Heidelberg Laureate Forum: Der Weg zu Frieden in der Welt und in der Ehe
Von Denis Schnur
Heidelberg. Eigentlich wäre Martin Hellman diese Woche in Heidelberg beim Heidelberg Laureate Forum – wie auch schon 2017, 2018 und 2019. Doch wie so vieles machte die Corona-Pandemie auch die Reise des 75-jährigen US-Amerikaners unmöglich. Stattdessen erreicht die RNZ den Kryptologen via Zoom zum Interview an seinem Schreibtisch in seinem Haus in Stanford.
Doch das Homeoffice ist für den Informatiker, der 2015 den ACM A.M. Turing-Award erhielt, nichts Neues. In seinem kleinen Büro habe er immer die besten Ideen gehabt, sagt er. Auch die zur Diffie-Hellman-Verschlüsselung, dem ersten Verfahren, das sichere Kommunikation über unsichere Kanäle ermöglichte, kam ihm 1975 "an genau diesem Schreibtisch". Doch obwohl Hellman unter Kryptologen eine Legende ist, spielt die Informatik in seinem Leben heute nur noch eine Nebenrolle. Wichtiger ist ihm seine Ehe – und der Weltfrieden.
Herr Hellman, Sie waren einer der Pioniere der Verschlüsselung, haben dem Fach jedoch den Rücken gekehrt.
Stimmt. Vor 40 Jahren habe ich den Schwerpunkt meiner Forschung geändert, von Datensicherheit zu internationaler Sicherheit. Ich befasse mich mit den großen Bedrohungen für die Menschheit, vor allem der leider realen Gefahr eines Atomkrieges.
Wieso diese Veränderung? Weil Sie die Welt verbessern wollten?
Nein, ich wollte meine Ehe retten. Die Art und Weise, wie ich damals arbeitete, hätte früher oder später ins Desaster geführt. Meine Frau Dorothie hatte mich dann 1980 zu einem Treffen der Gruppe "Beyond War" geschleppt, die uns sehr half. Ihr Ziel war es, Kriege zu überwinden – aber wie wir kamen die meisten nicht, um die Welt zu verbessern, sondern um sich selbst oder ihre Ehe zu retten.
Und dennoch wurden Sie zum Konfliktforscher und Kämpfer für Abrüstung.
Ja. Mir wurde klar, dass die Veränderungen, die ich persönlich durchmachen musste, dieselben sind, die international geschehen müssen. Wir müssen uns öffnen für andere Perspektiven, unsere Gedanken und Gefühle hinterfragen und zusammenarbeiten.
Und das funktioniert?
Wenn Sie mich fragen, wie viele Atomwaffen ich mit meinem Einsatz beseitigt habe, wie viele Kriege ich verhindert habe, muss ich sagen: Null. Wenn Sie aber fragen, welchen Unterschied er in meinem Leben gemacht hat, kann ich sagen, dass ich nicht nur immer noch verheiratet bin – seit mittlerweile 54 Jahren. Meine Frau und ich, wir hatten auch seit fast 20 Jahren keinen Streit mehr.
Wirklich?
Oh ja, aber das liegt nur an Dorothie! (lacht)
Und aufgrund dieses Erfolges haben Sie ein Buch über den Weg zu Frieden in der Ehe und in der Welt geschrieben?
Ich kam zu dem Schluss, dass ich mehr Menschen erreichen kann, wenn ich das Internationale und Interpersonale kombiniere. Also ging ich zu Dorothie und sagte: Wir sollten ein Buch über die Liebe zuhause und den Frieden auf der Welt schreiben. 2016 kam dann "A New Map for Relationships" raus.
Wie kam das an?
Wir kennen Paare, die ohne das Buch wohl nicht mehr verheiratet wären. Aber es ist kein Bestseller geworden. Das kann natürlich noch passieren, ich gebe nicht auf. Ich nenne das die Weisheit des Narren.
Die Weisheit des Narren?
Oh ja! Ich bin ein Narr – und stolz darauf. Das hat mir schon in der Kryptologie geholfen. Ich hatte viele Ideen ausprobiert, bevor ich auf die Diffie-Hellman-Verschlüsselung kam. Und wer glaubt noch, dass Idee Nummer 20 funktioniert, wenn Nummer 1 bis 19 scheitern? Nur ein Narr. Aber Gott belohnt die Narren, denn nur Narren hören nicht auf, zu glauben! Vor zwei Jahren hielt ich eine Rede, bei der fünf Nobelpreisträger anwesend waren. Und ich fragte sie, ob ihre Arbeit zunächst als idiotisch bezeichnet wurde. Vier von fünf sagten Ja.
Ex-US-Verteidigungsminister Bill Perry sagt, Ihr Buch sollte "von Ehepaaren, die Frieden zuhause suchen, ebenso gelesen werden wie von Diplomaten, die Frieden in der Welt suchen". Können Sie den Verheirateten – und den Diplomaten – unter unseren Lesern Tipps geben, wie sie Frieden finden?
Natürlich! Der erste Schritt ist zu glauben, dass es möglich ist. Erklärt man Menschen, dass es möglich ist, eine Beziehung zu führen, in der sich Menschen respektvoll widersprechen und nicht streiten – wie bei uns –, sagen die meisten: Das geht nicht. Aber es geht. Genauso wie eine Welt möglich ist, die sich nicht selbst in die Luft jagt. Frieden auf der Welt ist möglich.
