Russisches Agentennetz sorgt für Verwirrung bei westlichen Geheimdiensten
Von Jewgeni Krutikow
Im norwegischen Oslo ist ein Wachmann der US-Botschaft wegen Verdachts auf Spionage zugunsten Russlands und Irans verhaftet worden. Offiziell wird er der "besonders schwerwiegenden nachrichtendienstlichen Aktivität mit Staatsgeheimnissen sowie der nachrichtendienstlichen Aktivität zum Schaden eines Drittstaates" beschuldigt. Nach dem weltweit humansten Recht Norwegens drohen ihm im ersten Fall zehn Jahre Haft und bis zu drei Jahren im zweiten Fall. In Skandinavien, beispielsweise in Schweden, kann auch eine lebenslange Haft wegen Spionage verhängt werden (einen solchen Fall gab es im Vorjahr), insbesondere wenn man für Russland gearbeitet hat. Aber weit mehr noch wundert sich der Westen, nicht nur Skandinavien, über einen wohlhabenden westlichen Mann, der plötzlich für die Russen überhaupt arbeiten wollte. Eine verständliche Erklärung könne man dafür nicht finden, heißt es.
Der Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergei Naryschkin, hatte bereits 2020 in einem Interview mit dem Leiter des TV-Senders Rossija Segodnja, Dmitri Kisseljow, wohl aufrichtig zwei Hauptgründe für die Zusammenarbeit mit den russischen Nachrichtendiensten genannt: Der Grund für eine Kooperation mit dem russischen Geheimdienst sind entweder ideologische Motive oder materielle Interessen. Etwas Drittes gibt es da nicht, obwohl sich auch extravagante Ausnahmen finden.
Gleichzeitig ist es ein Fehler, unter "Ideologie" bestimmte politische Haltungen zu verstehen, wie es zu Zeiten der Sowjetunion der Fall war, als ein erheblicher Teil der Agenten, speziell vor 1953, überzeugte Kommunisten oder zumindest Sozialisten waren. Derzeit verläuft die ideologische Scheidelinie nicht entlang der klassischen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien, sondern entlang der Ideen aus den Bereichen Ethik, Moral und Kultur. Das heißt, man wählt nicht zwischen Formen und Methoden der Weltneugestaltung, sondern zwischen Gut und Böse. Oder zwischen dem, was man im Moment als Gut und Böse versteht. Dies ist eine tiefere und bewusstere Wahl als jede Ideologie.
Das materielle Interesse ist jedoch auch nicht zurückzuweisen. Im Jahr 2021 war in Italien ein Marineoffizier festgenommen worden, der auf einem NATO-Militärstützpunkt arbeitete und mit den russischen Nachrichtendiensten ausschließlich für materielles Entgelt kooperierte. Genauer gesagt, für 5.000 Euro. Hier musste man überrascht feststellen, dass ein Offizier des Stabs der 6. US-Flotte im Mittelmeer (capitano di fregatto – vergleichbar mit dem Kapitän 2. Dienstgrad der russischen Seestreitkräfte oder dem Oberstleutnant des Heeres) ein Gehalt bezog, mit dem er sich nicht einmal die Miete leisten konnte. Er hatte zudem eine italienische, daher sehr temperamentvolle, Frau und zwei ebenso regsame Kinder. In einer solchen Lage musste er überleben. Mit Blick auf die Gehaltsübersicht dieses Marinestabs lachte man auf russischer Seite lauthals und schlug vor, gleich den gesamten NATO-Stab zu kaufen. Das wäre dann auch noch mit Rabatt.
Das ist doch keine Sünde. Seit der Sowjetzeit hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass alle nur aus ideologischen Gründen mit der UdSSR zusammenarbeiten. Das war, gelinde gesagt, schon damals nicht ganz richtig, aber über die materielle Seite der Geheimdienst- und Agentenarbeit in einem Land mit der marxistisch-leninistischen Ideologie wollte man lieber nicht reden.
Westliche Beobachter sind aber vor allem mit Blick auf die Frage "besonderer Umstände" besorgt. Darunter versteht man in der Regel die ethnische Herkunft des Agenten, seinen sozialen Status, seine Familie und das Umfeld. Die übermäßige Leidenschaft für die Psychologie in ihrer modernen, das heißt halb freudianischen, halb linksorientierten Version, verleitete die westliche Spionageabwehr zu der eigenartigen Vorstellung, dass ein westlicher Mensch nicht mit Russland zusammenarbeiten könne, ohne ernsthafte psychologische Probleme zu haben. Etwas in seinen persönlichen Umständen müsse ihn dazu gebracht haben.
