aschaffenburg erklärt, er werde am ersten Tag seiner Kanzlerschaft, sollte er gewählt werden, Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz machen, um eine Reihe von Maßnahmen gegen irreguläre Migration durchzusetzen. Warum war dieses Versprechen nicht genug? Weil ein Versprechen nur der Startpunkt der Problemlösung ist. Man muss auch zeigen, dass daraus etwas folgt. Wir haben das, was am Freitag zur Abstimmung stand, bereits nach dem schrecklichen Attentat in Solingen in den Bundestag eingebracht. Jeder Abgeordnete konnte es auf die Tagesordnung setzen. Die AfD hatte das bereits angekündigt. Da ist es nur logisch, dass wir unseren eigenen Gesetzentwurf selbst aufsetzen. Die Abstimmung am Freitag ist gescheitert. Auch, weil 12 Abgeordnete der Unionsfraktion nicht mitgestimmt haben. Dabei hat Friedrich Merz in dieser Woche mehrfach um Geschlossenheit gebeten. Hat die Autorität des Kanzlerkandidaten gelitten? Ich sehe das von der anderen Seite: Die ganz große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion hat in dieser ja nicht leichten Woche zusammen gestanden. Fast 95 Prozent der Fraktion sind unserem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gefolgt, niemand aus der Fraktion hat dagegen gestimmt, trotz der kontroversen Debatten und trotz viel Gegenwind von links. Angela Merkel hat in dieser Woche den Kanzlerkandidaten der Union kritisiert. Michel Friedmann ist aus der CDU ausgetreten, und der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg hat sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben. Welche Auswirkungen haben diese Vorgänge auf die Partei und ihren Kandidaten? Ich respektiere die Einschätzung von Angela Merkel , sehe es jedoch in der Sache und in der Bewertung fundamental anders. Wir müssen Antworten liefern für eine Bevölkerung, die massiv Vertrauen verloren hat. Auch, weil es in den letzten zehn Jahren zu viel irreguläre Migration nach Deutschland gegeben hat. Wir schaffen es nicht mehr. Das erfordert Handeln. Jetzt haben Sie nicht wirklich geantwortet. Die Frage war: Wirkt sich das auf die Partei und ihren Kandidaten im Wahlkampf aus? Nein. Die Union hat in dieser Woche viel Glaubwürdigkeit in dem Ansinnen zurückerlangt, die irreguläre Migration wirklich beenden zu wollen. Das halte ich für das Entscheidende. Blicken wir noch einmal auf die bevorstehenden drei Wochen Wahlkampf: Bleibt Migration das beherrschende Thema? Es bleibt ein Thema. Das andere beherrschende Thema, was wir auch wieder stärker in den Fokus nehmen werden, ist die Wirtschaftskrise . Die deutsche Wirtschaft schrumpft im dritten Jahr. Wir haben fast drei Millionen Arbeitslose, die höchste Zahl seit 15 Jahren. Ich bin an diesem Wochenende in Erlangen im Wahlkampf unterwegs. Allein in der Region haben Schaeffler und Adidas jüngst angekündigt, 1.200 Menschen wegen der wirtschaftlichen Lage entlassen zu müssen. Deshalb nehmen wir das Thema Wirtschaft genauso in den Fokus wie die Migration. Was will die CDU in dem Bereich unmittelbar nach der Wahl machen? Wir werden die Kosten für Strom um fünf Cent die Kilowattstunde unverzüglich senken. Dann schaffen wir das sogenannte Bürgergeld ab, damit Leistung sich wieder lohnt. Außerdem bauen wir sofort Bürokratie ab und flexibilisieren die Arbeitszeit. Das können wir alles in den ersten drei Monaten nach der Regierungsübernahme machen. Nur so entsteht wieder Vertrauen. Darüber hinaus muss für die kommende Legislaturperiode gelten: Wachstum First. Das ist die Voraussetzung für alles andere – ob gute Löhne, Renten oder Klimaschutz. Ich würde sogar die Prognose wagen, dass wir mit unseren Plänen im ersten Jahr gleich ein Prozent Wachstum herbeiführen können. Mit Blick auf die Entwicklungen in den USA : Muss Deutschland an dem Pariser Klimaabkommen festhalten und gilt das 1,5-Grad-Ziel? Inzwischen sagen ja viele der Klimaexperten, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Es geht aber weiter darum, diesem Ziel möglichst nahezukommen. Deutschland kann das Problem nicht alleine lösen. Wenn die USA einen anderen Weg gehen und China ihn nur halbherzig geht, dann wird es für die Welt insgesamt sehr, sehr schwer. Wir wollen ein gutes Beispiel sein. Aber der Weg, den wir gerade gehen, also Rezession und Abbau der Industrie, die sich ins Ausland verlagert, dem wird sicher niemand auf der Welt folgen. Wo sehen Sie inhaltlich die größte Herausforderung bei einer bevorstehenden Regierungsbildung mit Blick auf die Unterschiede zwischen den Parteien? Es gibt mit jeder Partei herausfordernde Themen. Bei den Grünen ist es die Migration, bei der SPD ist es das ganze Thema Sozialleistungen und Arbeit und bei der FDP ist es die innere Sicherheit. Das einfachste wäre also eine absolute Mehrheit für die Union. Nach der sieht es aber nicht aus. Wäre eine Deutschlandkoalition leichter als eine schwarz-grüne? Unser Ziel ist es, so stark wie möglich zu werden. Aber Dreierkonstellationen wünscht sich wohl keiner mehr. Letzte Frage, was schätzen Sie nach dieser Woche an SPD und Grünen? Ich schätze einzelne Kolleginnen und Kollegen dort sehr. Viele kenne ich lange und weiß, wie schwer uns allen die vergangenen Tage gefallen sind. Wenn Sie mich fragen, was ich an SPD und Grünen als Parteien schätze, bin ich aktuell leider etwas ratlos. Herr Spahn, vielen Dank für das Gespräch.