Südamerika und Russland werden Chinas Retter sein
Von Dmitri Skworzow
Laut dem bolivianischen Präsidenten Luis Arce erwägt China eine Beteiligung am Bau einer Eisenbahnlinie zwischen dem Pazifischen und dem Atlantischen Ozean in Südamerika. "Er bekundete auch sein Interesse an der Initiative zur Einrichtung eines interozeanischen Zuges, der den Pazifik und den Atlantik – beginnend am peruanischen Megahafen Chancay über das Territorium von BRICS-Partnerländern wie Bolivien und Brasilien – verbinden würde", schrieb Arce in seinem Telegram-Kanal über die Ergebnisse seines Treffens mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping.
Laut dem bolivianischen Präsidenten wurde dieser Megahafen Chancay einige Tage zuvor in Peru zusammen mit Xi Jinping eingeweiht. Dieser Hafen liegt in der Mitte der Pazifikküste Südamerikas. Er soll zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt zwischen den Ländern des Kontinents und Asien – in erster Linie aber mit China – werden. Der Hafenbau erfolgte mit chinesischen Investitionen im Rahmen der "Neuen Seidenstraßen-Initiative" ["Belt and Road"].
Dadurch verkürzen sich die Lieferzeiten für Waren aus lateinamerikanischen Ländern nach China um 15 bis 25 Tage. Derzeit erfolgt beispielsweise der Transport brasilianischer Waren nach China über Häfen an der Atlantikküste und dann durch den Panamakanal. Mit der Inbetriebnahme des neuen Hafens in Peru können sie mit der Eisenbahn an die Pazifikküste und von dort aus über Chancay direkt nach China geliefert werden.
Beweggründe für die "Neue Seidenstraßen-Initiative"
Nach wie vor ist China ein Befürworter der wirtschaftlichen Globalisierung, wie es Xi Jinping regelmäßig betont. Das ist nicht verwunderlich, denn China war in den letzten Jahren der Hauptprofiteur dieses Systems, insbesondere bei der internationalen Arbeitsteilung und im Welthandel. In der Finanzsphäre profitierten dagegen vor allem die USA, die Peking ihre eigenen Spielregeln aufzwingen wollten.
Deshalb baut China im Rahmen seiner langfristigen Strategie (verkörpert durch die "Neue Seidenstraßen-Initiative") eine Verkehrsinfrastruktur auf, um die Lieferung chinesischer Waren an die Hauptmärkte sowie die Rohstoffbeschaffung aus externen Quellen zu erleichtern.
Als die "Neue Seidenstraßen-Initiative" im Jahr 2013 ins Leben gerufen wurde, waren die USA und Europa die wichtigsten Märkte für China. Daher investierten chinesische Unternehmen viele Milliarden US-Dollar in die Hafeninfrastruktur in Europa und Transitländern (zum Beispiel in den Hafen Gwadar in Pakistan). Hinsichtlich des Handels mit den USA war die Seehandelslogistik dort bereits gut ausgerichtet, aber es bestand das politische Risiko einer Einschränkung des Zugangs zum US-Markt für chinesische Unternehmen. Das erste Warnsignal war im Jahr 2012 zu vernehmen, als die USA Sanktionen gegen die chinesischen Unternehmen Huawei und ZTE verhängten.
Als Donald Trump 2016 in den USA an die Macht kam, brach der erste große Handelskrieg zwischen den USA und China aus. Auch Bidens Präsidentschaft zeichnete sich durch die Verhängung von Sanktionen gegen Chinas Mikroelektronikindustrie und die Mobilisierung Europas für eine wirtschaftliche Konfrontation mit Peking aus.
Warum China Lateinamerika braucht
Die von Donald Trump beabsichtigte Zollerhöhung auf chinesische Waren auf 60 Prozent bedeutet einen vielfachen Rückgang des Handels zwischen China und den USA. Dies wird ein schwerer Schlag für die chinesische Wirtschaft sein. Um die künftigen Verluste zu kompensieren, sucht China daher bereits nach anderen Absatzmärkten. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet Peking Südamerika als eine sehr vielversprechende Region.
