Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser, gestern veröffentlichten t-online und "Tagesspiegel" eine gemeinsame Recherche über den Versuch der SPD-Führung , Bundeskanzler Olaf Scholz die Kanzlerkandidatur auszureden. Demnach hatte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil Scholz wiederholt nahegelegt, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten ( hier lesen Sie mehr ). Klingbeil war deshalb mindestens zweimal bei Scholz vorstellig. Er trug damit den Bedenken der engeren SPD-Spitze Rechnung, die intern für eine Kandidatur von Verteidigungsminister Boris Pistorius plädierten, der seit zwei Jahren der beliebteste Politiker Deutschlands ist. In der Parteizentrale der Sozialdemokraten löste der Bericht Unruhe aus. Verständlich, so nagt die Geschichte vom hadernden SPD-Chef an der Erzählung , die Partei stehe geschlossen hinter Olaf Scholz. Zwar dementierte eine Sprecherin der SPD einige Punkte der Recherche – allerdings, ohne auf unsere Fragen detaillierter einzugehen oder den Kontext zu erklären ( hier können Sie die Antworten im Detail nachlesen ). Auch Klingbeil blieb persönliche Antworten schuldig , er ließ lediglich ausrichten: "Olaf Scholz ist der Richtige. Gerade in diesen Zeiten braucht es jemanden mit Erfahrung im Kanzleramt." Bei "Bild" wurde er am Abend deutlicher: Berichte über einen Konflikt zwischen ihm und Scholz seien "wirklich totaler Quatsch". Auch der Kanzler dementierte beim "RND" die Recherche: Ein Gespräch, in dem Klingbeil ihn zum Verzicht aufgefordert habe, "hat es nie gegeben". Also viel Lärm um nichts? Nein. t-online und "Tagesspiegel" bleiben bei ihrer Darstellung der Ereignisse. Die gemeinsame Recherche basiert auf übereinstimmenden Äußerungen mehrerer Quellen in der SPD und im Umfeld der Partei. Die Recherche wirft ein neues Licht auf die entscheidenden Tage in der K-Debatte der SPD, die sich zwischen dem 6. November, als die Ampel zerfiel, und dem 21. November 2024 abspielten. Das Ergebnis ist bekannt, Pistorius verzichtete, Scholz setzte sich durch. Doch die genauen Vorgänge, die zu der folgenreichen Entscheidung führten, wurden nie richtig aufgearbeitet . Auch viele Genossen fragen sich bis heute, wie genau der Machtkampf ablief, wer von den zentralen Akteuren – Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich , SPD-Generalsekretär Matthias Miersch , Co-Parteichefin Saskia Esken – welche Interessen verfolgte und warum man trotz des hohen Zuspruchs für Pistorius dem unbeliebten Scholz die Kandidatur überließ. Die offizielle Erklärung war nie sonderlich überzeugend. Man habe "einmal kurz innegehalten" (Scholz), "in die Partei hineingehorcht" (Klingbeil), hieß es später nebulös, bevor man wusste, was angeblich vorher schon klar war: Scholz ist der Richtige! Mit dem kleinen Schönheitsfehler , dass SPD-Politiker im Bund, in Ländern und Gemeinden eine Woche lang laut von einem Kanzlerkandidaten Pistorius träumen durften und damit den eigenen Kanzler beschädigten. Klingbeil zeigte sich später reuig, die Debatte nicht früher abgeräumt zu haben . Aber es war nie klar, warum er es nicht tat. Damals erklärte der SPD-Chef, er habe einen "Zeitplan im Kopf" und wolle wegen einer aufgeregten Debatte "keine Gremien verlegen". Das wirkte dem Ernst der Lage kaum angemessen. Schon alleine deswegen nicht, weil sich damals fast täglich weitere Parteifreunde öffentlich gegen Scholz stellten und Klingbeil unmöglich wissen konnte, welche Dynamik das Ganze noch hätte entfalten können. Die Recherche von t-online und "Tagesspiegel" liefert nun eine plausible Erklärung für die Hängepartie : Die SPD-Führung hatte die Zeit offenbar nutzen wollen, um Scholz davon zu überzeugen, auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. Dass ein solch schwieriges Unterfangen nicht über Nacht gelingen würde bei einem Kanzler, der sich selbst für den Größten hält, wird Klingbeil & Co. bewusst gewesen sein. Man nahm sich offenbar Zeit – wenn auch am Ende vergeblich. Wie stark der Wunsch nach einem Kandidatenwechsel auch bei führenden Genossen ausgeprägt war , zeigte eine Sitzung des geschäftsführenden SPD-Fraktionsvorstandes am 15. November. Mehrere Teilnehmer, darunter die Fraktionsvizes Achim Post und Dirk Wiese , sollen laut Informationen von t-online darauf gedrungen haben, dass jemand den Kanzler dazu bewegen müsse, den Weg für Pistorius freizumachen. "Jemand muss mit Olaf reden", sagte ein Teilnehmer des Gesprächs. Olaf wollte nicht weichen . Dagegen konnte die SPD-Führung wenig ausrichten. Ein offener Sturz des Kanzlers hätte die SPD vermutlich zerrissen, so blieb Klingbeil nur der Versuch im Stillen. Dass umgekehrt auch ein