Jakob Springfeld engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Der junge Autor meint, der Osten sei dem Westen nur wenige Jahre voraus. Spätestens seit den Bundestagswahl ist klar: Der Rechtsextremismus in Deutschland nimmt besorgniserregende Ausmaße an. Die AfD konnte ihre Stimmenanteile verdoppeln und wird mit 152 Abgeordneten im neuen Parlament sitzen. Dabei ist die Rechtsaußenpartei längst auch in Westdeutschland zum Massenphänomen geworden, erreichte in manchen Wahlkreisen fast 25 Prozent. Jakob Springfeld beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Er ist erst 22 Jahre alt, engagiert sich aber schon lange gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit, nicht nur in seiner sächsischen Heimat. Mit seinem neuen Buch "Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert" tourt Springfeld zurzeit durchs Land, gibt Lesungen in Kleinstädten, Dörfern und Schulen. Im Interview erklärt Springfeld, warum sich der Rechtsextremismus so ungehemmt ausbreitet, was jeder Einzelne dagegen tun kann – und was die Westdeutschen dringend von den Ostdeutschen lernen müssen. t-online: Herr Springfeld, wie bewerten Sie die Ergebnisse der Bundestagswahl? Jakob Springfeld : Dass eine Zweierkoalition überhaupt noch möglich ist, stimmt mich einerseits optimistisch, dass die Regierung eine Legislatur lang durchhält. Andererseits macht mir der Rechtskurs von Friedrich Merz immer größere Sorgen. Dass es das BSW nicht ins Parlament geschafft hat, ist gut. Gleichzeitig hat es mich natürlich sehr betroffen gemacht, wie gut die AfD in Ost-, aber auch in Westdeutschland abschneiden konnte. Sie stammen aus Zwickau . Nehmen die Westdeutschen den Aufstieg der AfD zu gelassen? In Gelsenkirchen und Kaiserslautern hat die AfD die meisten Zweistimmen geholt. Schaut man auf die zweitplatzierte Partei, ist die AfD in Westdeutschland auch insgesamt stärker geworden. Das zeigt, dass es falsch ist, dieses Problem nur auf den Osten zu projizieren. Damit verharmlosen wir das Problem des Aufstiegs der Rechtsextremisten. Das müssen Sie erklären. Westdeutschland wird dem Osten mit ein paar Jahren Verzögerung folgen. Die AfD erreicht inzwischen auch im Westen hohe zweistellige Werte, aber die Empörung hält sich in Grenzen, weil man getrost auf die knapp 40 Prozent für die AfD in Sachsen zeigen kann. Und das Sprechen über den "rechten Rand" oder den "rechten Osten" verzerrt das Bild. Es ist eben kein "rechter Rand", es ist nicht nur Ostdeutschland, es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. In Ihrem Buch nennen Sie das "westdeutsche Ignoranz". Ein harter Vorwurf. Ja, diese Ignoranz begegnet mir oft. Trotzdem wäre es falsch, jetzt nur auf Westdeutschland zu zeigen. Aber wenn die Menschen im Westen eine Ahnung hätten, was in Sachsen und in meiner Heimat Zwickau teilweise los ist, dann würden sie verstehen, dass diese Bedrohung nicht nur für einzelne Bundesländer ein Problem ist. Was in Sachsen passiert, kann auch in Nordrhein-Westfalen passieren. Das sollten die Menschen in Westdeutschland ein Stück weit verstehen und das war auch der Grund für mich, dieses Buch zu schreiben. Müssen wir uns über den Westen mehr Sorgen machen als über Ostdeutschland? Es ist wichtig, weiter über Ostdeutschland zu sprechen, auch wenn ich mir wünschen würde, dass das irgendwann nicht mehr nötig ist. Aber oft heißt es dann, die Ostdeutschen sollten sich ein Vorbild an Westdeutschland nehmen. Aber in ganz vielen Fällen können Westdeutsche auch von Ostdeutschen lernen. Zum Beispiel? Ich denke an die Demokratiearbeit im ländlichen Raum, die in Ostdeutschland teils unter schwierigen Bedingungen stattfindet. Aufgrund der steigenden AfD-Zahlen wäre diese Arbeit im ländlichen Westdeutschland mindestens genauso angebracht. Es