Eberbach: Immer mehr Menschen haben Schuldenberge
Von Martina Birkelbach
Eberbach. Das Geld reicht nicht bis zum Ende des Monats, die Miete kann nicht mehr bezahlt werden, die Bank zahlt nichts mehr aus, der Lohn wird gepfändet, Inkassounternehmen machen Druck, der Gerichtsvollzieher kommt. Die Schuldenberge wachsen weiter. "Manchmal kommen Klienten mit drei Tüten ungeöffneter Post", sagt Katja Schuster. Und manchmal kommen sie erst dann, "wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist; die Wohnung schon geräumt wurde".
Dabei hätte man laut Schuster, die im Diakonischen Werk für die Schuldnerberatung zuständig ist, vorher zumindest versuchen können, dass die Menschen nicht auf der Straße landen. Etwa durch Maßnahmen wie "Mietrückstände ausgleichen oder prüfen, ob die Kündigung gerechtfertigt ist". Denn grundsätzlich gibt es Ausnahmen: "Alte, kranke Menschen oder Hochschwangere kann man nicht einfach so auf die Straße setzen". Bei Stromsperren kann Schuster versuchen, mit den Gläubigern gemeinsam eine Lösung zu finden. Wer das alles alleine durchstehen muss, tut sich schwer.
Die 48-Jährige ist gelernte Bankkauffrau, anschließend hat sie ein Studium "Soziale Arbeit" absolviert. Seit drei Jahren arbeitet sie für die Eberbacher Außenstelle des Diakonischen Werks. Neben der Schuldnerberatung ist sie gemeinsam mit anderen Kollegen zudem noch für die kirchliche allgemeine Sozialarbeit zuständig.
Im ersten Quartal dieses Jahres verzeichnete die Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes und des Caritasverbandes für den Rhein-Neckar-Kreis in Weinheim, Wiesloch, Schwetzingen, Sinsheim und Eberbach rund 20 Prozent mehr Anfragen als im letzten Quartal des Jahres 2020, "auch durch coronabedingte Kurzarbeit oder sogar Arbeitslosigkeit – auch Eberbacher sind davon betroffen". Der Anstieg ist also durchaus auch mit der Corona-Pandemie zu begründen. Um wieviel Prozent genau oder seit wann genau lässt sich schwer einschätzen, denn bislang wurden im Diakonischen Werk nur Klienten mit Hartz IV-Bezug beraten. Inzwischen ist die Schuldnerberatung der beiden Wohlfahrtsverbände für alle Bürger des Rhein-Neckar-Kreises, geöffnet.
Schuster: "Der Rhein-Neckar-Kreis stellt, befristet bis Ende des Jahres, zusätzliche Finanzmittel für zwei Personalstellen im Kreis zur Verfügung". Früher hat Schuster ausschließlich Gespräche mit Hartz IV-Empfängern geführt, die meist Schulden hatten, die schon Jahre zurückliegen. Die Hilfe für Menschen, die ihre Arbeit verloren haben oder durch Kurzarbeit ihren monatliche finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, "läuft jetzt an". Zu Schuster kommen Menschen aller Altersgruppen, ab 18 Jahre bis zu Rentnern. Es kommen beispielsweise alleinerziehende Mütter, die Schulden für eine Wohnungseinrichtung haben, und "plötzlich merken, dass sie die Raten nicht zahlen können". Oder Klienten, etwa aus dem Gastronomie- oder Einzelhandelsbereich, die beispielsweise im vergangenen Jahr kein geregeltes Einkommen hatten. Für einige Fälle kann das Diakonische Werk auf einen Corona-Soforthilfe-Fonds zurückgreifen. Diese Gelder müssen beantragt und begründet werden. Schuster: "Spendengelder sind grundsätzlich dazu da, Notlagen zu überbrücken, nicht um Schulden zu bezahlen."
Ziel der Schuldnerberatung ist immer, "Personen, die verschuldet sind, langfristig zu entschulden."
Vor Scham trauen sich viele nicht, die Schuldnerberatung aufzusuchen, sagt Schuster. "Es ist den Klienten sehr unangenehm, über alles zu reden, und der Weg zur Bank erweist sich ebenfalls oft als schwierig." Meist packen ihre Klienten auch nicht gleich beim ersten Termin "alles aus". Erst nach und nach kommen immer mehr Schulden "ans Licht".
Dabei kommen laut Schuster viele, die nicht nur Schulden haben. Die Themen, die eventuell den Weg in die Verschuldung begleitet haben, sind häufig nicht gleich erkennbar." Schuster schaut dann gemeinsam mit den Kollegen, wo die Personen noch "angebunden" werden können, beispielsweise im sozialpsychiatrischen Dienst oder in der Schwangerenberatung des Diakonisches Werks. "Viele denken immer, dass Menschen mit hoher Verschuldung nicht mit Geld umgehen können. Dabei stehen oft andere Themen weiter vorne."
Grundsätzlich haben hohe Mieten und steigende Stromkosten (auch bedingt durch Homeschooling) die Schuldenberge vergrößert; "durch die Pandemie kommen neue Bereiche dazu". Schuster betont: "Das Wichtigste für Familien ist immer die Versorgung und den Wohnraum sicherzustellen. Hartz IV ist ein Existenzminimum. Für mich ist es wichtig, die Familien zu stabilisieren, soweit das möglich ist."
Beim ersten Telefonat kann Schuster schon vieles abklären. "Da geht es um die Existenzsicherung. Etwa, ob es Mietschulden gibt, die im schlimmsten Fall zur Wohnungslosigkeit führen können. Oder Stromschulden, die eine Stromsperrung zur Folge hätten; das gilt es zu vermeiden." Die telefonische Beratung ist auch erst durch die Pandemie entstanden; "vorher wurde nach einem Anruf ein direktes persönliches Gespräch vereinbart". Jetzt wird in einem ersten Telefonat beispielsweise auch schon auf die Möglichkeit hingewiesen, das Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto umwandeln zu lassen, um die Sozialleistungen und/oder Einkommen zu schützen. Schuster: "Bei einer alleinstehenden Person ist der Betrag von 1252,64 Euro geschützt. Das wissen viele nicht, und so ist oft schon gleich ein Handwerkszeug gegeben, um selbst aktiv zu werden. Schuster ist die "individuelle Beratung am Bedarf des Klienten ausgerichtet" sehr wichtig. Weitere Themen sind bei ihr auch immer: "Ein Haushaltsbuch führen, wo gibt es Sparpotenzial und eine Budgetplanung". Die Klienten müssen auch immer erst "Vertrauen aufbauen und Scham abbauen.
Schuster: "Ich möchte Hilfe zur Selbsthilfe geben. Ich möchte es schaffen, die Klienten zu motivieren, sich selbst zu helfen und ihre Ressourcen zu nutzen. Grundsätzlich gilt immer: Die Mitarbeit des Klienten ist sehr wichtig, um einen Weg zur Schuldenregulierung zu finden.
Info: Diakonisches Werk im Rhein-Neckar-Kreis, Friedrichstraße 14, 69412 Eberbach; Telefon (0 62 71) 92 640; eberbach@dw-rn.de; www.dw-rn.de; Spendenkonto: Sparkasse Neckartal-Odenwald; IBAN: DE58 6745 0048.0001 0058 18; BIC: SOLADES1MOS.