Sowohl die chinesischen Investitionen in Lateinamerika als auch der bilaterale Handel nehmen zu. Parallel zum Wachstum der chinesischen Exporte steigen auch die Importe, sowohl von Mineralien (insbesondere Kupfer und Lithium) als auch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (bei denen die Lieferzeit eine wichtige Komponente ist). Der Anteil Chinas an den brasilianischen Exporten beträgt bereits 31 Prozent (der Anteil der USA liegt bei nur elf Prozent). Ähnlich sieht es bei den peruanischen Exporten aus (China: 36 Prozent, USA: 14 Prozent). Was die bolivianischen Exporte betrifft, so steht China an dritter Stelle (elf Prozent) nach Brasilien (14 Prozent) und Indien (zwölf Prozent). Im Vergleich dazu beträgt der Anteil der USA nur 2,3 Prozent. Dagegen liegt der Anteil der USA an den Ausfuhren Mexikos bei 84 Prozent.
Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Position der USA und der von Washington geäußerten Absicht zur "Eindämmung" Chinas zieht Peking zwangsläufig die Option einer Aufteilung des Weltmarktes in Makroregionen in Betracht.
Im Rahmen eines solchen Szenarios ist China bestrebt, die Voraussetzungen für die Einbeziehung einer möglichst großen Zahl von für China äußerst relevanten Ländern in seine Einflusszone zu schaffen. Es versucht zudem, Beziehungen zu den Zentren anderer sich entwickelnder Makroregionen aufzubauen, die sich China nicht widersetzen (wie Russland, Brasilien, Südafrika).
Aus diesem Grund hat China ein großes Interesse am Ausbau von Häfen und Eisenbahnen in Lateinamerika. Diese Infrastruktur soll es China ermöglichen, seine Waren auch in solch entlegene Regionen schnell und auch in großen Mengen zu liefern. Entscheidend ist jedoch, dass China seine wichtigen Rohstoffe von hier importieren kann. Dazu gehört Lithium, das für die Herstellung von Elektrobatterien benötigt wird.
Wie die USA Chinas Seewege blockieren wollen
Das Worst-Case-Szenario für China wäre eine Verschärfung der Konfrontation mit den USA. Und die USA könnten ein solches Szenario durchaus provozieren. In diesem Fall werden die USA versuchen, ihren "Cordon sanitaire" aus Satellitenstaaten (Südkorea, Japan, Taiwan und die Philippinen) um die chinesische Küste herum zu errichten. Im Extremfall könnte dies sogar zur Beeinträchtigung des chinesischen Seeverkehrs führen. Dass dieses Szenario nicht ausgeschlossen ist, verdeutlichen die jüngsten Diskussionen in Europa über ein Verbot für russische Tanker, die Ostsee zu verlassen und den Ärmelkanal zu passieren.
Zur Abwehr dieser Bedrohung wurde in den vergangenen Jahren die chinesische Marine in einem Rekordtempo ausgebaut. Erstmals wurde mit Admiral Dong Jun ein Marinevertreter zum Verteidigungsminister Chinas ernannt und nicht etwa ein Vertreter der Land- oder Raketenstreitkräfte.
Allerdings ist Chinas Marine noch weit von einer globalen Dominanz entfernt, weshalb Peking auch Strategien für den Fall einer extremen geopolitischen Verschärfung erwägt. Sollten die USA und Großbritannien den Seeverkehr Chinas nach Osten und Süden blockieren, muss China auf Alternativrouten zurückgreifen können. Denn nicht alle Zugänge zu den Weltmeeren lassen sich blockieren.