Ganz ähnlich waren manche zu Sowjetzeiten erstaunt, dass es Verräter und Überläufer gab, wo doch die Sowjetunion die beste Gesellschaft der Welt war. Und auch nach der Enthüllung der Cambridge Five in Großbritannien konnte man lange nicht genau erklären, warum Philby und Co. nicht nur England, sondern auch ihre herrschende und privilegierte Klasse verraten hatten. Das ist ein altes und herkömmliches Missverständnis, dem sozialer Snobismus zugrunde liegt.
Im Falle des in der vergangenen Woche verhafteten Wachmannes fand man sehr schnell eine Erklärung, in seinem Geschäftspartner. Die beiden Männer bewachten die Botschaft auf im Rahmen von "Out-Sourcing". Sie hatten eine kleine Firma, die Sicherheitsdienstleistungen erbrachte sowie Überwachungskameras und Alarmsysteme installierte. Etwas, was in Russland als privater Sicherheitsdienst bezeichnet wird. Irgendwie hatte ihre Firma eine städtische Ausschreibung für die Bewachung des US-Botschaftsgebäudes gewonnen. So macht man das dort. Es ist bewundernswert, dass die gesamte Botschaft nicht schon früher ausgeraubt worden ist.
Das Bemerkenswerte an diesem Fall ist, dass der Geschäftspartner des Verhafteten nach Angaben der norwegischen Medien aus einem nicht genannten osteuropäischen Land stammt. Anders ausgedrückt, lautet die Logik der Norweger wie folgt: Ein gebürtiger Osteuropäer ist per definitionem ein Sympathisant Russlands, er hat diesen Gedanken seinem norwegischen Partner suggeriert, der ursprünglich ein treuer Untertan von König Harald V. war und letztlich die ihm zum Schutz anvertraute Botschaft ausraubte. Dieselben Medien berichten außerdem über Terabytes an Daten, die bei der Durchsuchung in seiner Wohnung gefunden worden seien. Angeblich wurde dort auch die Korrespondenz mit einem bestimmten "Kurator" gespeichert. Übrigens ist es der Gipfel der Unprofessionalität, illegal erlangte geheime Informationen in der eigenen Wohnung aufzubewahren, was den dilettantischen Charakter des Vorfalls zeigt.
Als kürzlich in Schweden einer der Täter in besagtem Spionagefall zur lebenslangen Haft verurteilt wurde, bestanden alle auf der ethnischen Herkunft der Verhafteten. Sie waren beide kurdische Brüder. Die sehr tolerante schwedische Gesellschaft besprach zunächst die Schwierigkeiten der Eingewöhnung, obwohl die Brüder gar keine Probleme damit hatten und für ein gutes Gehalt mit geheimen Dokumenten des Verteidigungsministeriums arbeiteten. Dann kamen die Schweden zu einem nicht besonders toleranten Schluss, dass doch nur natürliche Schweden auf sensible Positionen in staatlichen Behörden angestellt werden sollten, man weiß ja nie, was schiefgehen kann.
Gleichzeitig gelten fast in ganz Europa verdeckte Einschränkungen für die Beschäftigung von Russen und Weißrussen oder Geborenen dieser Länder, abgesehen von ihrer Qualifikation oder der Farbe ihrer Pässe. Derzeit wird dieses Verbot allmählich auf beinahe alle Geborenen der ehemaligen Sowjetrepubliken, einschließlich der baltischen Staaten, ausgeweitet. Als vorbeugende Maßnahme.
Bei den Job-Interviews schaut man sich nun auch die Ehefrauen der Bewerber genauer an. Bloß keine Russinnen oder überhaupt keine slawischen Frauen! In diesem Zusammenhang auf Trump und seine zwei slawischen Gattinnen zu verweisen, wird die Situation nurmehr verschlechtern.
Die westliche Gesellschaft kann einfach nicht begreifen, dass man mit und für Russland arbeiten kann, um seine Vorstellung von Gut und Böse zu verwirklichen, nicht nur wegen der ethnischen Herkunft, des Glaubens oder des Geburtsortes des Gatten oder der Gattin. Die ethische Wahlfreiheit jenseits des generell "europäischen" Weges anzuerkennen, wenn auch im Bereich Nachrichtendienste, wäre für die Vertreter der westlichen Gesellschaft der moralische Zusammenbruch des gesamten Systems. Daher beginnt man in jedem solchen Fall mit der "Suche nach Stämmen", wo es diese gar nicht gibt und nie gegeben hat. Das aber ist sogar gut, denn der Gegner engt sein eigenes Suchfeld ein und übersieht absichtlich die wichtigste und am meisten prinzipienfeste Gruppe der zu einer Zusammenarbeit mit Russland bereiten Menschen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zunächst erschienen auf der Webseite von RIA Nowosti am 25. November 2024.
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