Kanzlerkandidat Pistorius keine Wunder vollbracht hätte, sondern mit eigenen Risiken verbunden gewesen wäre, dürfte der Parteiführung ebenso bewusst gewesen sein. Ein Dilemma , in das man sich allerdings selbst gebracht hat: Denn die Zweifel an Scholz traten nicht erst nach dem Ampelbruch zutage – bis dahin wurden sie von der Parteispitze jedoch weitgehend ignoriert. Gelten für einen Parteichef mildernde Umstände, wenn er es wenigstens versucht hat? Vielleicht. Denn klar ist auch: Ein Olaf Scholz lässt sich nicht so einfach wegkegeln . Auch wenn der Kanzler gerade viel in Kameras grinst, sich in "hippen" Jugendformaten Quatschfragen stellt und dabei durchaus sympathisch, fast nahbar wirkt: Scholz ist ein beinharter, kluger Machtpolitiker. Das Beharren auf die Kanzlerkandidatur – trotz schlechter Umfragewerte und fehlender Rückendeckung durch die Parteiführung – ist nur ein weiterer Beleg dafür. Ein politischer Überlebenskünstler mit beeindruckendem Durchhaltevermögen. Nur noch 17 Tage sind es bis zur Bundestagswahl . Die quälenden Fragen, wer warum Scholz ins Rennen geschickt und Pistorius verhindert hat, werden recht wahrscheinlich nach dem 23. Februar neu gestellt werden. Wie hart und schonungslos die Sozialdemokraten nach Antworten suchen werden, wird vor allem von der Zahl vor dem Komma abhängen: Gehen die Genossen mit einem Ergebnis unter 20 Prozent aus der Wahl, könnte es auch für die Parteispitze brenzlig werden. In Umfragen wirkt die Kanzlerpartei wie einbetoniert, die Werte schwanken seit Monaten zwischen 15 und 18 Prozent. Nicht mal das Migrationsmanöver von Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD scheint auf das Konto der Sozialdemokraten einzuzahlen. Es ist wie verhext und gleichsam doch irgendwie erwartbar. Die Hoffnung auf eine Wiederholung der spektakulären Aufholjagd 2021 dürfte bei vielen Genossen langsam zerbröseln . Der Vergleich hatte immer einen Hinkefuß , aber jetzt hat er seine Halbwertszeit endgültig überschritten: Damals hatte die SPD drei Wochen vor der Wahl bereits die Führung in den Umfragen übernommen, mit drei Prozentpunkten vor der Union. Heute liegt die SPD stabil zwischen 10 und 15 Prozentpunkten hinter CDU/CSU . Eine Wahlwende auf den allerletzten Metern scheint fast ausgeschlossen. Und dann? Was steht an? Weitere TV-Debatte zur Bundestagswahl : In der ZDF-Sendung "Schlagabtausch" diskutieren Spitzenpolitiker mehrerer Parteien über zahlreiche Themen. Mit dabei: Grünen-Chef Felix Banaszak, FDP-Chef Christian Lindner, AfD-Chefin Alice Weidel, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, Linken-Chef Jan van Aken und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht. Die Sendung ist live und beginnt um 22.15 Uhr. Müllabfuhr, Kitas, Sparkassen, der öffentliche Nahverkehr : Auf die Warnstreiks an Kanälen und Schleusen folgen laut der Gewerkschaft Verdi NRW Streikmaßnahmen in den Kommunen und den Dienststellen des Bundes. Auch in Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg sind Arbeitsniederlegungen geplant. Die Beschäftigten fordern höhere Löhne und bessere Arbeitszeiten. Entwicklung im Fall Lina E.: Das Oberlandesgericht Dresden hatte die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. im Mai 2023 wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Gegen das Urteil legten sowohl die Bundesanwaltschaft als auch die Angeklagte Revision ein – über die nun in Karlsruhe am Bundesgerichtshof verhandelt wird. Ob am Donnerstag schon ein Urteil fällt, ist unklar. Lesetipps Mit seinem Asylmanöver hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz bewiesen, dass er aus "besonderem Holz" geschnitzt ist : "Kanzlerholz" nennt es unser Kolumnist Christoph Schwennicke. Warum Merz diese Eigenschaft mit Altkanzler Gerhard Schröder teilt, lesen Sie hier . Könnten die Grünen noch mit der Union regieren? Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erklärt im Interview mit t-online-Reporter Johannes Bebermeier, warum sie Friedrich Merz nicht mehr glaubt – und eine Koalition trotzdem nicht ausschließt . RTL lädt nun alle vier "Kanzlerkandidaten" zum Duell. Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden. Was man dort aller Voraussicht nach nicht finden wird: Antworten auf die drängenden Fragen, schreibt t-online-Kolumnistin Nicole Diekmann . Ich wünsche Ihnen einen entspannten Donnerstag. Morgen schreibt mein Kollege Florian Harms für Sie. Ihr Daniel Mützel Politischer Reporter im Hauptstadtbüro Twitter: @DanielMuetzel Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de . Mit Material von dpa. Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren . 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