Postdemokratie in der EU: Die Wahl Ursula von der Leyens
Der aus Brüssel berichtende Journalist Eric Bonse findet in der Wahl von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin Parallelen zum Soziologie-Klassiker von Colin Crouch "Postdemokratie". Die Institutionen der EU haben funktioniert, Wähler haben gewählt, das Parlament ist zusammengekommen, doch echte Demokratie war es eben nicht, was die EU vorgeführt hat.
"Die Parteien haben ihre Kandidaten aufgestellt, die Wähler haben gewählt, sogar die Europaabgeordneten hatten ein Wörtchen mitzureden. Doch die tatsächliche Wirkung hat all das nicht gezeigt. Denn es gab keine Wahl im Sinne von Auswahl. Echte Alternativen zum Status quo waren nicht erwünscht, von der Leyen war schon im vergangenen Herbst ‘gesetzt’. Und so hat sie sich nun auch durchgesetzt", schreibt er auf seinem Blog Lost in Europe.
Kein Bürger konnte von der Leyen wählen, denn sie hat bei der Wahl zum EU-Parlament gar nicht kandidiert. Politiker hätten sich auf von der Leyen "geeinigt", schreibt Bonse. Problematisch ist dabei, dass diejenigen, die sich geeinigt haben, faktisch nicht mehr über die Mehrheit verfügen. Sie wurden bei den Wahlen abgestraft. Die Grünen sprangen ein, um das System, das im Wanken ist, aufrechtzuerhalten – obwohl auch die Grünen massiv an Stimmen eingebüßt haben.
Das stört dort jedoch niemanden, macht ein Statement von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Wahl von der Leyens deutlich: "Ich gratuliere Ursula von der Leyen zu ihrer zweiten Amtszeit als Kommissionspräsidentin und freue mich auf die Fortsetzung unserer guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit! Ihre Wiederwahl sendet ein starkes Zeichen der Stabilität, Geschlossenheit und demokratischen Bündnisfähigkeit. Das ist wichtig, denn die Europäische Union muss in einer Zeit der Krisen als geopolitischer Akteur auf der Weltbühne auftreten und handeln. Hier liegt die große Aufgabe."
Auch Katrin Göring-Eckardt und Außenministerin Annalena Baerbock waren voller Überschwang und sandten Grüße. Und das, obwohl von der Leyen Umweltpolitik zur reinen Verhandlungssache gemacht hat. Vom New Green Deal ist eigentlich kaum etwas übrig. Atomkraft gilt in der EU im Gegensatz zu den deutschen Grünen als umweltfreundlich, das Verbrenner-Aus wackelt. Um aber Anteil an der Macht zu haben, übersehen die Grünen die grundlegenden Diskrepanzen ganz höflich. Auch sie meinen es mit ihren Bekenntnissen zur Umweltpolitik nicht wirklich ernst, und dass sie diese bereitwillig anderen Belangen unterordnen, macht das deutlich.
Bonse beschreibt die EU als Wagenburg, die sich von Feinden umringt sieht. Putin, Xi, Cyber-Attacken, und sie hat keine echten Antworten auf die tatsächlichen Probleme.
"Die Postdemokratie produziert vielmehr einen 'liberalen' Populismus, der der 'Mitte' nach dem Mund redet – und eine Präsidentin, die alle möglichen (und unmöglichen) Versprechen erfüllen muss."
Mit dieser Erkenntnis nimmt Bonse vermutlich das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl vorweg.
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