Neckar-Odenwald-Kreis: Was ist den Wählern wirklich wichtig?
Neckar-Odenwald. (RNZ) Vor einer Wahl wird viel diskutiert, viel versprochen. Nicht immer decken sich dabei Ansätze und Einschätzungen der großen Politik mit dem, was den kleinen Wähler wirklich umtreibt. Was aber ist den Bürger in der Region mit Blick auf die Bundestagswahl wirklich wichtig, was ist relevant für ihre Wahlentscheidung? Unmittelbar vor der nahenden Bundestagswahl hat die RNZ sich in der Region umgehört, Wahlberechtigten folgende Fragen gestellt:
> Welche Themen sind Ihnen bei der Wahlentscheidung besonders wichtig?
> Was erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung?
> Wolfram Fitz, Unternehmer (Möbelhaus Fitz) aus Bretzingen: "Wir dürfen die Energiewende nicht kopf- und konzeptlos vorantreiben – sonst führt das direkt ins Desaster. Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir in einigen Jahren alle E-Autos fahren, die mit Kohlestrom aus dem Ausland angetrieben werden. Im bin kein Gegner der erneuerbaren Energien, und ich freue mich über jede Solaranlage auf dem Dach: Aber ein weiterer Ausbau der Erneuerbaren ergibt nur Sinn, wenn wir Speichermöglichkeiten entwickelt haben. Deshalb müssen wir – auch im Interesse unserer Wirtschaft – alles daran setzen, dass wir Technologievorreiter bleiben und die notwendigen Innovationen bei uns entwickelt werden. Der deutsche Anteil an der weltweiten CO2-Produktion liegt bei 1,8 Prozent: Mit Verzichten, Verboten und Verteuerungen bei uns lässt sich doch ein globales Problem nicht lösen. Wer auf Verteuerungen setzt, nimmt in Kauf, dass viele Menschen sich Mobilität irgendwann nicht mehr leisten können. Eine Lösung wird nur durch neue Technologien und den sofortigen Stopp jedweder Waldrodung – und zwar weltweit – gelingen.
Das zweite Thema, das mir am Herzen liegt, ist die soziale Gerechtigkeit: Alle Bürger – auch Selbstständige und Beamte – sollten in die Rentenkasse einzahlen. Und für den Rentenanspruch sollte nicht das Lebensalter zählen, sondern die Arbeitsjahre. Das wäre gerecht. Für junge Menschen sollte ein soziales Jahr oder ein Jahr bei der Bundeswehr verpflichtend sein. Zudem würde ich das Steuerrecht radikal vereinfachen, indem ich alle Abschreibungsmöglichkeiten und Steuervorteile abschaffen würde. Die Steuersätze würde ich dabei klar definieren: je höher das Einkommen desto höher der Steuersatz, natürlich mit einer Deckelung nach oben und unten. So weiß jeder genau, wie er dran ist."
> Sonja Geier ist Pflegekraft (Fachkrankenschwester an den Neckar-Odenwald-Kliniken) und im Pflegedienst als Mitarbeiterin in der Stabstelle Prozessqualität und Dokumentation tätig: "Ich wünsche mir, dass hinsichtlich des Klimaschutzes neue Ideen und Technologien vorangetrieben werden, damit Deutschland ein möglichst klimaneutrales Industrieland werden kann. Zudem ist mir das Thema Digitalisierung in Verwaltung, Schulen und Krankenhäusern wichtig. Hier brauchen wir wirklich einen Aufbruch. Wenn ich es nur für unsere Krankenhäuser betrachte, muss die Bundesregierung deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen. Wichtig ist mir auch die Sicherheit in Deutschland: Hier braucht es bessere Ausrüstung für Polizei und Bundeswehr.
Von der neuen Regierung wünsche ich mir vor allem eine gute Gesundheitsversorgung. Angeblich haben wir ein sehr teures Gesundheitssystem in Deutschland. Aber dennoch sind viele Kliniken in den roten Zahlen. Wie kann das sein? Liegt das an den Fallpauschalen? Wir kämpfen um eine ausreichende Personalbesetzung auf den Stationen. 2017 hat Alexander Jorde, damals Azubi in der Gesundheits- und Krankenpflege, im Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel auf die Missstände aufmerksam gemacht. Sie hat damals den Personalmangel anerkannt und das Anwerben von europäischen Pflegekräften für notwendig gehalten. Der Beruf sollte zudem besser bezahlt werden. Dann kam Corona. Die Personaluntergrenzen, die gerade eingeführt worden waren, wurden wieder auf Eis gelegt. Auf jeden Fall hat die Pandemie den Beruf bestimmt nicht attraktiver gemacht. Unsere Gesellschaft hat ein Recht auf eine hohe Pflegequalität. Wir könnten uns an den skandinavischen Ländern orientieren. Nur wenn die tägliche Arbeit einer Pflegekraft professionell zu leisten ist, werden wir neues Personal gewinnen und vorhandenes Personal halten. Die Effizienz darf nur in zweiter Linie eine Rolle spielen, in erster Linie haben wir einen Versorgungsauftrag für die Bevölkerung."
