Heidelberg: Weniger Literatur, mehr Rainbow-City – Droht ein großer Imageverlust?
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Der Herbst ist Bücherzeit, bloß in Heidelberg nicht. Während die literarische Welt auf die hohen Stapel druckfrischer Bände blickt, während sich die Branche auf die Frankfurter Buchmesse vorbereitet, während Lesungen arrangiert und Festivals konzipiert werden, setzt man in der Unesco-Literaturstadt Heidelberg den Rotstift an. 60.000 Euro sollen im neuen Doppelhaushalt im Literaturbereich eingespart werden – zugunsten der bislang noch nicht subventionierten Rainbow-City-Aktivitäten.
Die kreative Szene der Wissenschafts- und Kulturstadt empfindet das als Affront. Zwar gönnt man den Rainbow-Aktivisten das Geld herzlich gern, nicht aber auf Kosten der gewachsenen Strukturen im Literatur-Bereich, in dem auch viele ehrenamtlich unterwegs sind, beispielsweise das kleine Team des gerade zu Ende gegangenen und vom Publikum kräftig frequentierten Literaturherbstes.
Die Heidelberger Autoren, Verleger, Wissenschaftler, Kulturveranstalter und Leser sind in großer Sorge und fürchten um das Unesco-Label im Netzwerk der kreativen Städte. Das wurde bei einer Online-Konferenz deutlich, an der sich am Dienstagabend mehr als 50 Mitstreiter beteiligt hatten. Koordiniert wurde das Gespräch von der Heidelberger Kulturamtsleiterin Andrea Edel, die auch den neuen Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson bei der Zoom-Konferenz begrüßte.
Zuvor war bereits eine Protestnote der Dramatikerin Ingeborg von Zadow und ihres Kollegen Belmonte im Namen der Heidelberger Autorinnen und Autoren verschickt worden. Darin verschaffen sie sich Luft über die im Doppelhaushalt 2021/22 vorgesehenen Kürzungen und warnen vor der Aberkennung des Status als Unesco City of Literature. Das drohe nach dem nächsten Rechenschaftsbericht, der alle paar Jahre an die Unesco geschickt werden müsse. Die Aufnahme Heidelbergs ins Netzwerk der kreativen Unesco-Städte hätte im Jahr 2014 "eine wichtige Signalwirkung für die Sichtbarkeit der Literatur in Heidelberg und darüber hinaus" gehabt, außerdem sieht man darin "ein wertvolles Instrument für das Stadtmarketing". All das stehe nun auf dem Spiel.
Konkret sollen 40.000 Euro im Bereich der Unesco-Aktivitäten und 20.000 Euro bei den Heidelberger Literaturtagen eingespart werden. So zumindest hat es die SPD-Fraktion des Gemeinderats im Schulterschluss mit den Grünen im Zuge der Haushaltsberatungen beschlossen. "Aus Unwissenheit", wie der Heidelberger Germanistik-Professor Roland Reuß vermutet. Auch er hat eine Petition gegen die Kürzungen verfasst und damit zugleich eine Unterschriftenaktion gestartet. Darin fordert auch Reuß, den "schädlichen Beschluss" zurückzunehmen. Man solle darauf hinwirken, dass die Literaturförderung "mittel- und langfristig auf einem festen Fundament" stehen könne, da die Stadt "immens von ihrem Image als Literaturstadt" profitiere, wie der Literaturwissenschaftler schreibt. "Nicht zuletzt braucht Heidelberg eine sichere Basis für die Heidelberger Literaturtage als Leuchtturmveranstaltung mit Wirkung über die Stadt und Region hinaus", ergänzt er. Reuß verweist auch auf die immer stärker werdende "Verrohung der Sprache" in unserer Gesellschaft. Umso wichtiger sei es, "die politische Kultur und damit letztlich auch die sprachliche Kultur" mit den Mitteln der Literaturförderung zu stärken.
Während der Zoom-Konferenz wurde darüber nachgedacht, die am 21. Oktober stattfindende nächste Sitzung des Heidelberger Kulturausschusses für unkonventionelle Proteste zu nutzen. "Wir sind das Schmuckstück der Stadt, wir wollen keine Ballermann-Stadt sein", sagte dazu die Literaturaktivistin Molli Hiesinger. Und der Slavist Urs Heftrich ergänzte, man habe überhaupt nichts gegen die Rainbow-City, könne es aber nicht akzeptieren, dass die einen gegen die anderen ausgespielt werden. Diese Art des "Schildbürgertums" habe es in der Geschichte Heidelbergs so noch nie gegeben.
Kurzum: Kulturpolitisch ist viel zu Bruch gegangen. Aber in der Literaturszene arbeitet man daran, die Scherben bis zum 21. Oktober wieder zu kitten.