Deutschland im Nichtstun-Modus: Vieles wird "auf den Weg gebracht" - und dort bleibt es
Von Tom J. Wellbrock
Wussten Sie es schon? Nach den Morden von Solingen sollen ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden, damit so etwas nicht wieder passiert. Es werden wohl andere sein als damals, im Dezember 2021, als auf dem Breitscheidplatz das fünfjährige Jubiläum der Sattelschlepper-Fahrt von 2016 "gefeiert" wurde und Kanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, der Staat müsse wehrhaft sein und seine Bürgerinnen und Bürger schützen. Zwölf Getötete und mehr als sechzig Verletzte erfuhren diesen Schutz nicht, als sie 2016 den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz besuchten. Fünf Jahre später: Ankündigungen von Scholz.
2024: Jetzt, da man noch mal drüber nachdenkt, unterscheiden sich die angekündigten Maßnahmen von damals von den heutigen wohl doch nicht. Weil es sie nicht gab und gibt.
Und so geht es weiter. Wie wäre es mit den RKI-Files, Cum-Ex, Maskendeals, der Visa-Affäre, der oben erwähnten Wohnungsnot, den hohen Preisen oder den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines? Alles Themen, die hin und wieder in den Medien kurz aufploppen, eifrig diskutiert werden, bei denen Besserung gelobt wird, um dann wieder – um es zynisch zu formulieren – in die Totenstille zu verfallen.
Schwer aktiv ist man dagegen bei Demos gegen Rechts und beim Hochhalten der Regenbogenfahne. Vielfalt und so, Sie wissen schon. Schutz der Demokratie, ist klar. Das ist so herrlich praktisch, denn bei diesen Themen kann man das machen, was man am besten kann: nichts. Außerdem kostet es nichts.
Beeindruckend ist es schon. Da werden zigtausende Leute mobilisiert, um gegen die AfD zu demonstrieren, von denen vermutlich eine beträchtliche Zahl nicht weiß, wie sie ab dem 20. des Monats ihren Kühlschrank füllen soll, weil das Geld zu knapp ist. Und dieselben Leute stehen für Selfies neben Ricarda Lang oder Kathrin Göring-Eckardt, um sich stolz als Hüter von Vielfalt und Demokratie selbst zu feiern.
Es war Lars Klingbeil von der SPD, der einmal bei einem Thema (welches, ist im Grunde egal) sagte, das sei echt wichtig, da müsse was getan werden, aber es sei alles in Ordnung, denn man "habe da schon etwas auf den Weg gebracht". Was genau, erfährt man nicht, und die Journalistin, die Klingbeil zu diesem Thema befragt hat, hakte auch nicht nach. Wozu auch? Schließlich ist etwas auf dem Weg, da kann man entspannt durchatmen, die Politik ist dran an der Sache.
Es gibt Länder – und ich nenne sie bewusst hier nicht beim Namen, um die folgende Aussage nicht gleich wieder moralisch aufgeladen zerreißen zu lassen – in denen ist die an sich selbst formulierte Hauptaufgabe der Politik ein einfaches Ziel: Es soll den Menschen im Land im nächsten Jahr besser gehen als im laufenden. Wie viel besser und in welchen Lebensbereichen, das wird nach Notwendigkeit entschieden, aber dass Verbesserungen angestrebt werden, ist in diesen Ländern eine Selbstverständlichkeit.
In Deutschland wird dieses Ziel "auf den Weg gebracht" genannt. Und auf diesem Weg bleibt es auch, unbemerkt von den Menschen und in einer erschreckenden Kontinuität des Nichtstuns.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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