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Die syrische Tragödie und Baschar al-Assad

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Die Schwachen kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre.
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang.
Diese sind unentbehrlich.

Bert Brecht

Von Dagmar Henn

Die Einnahme Syriens durch westlich finanzierte Islamisten wird in naher Zukunft nicht nur für die syrische Bevölkerung, sondern für die ganze Region schlimme Folgen haben. Nicht nur die israelischen Panzer, die mittlerweile nur noch 20 Kilometer von Damaskus entfernt sind, belegen das. Viele Analytiker stimmen darin überein, dass die Achse des Widerstands entscheidend geschwächt ist. Das betrifft nicht nur die Logistik der libanesischen Hisbollah, die bisher über die Landverbindung durch Syrien verlief.

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu kann einen großen Sieg präsentieren, der dafür sorgen wird, dass der genozidale Rausch, in den er auch große Teile seiner Bevölkerung versetzt hat, weiter anhält. Statt koordinierter Handlungen, die zumindest imstande waren, dem tollwütigen Kettenhund der Vereinigten Staaten im Nahen Osten die eine oder andere Niederlage zuzufügen, dürften eine Zeit lang nur noch deutlich schwächere, isolierte Widerstandshandlungen zu erwarten sein. Diese Entwicklung könnte sogar dazu führen, dass der Sektenkrieg, den die USA so sorgfältig zwischen Sunni und Shia entfacht hatten und der endlich überwunden schien, abermals entfacht wird.

Es gibt eine ganze Reihe von Details, die mittlerweile aus verschiedenen Quellen vorgetragen wurden. Die besagen, dass Assad nach dem Ende der aktiven Kampfhandlungen diverse Angebote zurückgewiesen hat; das russische, die Armee zu modernisieren, das chinesische, den Wiederaufbau zu finanzieren, und zuletzt auch noch Warnhinweise von iranischer wie von russischer Seite, dass sich in Idlib etwas Größeres zusammenbraue. Dass es ihm nie gelungen sei, die Korruption in der syrischen Gesellschaft einzudämmen, die – auch als Folge der immer weiteren Verarmung, zu der die Sanktionen sicher massiv beigetragen haben – zuletzt ungeheure Ausmaße annahm.

Sieben Dollar im Monat soll der Sold eines Soldaten der syrischen Armee betragen haben, und das Angebot der "Rebellen" lautete auf 400 Dollar für das Niederlegen der Waffen. Es ist ein Mechanismus, den man in vielen Ländern des globalen Südens beobachten kann: Wenn der Lohn der Beschäftigten des staatlichen Apparats zum Überleben nicht reicht, explodiert die Korruption, nicht einmal durch Bösartigkeit, sondern aus schierer Not. Und es ist die Rede davon, dass zuletzt auch Hunger herrschte. Schließlich waren die fruchtbarsten Gebiete ebenso wie die Ölquellen trotz der erfolgreichen Abwehrkämpfe bis 2019 nach wie vor feindlich besetzt.

Die Frage ist nun: Wie viel davon kann man Baschar al-Assad zum Vorwurf machen? Ja, wenn all diese Informationen stimmen, hat er etwa mit der Ablehnung chinesischer Unterstützung selbst verhindert, dass sich das Land nach 2019 etwas erholen konnte. Auch seine kontinuierliche Weigerung, mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan zu verhandeln, ist seine eigene Entscheidung, und das war sicherlich ein politischer Fehler. Der dann zuletzt darin gipfelte, beim BRICS-Treffen in Kasan nicht einmal zu erscheinen.

Und dennoch, das oben zitierte Gedicht von Brecht hat seine Berechtigung. Denn nicht umsonst zieht er die Grenze zwischen den Schwachen und den Starken an genau einem Punkt: den Kampf überhaupt aufgenommen zu haben. Immerhin hat er jahrelang widerstanden, unter schwierigsten Bedingungen und gegen die bösartigsten Feinde, die im Angebot sind. Ist das nicht genug für ein menschliches Leben? Oder, andersherum, dürfte man es jemandem zum Vorwurf machen, es nicht ganz unter die Stärksten geschafft zu haben, solange man selbst nicht belegen kann, zu diesen zu gehören?

Man kann sich vorstellen, welcher psychologische Mechanismus dazu geführt haben könnte, diese wichtigen Angebote abzulehnen. Immerhin war es nicht seine freie Entscheidung, die Rolle des syrischen Präsidenten anzunehmen; sie ist bei ihm gelandet, weil sein älterer Bruder, der dafür vorgesehen war, starb, und er verließ ein völlig anderes, friedliches und unauffälliges Leben als Augenarzt in London, um sich in diese fremde Welt geopolitischer Schlachten zu begeben. Dass da womöglich eine tiefe Sehnsucht nach dieser ruhigeren Existenz blieb, und vielleicht durch die Krebserkrankungen seiner Frau in den letzten Jahren mit Wucht in den Vordergrund drängte, ist nachvollziehbar.

