Investitionen in die Infrastruktur sind wichtig, findet der Ökonom Marcel Fratzscher. Das, was CDU/CSU und SPD vorhaben, ist aber trotzdem falsch. Ein Gastbeitrag. Die Sondierungen zwischen Union und SPD schlagen hohe Wellen. Das Sondervermögen für Infrastruktur und die Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse würden sich als Etikettenschwindel erweisen – wenn Union und SPD an ihren Plänen aus den Sondierungsgesprächen festhalten. Beträchtliche Steuersenkungen für Besserverdiener und höhere Sozialausgaben im Bundeshaushalt haben Union und SPD in den Sondierungen angekündigt – nach ersten Schätzungen jährliche Mindereinnahmen in Höhe von 64 Milliarden Euro. Fakt ist, dass diese gewaltigen Versprechen nur durch eine Verschiebung von öffentlichen Investitionen und Verteidigungsausgaben aus dem Bundeshaushalt finanziert werden könnten. Die bisher im Bundeshaushalt veranschlagten Investitionen würden also nicht erhöht, sondern lediglich aus dem Bundeshaushalt herausgenommen und in das Sondervermögen eingestellt. Das Sondervermögen und die Ausnahme von der Schuldenbremse wären also nur ein Trick, um vor allem die konsumtiven Ausgaben des Staates und nicht die investiven Ausgaben des Staates zu erhöhen. Damit würde eine große Chance vertan, einen echten Paradigmenwechsel in der deutschen Politik herbeizuführen und für die Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand zu sorgen. Denn eine neue Studie des DIW Berlin zeigt, dass zusätzliche öffentliche Investitionen große positive Effekte auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland hätten. Oder anders ausgedrückt: Ohne massive Investitionen wird die Deindustrialisierung in Deutschland schneller voranschreiten und viele gute Arbeitsplätze und Wohlstand gehen verloren. Fünf Punkte können die Fehler heilen Mit den Versprechen aus den Sondierungen haben Union und SPD die Hoffnungen auf einen echten Kurswechsel wieder zunichtegemacht. Die künftige Bundesregierung kann diesen Fehler aber heilen, indem sie sich auf fünf verbindliche Vereinbarungen festlegt: Erstens sollten Union und SPD zusagen, dass das Sondervermögen und die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben ausschließlich für zusätzliche öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung verwendet werden, es also keine Verschiebung solcher Ausgaben aus dem Kernhaushalt geben wird. Zweitens sollte im Rahmen des Bundestagsbeschlusses festgelegt werden, dass der Anteil der öffentlichen Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung am gesamten Bundeshaushalt und auch als Anteil an der Wirtschaftsleistung in Zukunft nicht sinken darf. Das bedeutet zum Beispiel, dass eine Ausweitung der Sozialausgaben und damit des Bundeshaushalts gleichzeitig eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen erfordert. Und es bedeutet ebenso, dass Steuersenkungen nicht durch Kürzungen bei den öffentlichen Investitionen finanziert werden dürfen. Die neue Bundesregierung hat also durchaus die Möglichkeit, Sozialausgaben und Steuern anzupassen, dies darf aber nicht zulasten von Sicherheit und Zukunftsinvestitionen gehen. Weitaus mehr Geld für Länder und Kommunen Drittens sollte die neue Bundesregierung nicht 100 Milliarden, sondern einen deutlich höheren Betrag des Sondervermögens an die Bundesländer und Kommunen geben. Der Deutsche Städtetag hat zuletzt allein den Investitionsstau der Kommunen auf 186 Milliarden Euro beziffert. Nimmt man hinzu, dass die Kommunen 60 Prozent der öffentlichen Investitionen tätigen, wären vielmehr 300 Milliarden Euro (also 60 Prozent) des Sondervermögens angemessen. Im Gegenzug verpflichten sich die Länder ebenso wie der Bund, den Anteil der öffentlichen Investitionen an ihren Haushalten und ihrer Wirtschaftsleistung nicht zu reduzieren. Finanziell schwächere Länder und Kommunen sollten einen höheren Anteil erhalten. Viertens sollte die neue Bundesregierung neu definieren, welche Art von Ausgaben als Investitionen für das Sondervermögen zulässig sein sollen. In einigen Bereichen muss die Definition weiter gefasst sein – um beispielsweise auch das Einstellen zusätzlicher Lehrer und Kita-Fachkräfte als "Investitionen" zu erlauben, ebenso wie einen stärkeren Fokus auf den Schutz von Klima, Umwelt und Biodiversität – also Ausgaben, die bisher nicht im engeren Sinne als Investitionen galten. Chance auf einen Paradigmenwechsel Fünftens verpflichtet sich die neue Bundesregierung zu einer Reform der Schuldenbremse, und tut dies unter drei Prämissen: Eine reformierte Schuldenbremse muss Generationengerechtigkeit gewährleisten und die Interessen junger und künftiger Generationen wahren. Kluge Schulden heute – für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Innovation – sind gute Schulden, weil sie die Grundlage für den Wohlstand von morgen bilden. Eine reformierte Schuldenbremse muss Staat und Gesellschaft in Zukunft genügend Flexibilität geben, um auf Krisen angemessen reagieren zu können. Und sie muss neben der Sicherung der Solidität der Staatsfinanzen auch im Einklang mit den europäischen Regeln sein. Die Reform der Schuldenbremse sollte nicht auf einem parteipolitischen, sondern auf einem gesellschaftspolitischen Prozess beruhen, der die Interessen vor allem zukünftiger Generationen in den Mittelpunkt stellt und nicht offen ist für Partikularinteressen und politische Manipulation. Union und SPD haben mit der Ankündigung des Sondervermögens und zusätzlicher Ausgaben für Verteidigung die Chance für einen Paradigmenwechsel in Richtung Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit geschaffen. Dazu muss die nächste Bundesregierung sich selbst, aber auch die Regierungen der Länder und Kommunen verbindlich darauf verpflichten, die Mehrausgaben vorrangig für Investitionen zu verwenden. Eine solche Verpflichtung ist möglich und sinnvoll. Union und SPD sollten diese verbindliche Verpflichtung eingehen und sich von falschen Versprechungen aus dem Bundestagswahlkampf verabschieden.