Zehntausende Deutsche im Ausland könnten von der Bundestagswahl ausgeschlossen werden. Jetzt kritisieren mehrere Politikerinnen die Situation – und fordern Konsequenzen. Angesichts der kurzen Frist für das Verschicken der Briefwahlunterlagen an Deutsche im Ausland und den Rückversand könnten Zehntausende von der Wahl ausgeschlossen werden. Das zeigen Recherchen von t-online . Die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses im 20. Bundestag, Daniela Ludwig (CSU), räumt nun Probleme ein. "Die besonderen Schwierigkeiten bei der Wahlteilnahme von Auslandsdeutschen an der diesjährigen Bundestagswahl sehe ich natürlich", sagte die Politikerin t-online. Diese seien darin begründet, dass Auslandsdeutsche im Regelfall nur per Briefwahl an der Wahl teilnehmen können. "Aus diesem Grund spitzt sich bei der Gruppe der Auslandsdeutschen die Problematik zu, dass in diesem Jahr wegen der vorgezogenen Neuwahl der Zeitraum für die Briefwahl so kurz ist", so Ludwig weiter. Experte warnt: "Zehntausende werden vom Wahlrecht ausgeschlossen" Es müsse zwar möglich sein, eine vorgezogene Neuwahl innerhalb der vom Grundgesetz festgelegten Frist abzuhalten, sagte Ludwig weiter. Doch: "Wir sehen jetzt leider, dass trotz der Bemühungen der Wahlbehörden, der Gemeinden vor Ort und auch des Auswärtigen Amtes wohl davon auszugehen ist, dass viele Wahlberechtigte im Ausland faktisch an einer Wahlteilnahme gehindert sein werden, weil die Postlaufzeiten ins Ausland zu lang sind." Wie viele Deutsche sind betroffen? Ludwig: "Zu befürchten ist dies wohl insbesondere für Wahlberechtigte im außereuropäischen Ausland." Diese machten nach den Erfahrungen vergangener Wahlen jedoch den kleineren Teil derjenigen aus, die als Auslandsdeutsche an der Wahl teilnehmen möchten, so Ludwig. "Wie viele Auslandsdeutsche tatsächlich betroffen sind, weil ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig angekommen sind, wird sich jedoch erst nach der Wahl im Rahmen der Wahlprüfung zeigen." Bei der Wahl 2021 hatten sich 130.000 im Ausland lebende Deutsche ins deutsche Wählerverzeichnis eingetragen. Davon lebten 110.000 in Europa. Experte: Verfassungsgericht wird über die Rechtmäßigkeit der Wahl entscheiden müssen Besonders Deutsche, die in Übersee leben, können de facto nicht wählen gehen, wie rund ein Dutzend Betroffene t-online bestätigten. Zwar bieten einige Auslandsvertretungen einen Kurierservice an. Die Konsulate warnen jedoch vielfach, dass dieser womöglich nicht schneller ist als der herkömmliche Postweg. Die deutsche Auslandsvertretung in Südafrika verlangt gar eine unterschriebene Haftungsausschlusserklärung. Staatsrechtler Ulrich Battis sagte t-online dazu: "Ich sehe die derzeitige Situation der Auslandsdeutschen durchaus als Problem. Schließlich kann das ein Verstoß gegen den höchsten Grundsatz des Wählens darstellen: die Allgemeinheit der Wahl." Und weiter: "Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Wahl entscheiden muss." Auch Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag, versteht die Problematik. "Die Bundeswahlleiterin hat in der Diskussion um den Neuwahltermin schon frühzeitig auf mögliche Probleme wie das rechtzeitige Zustellen der Briefwahlunterlagen hingewiesen", sagte sie – und erhebt einen schweren Vorwurf: "Dass sich dennoch ohne sachliche Not auf den früheren Termin versteift wurde, statt ein realistisches Datum im März zu bestimmen, war schon Teil des Wahlkampfs." Bundeswahlleiterin Ruth Brand hatte im November in einem Brief an Scholz appelliert, beim Termin für eine Neuwahl nichts zu überstürzen. Bei einer Neuwahl im Januar oder Februar sehe sie "eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte." Sie warnte etwa vor Problemen bei der Beschaffung von Papier. Eine Überlastung der Wahlämter könnte zudem dazu führen, dass Briefwahlunterlagen besonders ins Ausland nicht rechtzeitig versendet werden, schrieb sie damals. Brand sagte t-online nun: "Selbstverständlich erreichen mein Team und mich seit Wochen zahlreiche Fragen zum Thema Wahlteilnahme aus dem Ausland", so Brand. "Es ist meine Aufgabe als Bundeswahlleiterin, auf mögliche Herausforderungen für eine ordnungsgemäße Wahl hinzuweisen." CSU-Politikerin will Änderungen im Wahlrecht Doch wie können die Probleme künftig vermieden werden? Immerhin lag die Wahlbeteiligung von Auslandsdeutschen bei der Bundestagswahl 2021 bei 3 Prozent, die Gesamtbeteiligung bei 76,6 Prozent. CSU-Politikerin Daniela Ludwig sagte: "Vorgezogene Neuwahlen stellen – jedenfalls bislang – die absolute Ausnahme dar. Bei regulär stattfindenden Bundestagswahlen wird man wohl nicht von einem De-facto-Ausschluss von Auslandsdeutschen sprechen können." Gleichwohl sei die Wahlteilnahme aus dem Ausland auch im Regelfall mit organisatorischen Hürden und den immer bestehenden Transportrisiken bei der Briefwahl verbunden, kritisiert sie. Sie fordert daher, dass in der kommenden Legislaturperiode nochmals über weitere Vereinfachungen nachgedacht werden sollten. "Eine Ermöglichung einer Wahldurchführung an Auslandsvertretungen wird sicherlich nochmals zu erwägen sein", sagte Ludwig. "Eine Vereinfachung der Möglichkeiten der Wahlteilnahme aus dem Ausland dürfte auch dazu führen, dass die Wahlbeteiligung unter Auslandsdeutschen weiter ansteigt." Linken-Politikerin: Grundsätzliche Reform Linken-Politikerin Clara Bünger fordert eine grundlegende Reform. "Das Wahlrecht für Auslandsdeutsche müsste grundsätzlich reformiert werden", sagte sie. "Dass die Auslandsvertretungen nicht alle Wahlscheine aller deutschen Wahlkreise in ausreichender Stückzahl zur Verfügung stellen können, ist verständlich. Aber eine Vollmachtsregelung, wie es sie zum Beispiel in Frankreich gibt, würde es Auslandsdeutschen ermöglichen, eine vertraute Person in Deutschland mit der Stimmabgabe zu beauftragen." Sie fordert zudem, bürokratische Hürden abzubauen und Informationen zur Wahl für Auslandsdeutsche leicht zugänglich zu machen. "Wenn man sich erst bei den Behörden durchtelefonieren oder mehrere E-Mails schreiben muss, vergeht einem die Lust an der Beteiligung. Viele Deutsche im Ausland verfolgen die Bundespolitik und würden sich gern beteiligen, wenn es weniger kompliziert wäre."