Pawel Durow und Telegram: Der Westen lässt die Masken fallen
Von Gert Ewen Ungar
Wir schreiben das Jahr 2018. Russland und Telegram liegen im Streit. Russland fordert vom Messengerdienst die Herausgabe der Schlüssel-Codes, denn die Sicherheitsbehörden möchten gerne mitlesen. Nicht generell, aber ab und zu schon, versichern sie. In Syrien zum Beispiel, denn der IS kommuniziert dort über Pawel Durows Messengerdienst Telegram.
Telegram weigert sich, Pawel Durow selbst steht nicht zur Verfügung. Er hat Russland bereits im Jahr 2014 verlassen. Die russische Sicherheitsbehörde FSB forderte auch 2014 die Herausgabe von Daten. Damals war der Anlass nicht der IS, es ging um die Organisatoren des Euromaidans in Kiew. Durow antwortete mit einem klaren "Nein". Durows Wohnung und die Büroräume von Durows sozialem Netzwerk vk.com wurden durchsucht. Durow verließ das Land und erklärte, Russland nie wieder betreten zu wollen. Es sei ihm zu repressiv, sagte er sinngemäß.
Im Jahr 2018 gingen die Sicherheitsbehörden dann einen Schritt weiter. Nachdem sie keine Backdoor zu Telegram erhalten haben, blockierte die russische Regulierungsbehörde Rospotrebnadsor den Messengerdienst in Russland. Sie versuchte es zumindest.
Ich war damals in Moskau und wurde Zeuge des Scheiterns. Mal funktionierte WhatsApp nicht, mal setzte der Facebook-Messenger aus, mal versagten andere Messengerdienste. Telegram funktionierte dagegen immer. Eine bessere Werbekampagne konnte man sich nicht ausdenken. Ein Staat, der für die herausragenden Fähigkeiten seiner Geheimdienste bekannt ist, scheitert an einem kostenlosen Messengerdienst.
Aus dem Jahr 2024 rückblickend löste sich der Streit zwischen Durow und dem russischen Staat übrigens in Wohlgefallen auf. Der IS in Syrien wurde besiegt, ob mit oder ohne Hilfe von Telegram ist nicht klar. Klar ist dagegen, der IS fühlt sich jetzt in Deutschland zu Hause. Russland hat sich mit Telegram ausgesöhnt, russische Behörden bis hin zu Ministerien, das Parlament, die russische Regierung, russische Medien, Politiker, Journalisten, Stars und Sternchen – in Russland nutzen alle Telegram. Er wurde zum meistgenutzten Messenger.
Auch außerhalb Russlands fand Telegram immer mehr Zuspruch. Telegram gilt als zuverlässig, sicher und vor allem als freier als Facebook und Co. Das wurde während der Corona-Zeit deutlich. Während Facebook und Twitter das Regierungsnarrativ zu Corona verbreiteten, griff Telegram in die Diskussion nicht ein. Die deutschen Medien überzogen den Dienst daraufhin mit einer Schmutzkampagne. Die Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner und die neue Rechte würde sich auf Telegram versammeln. Aus Gründen der Meinungshygiene sollte man daher von Telegram die Finger lassen, ist nach wie vor die Empfehlung des deutschen Mainstreams. Rückwirkend müsste man allerdings mal nachzählen, wo mehr krude Theorien zu Corona verbreitet wurden. Ich persönlich tippe auf den Mainstream. Seine "Pandemie der Ungeimpften" ist als Verschwörungserzählung schwer zu toppen.
Während sie ihren Lesern und Zuschauern von Telegram abraten, nutzen die großen deutschen Medien Telegram selbstverständlich als Quelle. Sie ordnen das, was dort gesagt wird, ins deutsche Narrativ ein. Als Internetnutzer sollte man diese mediale Gängelung umgehen und sich aus erster Hand informieren. Das ist bei Telegram ganz einfach möglich.
In Deutschland und der EU wird behauptet, Telegram sei unreguliert. Das ist eine klare Desinformation. Telegram reguliert und blockiert im Auftrag der Regierungen. Als RT in der EU zensiert wurde, zensierte Telegram fleißig mit. Telegram zensiert für den Geschmack der EU und einiger EU-Länder nur nicht umfassend genug, ist der Vorwurf. Genau hier wird es problematisch. An genau diesem Punkt unterscheidet sich auch das Vorgehen der Behörden in Russland im Jahr 2018 von dem Frankreichs im Jahr 2024.
Die EU beansprucht die totale Kontrolle über den Informationsraum und schränkt die Meinungsfreiheit massiv, vor allem aber generell ein. Russland geht fallbezogen vor. Es gab für die Eingriffsversuche gegenüber Telegram und vk.com konkrete Anlässe. Der Vorwurf Frankreichs an Durow ist dagegen nicht konkret, sondern ganz allgemein. Der Vorwurf ist, dass er "unzureichend" kooperiert und damit Verbrechen unterstützt. Was Frankreich mit der Rückendeckung der EU vollzieht, ist reine Willkür.
Und noch etwas unterscheidet sich. Damals, im Jahr 2018, tobte die EU, tobten die westlichen Medien, die NGOs hatten Schaum vor dem Mund. Russland würde die Meinungsfreiheit immer weiter einschränken, würde ein System der totalen Kontrolle errichten und jede Freiheit abschaffen – Russland sei eine Diktatur! Was damals im Hinblick auf Russland falsch war, wird heute mit jedem Tag für die EU ein bisschen richtiger. Dafür bleiben die NGOs heute insgesamt erstaunlich ruhig.
Die Verhältnisse haben sich längst umgekehrt. Russland ist nicht die Sowjetunion, ist längst kein autoritärer Staat mehr. Die EU und ihre Nationalstaaten werden jedoch mit jedem Tag deutlicher erkennbar zu Autokratien, in denen alles unterdrückt wird, was nicht mit dem offiziellen Narrativ in Übereinstimmung ist. Der Informationsraum soll hermetisch gegen Informationen abgeschirmt werden, die das Narrativ infrage stellen.
Durow hatte immer die Furcht, er würde im tobenden Informationskrieg zum Opfer des russischen Staats. Er hat sich gründlich über die realen Zustände in der Welt getäuscht. Die Feinde der Freiheit finden sich nicht im Osten. Obwohl Russland und Durow mehrfach in offenem Streit lagen, setzt sich das Land nun für seine Freilassung ein. Inhaftiert wurde er in Russland übrigens nie. Für diese Erfahrung musste er in den freien Westen reisen.
Diejenigen aber, die vorgeben, im Namen der liberalen Demokratien zu sprechen, wünschen ihm zum Teil ganz offen eine möglichst lange Haftstrafe. Auch daran werden die tatsächlichen Verhältnisse klar erkennbar.
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