> Alina Remmler, 19, Studentin aus Adelsheim, ist Erstwählerin: "Das erste Mal Bundestag wählen ist für mich relativ wichtig und ich werde meine Stimme auf jeden Fall gültig abgeben. Doch wen ich wählen soll, weiß ich jetzt, so kurz vor den Wahlen, immer noch nicht. Zwar tendiere ich zu gewissen Parteien, fest steht meine Entscheidung aber noch nicht. Das liegt vor allem daran, dass einige Parteien gute Ansätze haben, wie beispielsweise bestimmte Klimaziele. Doch dann verfolgen sie wiederum Ziele, die ich nicht unterstützen möchte, wie zum Beispiel utopische Benzinpreise oder die Legalisierung von Drogen. Als Studentin fällt es mir außerdem schwer, mich mit den zahlreichen geplanten Gesetzesänderungen zu identifizieren. Immerhin bin ich noch weit vom Rentenalter entfernt und gehöre auch nicht zur Arbeiterschaft, weshalb es mir schwerfällt, Ziele der Parteien diesbezüglich zu bewerten.
Aus diesem Grund fände ich es schön, wenn sich Parteien in Zukunft mehr um Erstwähler kümmern und vor allem um die Stimmen von denjenigen kämpfen, die bisher noch nie eine neue Regierung gewählt haben. Zudem wünsche ich mir, dass sich die Koalitionsparteien schnell einigen und kompromissfähig sein werden. Ein ewiges Hin und Her hilft weder den Bürgern, noch der Regierung.
> Lothar Harlacher, Arbeitnehmervertreter (Betriebsratsvorsitzender bei Magna): "Das Thema ,Soziale Gerechtigkeit’ ist mir persönlich sehr wichtig. Deshalb soll die neue Regierung auch darauf größeren Wert legen. Wir reden von zwölf Euro Mindestlohn – wie soll ein Mensch davon leben können, sich eine Zukunft aufbauen, für sein Alter vorsorgen, konsumieren und die Wirtschaft am Laufen halten, sich eine Zukunft aufbauen ...? Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können! Staatliche Zuschüsse zum Leben sind der völlig falsche Weg. Menschen fühlen sich glücklicher, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Des Weiteren sollen alle Menschen in die Rentenkasse einzahlen. Altersbezüge aller Art müssen abgeschafft, die Rente für alle eingeführt werden. Man müsste auch einen Börsenumsatzsteuer einführen – 0,1 Prozent brächten 40 Milliarden Steuereinnahmen.
Darüber hinaus müssen alle Beschäftigten gleich lang arbeiten. Lohnfortzahlung muss für alle über denselben Zeitraum bezahlt werden. Außerdem müssen sich alle Menschen, die arbeiten, einer Gewerkschaft anschließen. Zudem fordere ich Tarifverträge für alle. Das Ergebnis der Maßnahmen wäre, dass mehr Menschen besser verdienen würden, dass es höhere Investitionen in allen Wirtschaftsbereichen und mehr Steuereinnahmen gebe und dass die Ungleichbehandlung in der Gesellschaft verringert würde.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist für mich, dass Wirtschaft und Klima zusammengehören. Der Ausstieg vom Verbrenner geht mir zu schnell. E-Mobilität wurde nicht zu Ende gedacht. Wie und woher soll so schnell der Strom für 90 Mio. Pkw allein in Deutschland kommen? Woher soll man die Rohstoffe für die Batterien nehmen? Außerdem wird die Transformation vielen Beschäftigten den Arbeitsplatz kosten. Man soll beide Technologien parallel laufen lassen, einen moderaten, ausgewogenen Übergang vollziehen, um den Wohlstand nicht zu gefährden.
Von der neuen Regierung erhoffe ich mir, dass auch gute Ideen und Vorschläge, die aus anderen Fraktionen kommen, umgesetzt werden – zum Wohl der Menschen. Allen Abgeordneten soll das Wohl der Menschen im Vordergrund stehen."
> Karl-Heinz Bindnagel, Rentner aus Mosbach: "Für mich sind die Themen Klima- und Umweltschutz wichtig, denn ich möchte, dass unsere Kinder und Enkelkinder auch noch was von unserer schönen Welt erleben. Gleichzeitig erhoffe ich mir, dass es eine Beständigkeit bei den Werten gibt: Frieden und Freiheit sind mir wichtig. Hier sollte man sich an den vergangenen 30 bis 50 Jahren orientieren."
> Einer Zweifach-Mutter aus der Region Mosbach (die lieber anonym bleiben will) ist vor allem das Thema Bildung wichtig: "Ich bin auch in diesem Bereich tätig und bekomme da viele Missstände mit. Und natürlich hoffe ich auch, dass der Fokus mal wieder mehr auf Familien gelegt wird. Ich muss sagen: Bei dieser Wahl ist man sich nicht so sicher, wie man sich entscheiden soll. Ich erhoffe mir aber von einer neuen Regierung, dass sie uns gut aus der Krise bringt und uns auch voranbringt – vor allem was die Themen Bildung und Klimaschutz angeht."
> Handwerker Niko Fischer, (Schreiner bei der Schreinerei Hemberger, Mudau) aus Mosbach sagt: "Mir sind Klimaschutz und Bildung wichtig, weil das für mich die Zukunft ist. Soziale Gerechtigkeit sollte wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, vor allem wenn es um die Rente geht. Alle Beschäftigen müssen einen fairen Lohn für ihre Arbeit bekommen und nicht noch Minijobs ausüben müssen, um über die Runden zu kommen. Von der neuen Regierung erhoffe ich mir den Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich halte zudem ein Tempolimit auf Autobahnen vor allem wegen des Sicherheitsaspekts für sinnvoll. Die Absicherung der Rente und die Durchsetzung von Tarifverträgen in systemrelevanten Berufsgruppen erachte ich für wichtig. Diese Berufsgruppen, wie z. B. Krankenpfleger, sollten Wertschätzung nicht nur in Form von Worten, sondern auch finanziell erfahren. Und ich erhoffe mir Maßnahmen zur Unterstützung junger Familien."