Okay. Und der zweite Schritt?
Der richtet sich vor allem an die Verheirateten: Wenn du einen Eheschwur gegeben hast, wenn du versprochen hast, deine Partnerin oder deinen Partner in guten wie in schlechten Zeiten zu lieben. Dann frag dich: Erfüllst du den Schwur, wenn du schreist? Liebst du denjenigen dann in schweren Zeiten? Klar, man kann sich nicht sofort aus seiner Wut und der Situation ziehen. Aber man kann merken, dass man einen Fehler macht, und daran arbeiten.
Das mag Ehen retten – aber Kriege verhindern?
Nicht von heute auf morgen. Aber Veränderungen fangen bei Einzelnen an. Die großen Bedrohungen für die Menschheit – Atomkriege, Gentechnik oder der Klimawandel – sind eigentlich auch gar nicht das Problem, sondern Symptome eines tieferliegenden Problems: die Kluft zwischen der Macht, die Technologie uns Menschen gibt, und unserem unverantwortlichen, unreifen Verhalten als Spezies. Der Mensch denkt in der Regel zu kurzfristig und zu sehr an sich selbst. Deshalb bekommt die Erderwärmung nicht die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt – genauso wie Atomwaffen und Gentechnik. Wenn wir in einem dieser Bereiche "erwachsen" werden, hoffe ich, dass es sich auf die anderen ausweitet.
Daran glauben Sie?
Ehrlich gesagt, werde ich schon manchmal pessimistisch, wenn ich mir die Probleme auf der Welt ansehe. Aber dann denke ich an das, was mein Mentor in Stanford sagte. Er sagte: Marty, es gibt zwei Hypothesen zur menschlichen Existenz. Die edle sagt, dass die Menschheit zu den radikalen Veränderungen in der Lage ist, die es braucht, um ihre Existenz zu sichern. Die weniger edle sagt: Wir sind verdammt. Wenn wir aber die weniger edle akzeptieren, sind wir ohnehin verdammt – auch, wenn wir in der Lage wären, uns zu ändern, weil wir nicht motiviert wären. Akzeptieren wir aber die edle Hypothese, ist das Schlimmste, was passieren kann, dass wir kämpfend untergehen. Und das Beste, dass wir überleben. Also sagte er mit einem Augenzwinkern, warum glauben wir nicht einfach dran?
Sie beraten heute wichtige Gremien der US-Politik, werben für ein Neudenken in der Sicherheitspolitik. Befassen Sie sich trotzdem noch mit Kryptologie?
Wenig, aber ja. Hauptsächlich, wenn es für Sicherheitsfragen relevant ist – etwa wegen der steigenden Gefahr eines Cyberkrieges. Dann frage ich aber meine Kollegen, die noch in dem Bereich aktiv sind. Ich bin up to date – aber nur, weil ich Freunde habe, die sich auskennen.
Dann können Sie sicher sagen, auf welche großen Fragen die Informatik noch Antworten schuldig ist?
Die für mich spannendste Frage ist, wie wir Informatik mit Philosophie und Spiritualität verbinden können. Wissenschaft lehnt Spiritualität und Religion meist grundsätzlich ab – was ja nachvollziehbar ist, wenn man weiß, was mit Galileo passiert ist. Im Prinzip muss die Wissenschaft einen ähnlichen Prozess durchmachen wie ich persönlich.
Wie meinen Sie das?
Als Kind war ich sehr emotional und zeigte das auch. Wenn ich Angst hatte, weinte ich – und die anderen Jungs lachten mich aus. Wenn erschrak, wich ich zurück – und sie attackierten mich. Als ich dann mit elf, zwölf Jahren den logischen Teil meines Gehirns entwickelte, konnte ich meine Emotionen verstecken. Deshalb hatte ich mein ganzes Leben auf Logik aufgebaut, um mich zu schützen.
Das klingt nachvollziehbar.
Ich bin auch immer noch der Meinung, dass es richtig war. Aber heute bin ich auch froh, dass ich mich verändert habe.
Wie kam es dazu?
Einen großen Anteil daran hatte der Mathematiker Kurt Gödel. Der hat 1931 sein Unvollständigkeitsgesetz aufgestellt, in dem ihm etwas Beeindruckendes gelang: Er wies mit Logik nach, dass Logik nicht alles beweisen kann, dass sie eben unvollständig ist. Ich wurde im zweiten Jahr meiner Promotion damit konfrontiert – und mein Weltbild wurde erschüttert. Ich kam nach Hause zu meiner Frau und sagte: Ich habe meine ganze Welt auf Logik aufgebaut und gerade ein Theorem gesehen, das beweist, dass Logik unvollständig ist. Ich dachte, ich hätte einen Nervenzusammenbruch. Erst Jahre später gelang es mir, anzuerkennen, dass Logik zwar ein wertvolles Werkzeug ist, aber eben nicht das einzige.
Und das müssen auch Mathematiker und Informatiker tun?
Ja. Die Ablehnung von allem, was unlogisch scheint, ist für mich der größte blinde Fleck. Das ist wie meine Ablehnung der Emotionen. Als Kind war sie richtig, aber 20, 30 Jahre später war sie falsch.
Info: Das Buch "A New Map for Relationships" kann hier als PDF kostenlos heruntergeladen werden.