Der Zugang zum Indischen Ozean für chinesische Fracht ist über Birma möglich. Doch der kollektive Westen unternimmt regelmäßig Versuche, diesen Weg zu versperren, indem er regierungsfeindliche Rebellen in diesem Land unterstützt. Im Jahr 2022 initiierte die CIA darüber hinaus einen Staatsstreich in Sri Lanka zum Sturz des Präsidenten, der zwar eine englandfreundliche Politik verfolgte, aber gegen den Bau eines US-Marinestützpunktes in diesem Land war.
Eine weitere Route zum Indischen Ozean führt über Pakistan und den pakistanischen Hafen Gwadar, der seit 2013 von der chinesischen China Overseas Port Holding Company (COPHC) gebaut und entwickelt wird. Bei aller Einflussnahme Pekings auf Karatschi gelingt es dem Westen, in regelmäßigen Abständen Instabilität in Pakistan zu provozieren (so kam es im April 2022 zur Absetzung des pakistanischen Präsidenten Imran Khan, der eine Politik der verstärkten Zusammenarbeit mit China und Russland verfolgte).
Russland als Hauptalternative
Unter diesen Umständen ist China sehr an der Entwicklung alternativer Routen interessiert. Eine Seeroute könnte von den nordkoreanischen Häfen im Japanischen Meer ausgehen und dann entlang der russischen Küste zur Beringstraße und weiter über die Nördliche Seeroute nach Murmansk führen.
Die für China sicherste Route im Falle eines Ausbruchs des Kalten Krieges 2.0 würde über das Festland von Osten nach Westen durch Russland und Kasachstan führen.
Der Eisenbahngüterverkehr durch Russland nahm im Jahr 2023 um 36 Prozent auf 161 Millionen Tonnen zu. Im Jahr 2024 soll das Frachtaufkommen auf 180 Millionen Tonnen steigen. Bis 2032 wird Russland die Verkehrsleistung der Baikal-Amur-Magistrale auf bis zu 270 Millionen Tonnen erhöhen. Auch der Straßenfrachtverkehr durch Russland nimmt zu.
Darüber hinaus steigt der Frachtverkehr über die transkaspische Transportroute über Kasachstan (sowohl nach Russland als auch über das Kaspische Meer und Aserbaidschan und Georgien in die Türkei) oder über das Schwarze Meer nach Bulgarien sowie über den Bosporus zum Mittelmeer. Dabei kreuzen sich im kaspischen Raum die Breitengradrouten mit dem Nord-Süd-Transportkorridor.
In Zukunft wird das eurasische Verkehrsnetz eine weitere meridionale Route von Russland durch zentralasiatische Länder (Kasachstan und Usbekistan) nach Afghanistan und Pakistan umfassen. Geplant ist ferner eine durchgehende Eisenbahnverbindung von China über Tadschikistan und Nordafghanistan in den Osten Irans. Auch in Russland wurde bereits die Projektierung einer weiteren, nördlich der Baikal-Amur-Magistrale verlaufenden Eisenbahnlinie sowie mehrerer Meridional-Eisenbahnstrecken in Sibirien eingeleitet.
All dies sollte die bestehenden Breitengrad-Transitkorridore in ein Verkehrsnetz verwandeln, das nicht nur die innereurasische Verkehrsanbindung gewährleistet, sondern auch ein Grundgerüst für die Entwicklung der verschiedenen Regionen Eurasiens schafft.
Dies wird die Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum in den eurasischen Ländern und die Steigerung der russischen Exporte schaffen, sowohl im Technologiesektor – durch den Bau von Kraftwerken und Stromübertragungsleitungen (sowie die Beteiligung russischer Unternehmen am Eisenbahnbau) – als auch im Rohstoffsektor – durch die Versorgung von Entwicklungsregionen mit russischen Energieressourcen, die zuvor nach Europa geliefert wurden.
Ebenso wie der Hafen- und Eisenbahnbau in Südamerika wird die Entwicklung dieser Regionen ihrerseits Absatzmärkte für chinesische Waren – von Konsumgütern und Mobiltelefonen bis hin zu Baumaschinen und Elektrofahrzeugen – schaffen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. November 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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