Stimmt es, dass der neue afghanische Innenminister für den Anschlag auf die deutsche Botschaft 2017 verantwortlich ist?
Siradschuddin Haqqani ist Innenminister der jüngst durch die Taliban benannten Übergangsregierung. Seinem Netzwerk werden zahlreiche Attentate zugeschrieben – darunter der schwere Anschlag im Kabuler Diplomatenviertel 2017. Ein Faktencheck.
Stimmt es, dass der neue afghanische Innenminister für den Anschlag auf die deutsche Botschaft 2017 verantwortlich ist?
Das lässt sich nicht einwandfrei belegen, aber der afghanische Geheimdienst machte damals das Haqqani-Netzwerk verantwortlich – und damit den Mann, der heute die innere Sicherheit im Land vertritt: Siradschuddin Haqqani.
Es war einer der schlimmsten Anschläge der jüngeren afghanischen Geschichte. Im streng gesicherten Diplomatenviertel von Kabul sprengte ein Selbstmordattentäter am 31. Mai 2017 seinen Tanklaster in unmittelbarer Nähe zur deutschen Botschaft in die Luft und hinterließ einen mehrere Meter tiefen Krater. Hunderte Menschen wurden dabei teils schwer verletzt oder kamen ums Leben.
Nicht nur der afghanische Inlandsgeheimdienst NDS machte die Haqqani-Gruppe für die Tat verantwortlich. "Der Anschlag trägt die Signatur des Netzwerks", sagte damals Marvin Weinbaum vom Middle East Institute in Washington, und auch in US-Regierungskreisen hielt man das zumindest für wahrscheinlich. Im bergigen Grenzland zu Pakistan beheimatet, zählen die geschätzt bis zu 15.000 Kämpfer um Siradschuddin Haqqani zu den gewalttätigsten Gruppen der Region, mit engen, teils verwandtschaftlichen Verbindungen zur arabisch geprägten al-Qaida. Faktencheck-Erklärkasten_Artikel_lang
Täterschaft der Haqqani-Leute nicht endgültig bewiesen
Auch Siradschuddin Haqqani selbst entstammt einer emiratisch-paschtunischen Ehe, sein Arabisch sprechender Bruder Anas galt lange als der "Fundraiser" am Golf, der etwa in Katar für die nötige Finanzierung von Terrorprojekten sorgte. Und das offensichtlich erfolgreich. Der Nimbus der Familie ist alt, der Vater Dschallaluddin gründete die Miliz bereits in den 1980ern, als er – damals mit Unterstützung der CIA – gegen die "ungläubigen" sowjetischen Invasoren das Land verteidigte.
Endgültig bewiesen wurde die Täterschaft der Haqqani-Leute jedoch nie. Siradschuddin selbst, der Chef, distanzierte sich davon, und die afghanischen Dienste lieferten dem ermittelnden deutschen Generalbundesanwalt keine für einen Tatverdacht ausreichenden Hinweise. Und als dann im vergangenen Jahr im Zuge der Verhandlungen zwischen den Amerikanern und der Taliban-Führung in Doha mehrere Taliban-Kommandanten aus der Haft entlassen wurden, erlangte auch ein mutmaßlicher Drahtzieher des Attentats die Freiheit – und konnte sich allen weiteren Verhören entziehen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe stellte daraufhin die Ermittlungen ein.
PAID So lebt es sich derzeit in Afghanistan 16.25
Siradschuddin Haqqani ist nun ausgerechnet der Innenminister des Landes. Die Liste der Attentate, die seinem Netzwerk zugeschrieben werden, ist lang – unabhängig vom Anschlag im Diplomatenviertel vom Mai 2017. Daher setzt das FBI auch ein Preisgeld von zehn Millionen Dollar für Informationen aus, die zu seiner Ergreifung führen. Man darf gespannt sein, wie westliche Außenminister in Zukunft bei direkten Verhandlungen mit den neuen Machthabern in Kabul der Causa Haqqani Rechnung tragen werden.
Quellen:Reuters / Voice of America (1), (2) und (3) / United States Department of State Publication: Country Reports on Terrorism 2017 (S. 294) / Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (Center for Security Studies) / Institute for the Study of War: Afghanistan Report 6 - The Haqqani Network / "Spiegel Online" / "Deutsche Welle"