gibt da auch aktivistische Partnerschaften, aber das muss ausgebaut werden, zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Ost und West. Sind die Westdeutschen zu unpolitisch? In Ostdeutschland ist die Polarisierung schon weiter vorangeschritten. Das zeigen auch die Zahlen, wie junge Menschen in Ost und West abgestimmt haben. Im Osten war die Spaltung stärker, mit einem hohen Ergebnis für die Linkspartei einerseits und die AfD andererseits. Als Jugendlicher im ländlichen Ostdeutschland kann man sich nicht rausnehmen, man muss eine Meinung haben. Du bist entweder für die AfD oder dagegen, weil die Partei so präsent ist. Dieser Positionierungszwang ist im Westen noch nicht so ausgeprägt. Deswegen treffe ich im Westen eher auf unpolitische Leute. Sie halten nichts von der Erklärung, dass die ungleichen Lebensverhältnisse oder eine "Übernahme" durch den Westen die Rechten im Osten stark gemacht haben. Es gibt diese Ungleichheiten zwischen West und Ost, niedrigere Löhne, geringeres Erbe, weniger Repräsentanten in Führungspositionen. Und darüber müssen wir auf jeden Fall stärker sprechen. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, populistische und extrem rechte Kräfte zu wählen. Diese Ungerechtigkeiten existieren, sind aber keine Legitimation für Menschenfeindlichkeit. Was können Menschen konkret tun, um Rechtsextremismus aufzuhalten? Bei meinen Schullesungen sage ich immer: Das Wichtigste ist, dass ihr euch zusammenschließt. Rechtsextremen Meinungen lässt sich am besten widersprechen, wenn man nicht alleine ist. Das klingt einfach. Sie haben recht. Häufig sagen Leute, sie wissen gar nicht, mit wem sie sich zusammenschließen sollen. Das zeigt, wie fortgeschritten das Problem ist. Es ist so normal, rechtsextrem zu sein und die AfD cool zu finden, dass es für Demokraten immer schwieriger wird, sichtbar zu bleiben. Der Gegenwind in Form von Drohungen durch Rechtsextreme schlägt ihnen überall entgegen. Welchen Preis zahlen Sie für Ihr politisches Engagement? Es passiert immer wieder, dass bei Lesungen Neonazis auftauchen und wir Polizeischutz brauchen. Ich bekomme Morddrohungen und Hassnachrichten, zuletzt auch gegen meine Mutter gerichtet. In kleineren Orten bin ich nie alleine unterwegs und habe immer Pfefferspray dabei. Auch in meiner Heimatstadt Zwickau könnte ich mich nicht gefahrlos alleine bewegen. Das ist krass. Ja, das ist ein beschissenes Gefühl. Ich bin da groß geworden und liebe den Ort immer noch. Und es tut weh, dass es dieses unbeschwerte Gefühl wie in meiner frühen Jugend für mich dieser Stadt nie wieder geben wird. Aber ich habe mir das mit meiner Positionierung ein Stück weit ausgesucht. Ganze viele Menschen sind zwangsläufig von Rechtsextremismus betroffen und können sich nicht einfach heraushalten. Aber es ist beängstigend und wird auch nicht weniger. Würden Sie ein Verbot der AfD begrüßen? Da bin ich zwiegespalten. Ein Verbot würde natürlich die Opferrolle der AfD stärken, andererseits stellt sich die Partei immer als Opfer dar. Es kann nicht sein, dass antidemokratische Kräfte mit demokratischen Mitteln die Demokratie aushebeln können. Deshalb würde ich mir zumindest wünschen, dass die Finanzierung der Partei gekappt wird. Wie bewerten Sie die gemeinsame Abstimmung der Union mit der AfD zur Asylpolitik im Bundestag? Ich fand es immer wichtig, die AfD und die CDU nicht auf eine Stufe zu stellen, weil die Union eine demokratische Partei ist. Und dieses Plädoyer würde ich auch jetzt noch halten. Aktuell tritt sie aber nicht als demokratische Partei auf, und das ist ein großes Problem. Von der AfD erwartet man rassistische Aussagen. Von Friedrich Merz würde ich mir wünschen, dass er das nicht normalisiert. Lieber Herr Springfeld, vielen Dank für das Gespräch!