Wenn man in Kämpfe geworfen wird, sucht man sich immer eine Eigenschaft, einen Gedanken, an dem man sich aufrichten kann. Was, wenn das, was ihn aufrecht hielt, in den Jahren vor 2019, der Stolz war? Und eben diese Quelle seiner Kraft sich dann, als es darum ging, Wege aus der Zerstörung, aus der Umklammerung durch die Sanktionen zu finden, aus dem Erfolg ein Fundament einer besseren Zukunft zu schmieden, in eine Quelle der Schwäche verwandelte?

So ist das Leben, und genau das ist die Bedeutung der vielen Sagen, in denen jeder große Held eine verwundbare Stelle besitzt. In der wirklichen Welt ist das kein Lindenblatt und kein Abdruck von der Zange des Gottes der Schmiede, sondern eine charakterliche Eigenschaft, die ihre Wirkung verändert, weil sich die Lage rund um die handelnde Person verändert.

Was selbstverständlich auch in der anderen Richtung geschieht, wenn Menschen, die völlig unauffällig gelebt haben, plötzlich in einem einzigen Moment das Nötige, das Richtige tun. Man kann einem Menschen nicht vorwerfen, ein Mensch zu sein. So unentbehrlich jene sind, die ein Leben lang kämpfen, so selten sind sie auch. Es gibt da kein leicht verfügbares Reservoir, aus dem heraus man eine dieser Gestalten ziehen könnte, wenn sie benötigt wird.

Etwas, das im Grunde durch das Verhalten von Baschar al-Assad ebenfalls belegt wird. Denn es wirkt, als habe er die politische Rolle als Gefängnis empfunden, das er nicht verlassen konnte, eben weil er niemanden sah, der an seine Stelle hätte treten können. Diese Wahrnehmung kann getäuscht haben, aber das lässt sich vielleicht nie klären. Doch es mag jeder einen Blick in seine eigene Umgebung werfen, wie viele Menschen er kennt oder zu benennen vermag, die es im obigen Brecht-Gedicht auch nur in die vorletzte Kategorie schaffen und zu jenen gehören, die viele Jahre kämpfen.

Das wirkliche Problem liegt auf einer ganz anderen Ebene. Und an einem anderen Zeitpunkt. Denn es gibt genau einen Trick, um die unvermeidliche menschliche Schwäche zu kompensieren und die Katastrophen, zu denen sie beitragen kann, zu vermeiden. Er besteht nicht darin, mit irgendeinem Zauber Dutzende der Stärksten zu generieren, er besteht darin, die Last auf möglichst viele Schultern zu verteilen.

Es mag sein, dass auch dem Widerstände entgegengestanden hätten, insbesondere, wenn der staatliche Apparat mit Personen durchsetzt ist, deren Hauptziel die Bereicherung und nicht die Pflichterfüllung ist. Aber ohne breite Unterstützung aus der Bevölkerung, ohne deren politische Aktivierung entstehen genau solche Situationen – dass selbst Siege versanden, weil alles an der begrenzten Kraft einer einzelnen Person (oder einer sehr kleinen Gruppe) hängt, und weil mögliche Fehler, die es immer geben wird, nicht durch andere korrigiert werden können.

Die wirklichen Fragen lauten also: Wie groß war die Gruppe verlässlicher Personen rund um Baschar al-Assad, die ihn beraten und ihm gegebenenfalls auch widersprechen konnten, und hätte die Möglichkeit bestanden, die loyale Bevölkerung politisch zu aktivieren? Das ist ohne tiefere Kenntnisse der politischen Strukturen in Syrien nicht zu beantworten, und es ist klar, dass auch die Verbündeten Syriens darauf nur äußerst begrenzt Einfluss hatten. Aber es ist ebenso klar, dass die Verantwortung für die Abhängigkeit von den Stärken und Schwächen einer einzelnen Person nicht bei eben dieser Person liegt, sondern bei all jenen, die sich lieber auf diese Person verlassen als auf sich selbst.

In den Jahren des syrischen Bürgerkriegs gab es unzweifelhaft eine gewisse politische Mobilisierung der Bevölkerung, sonst wäre dieser Widerstand gar nicht möglich gewesen. Aber offenbar gab es weder in der syrischen Regierung noch in der Gesellschaft eine Kraft, die imstande und Willens gewesen wäre, darauf aufzubauen. Das, und nicht die persönliche Schwäche von Baschar al-Assad, ist der Grund, wie sich ein Sieg in eine Niederlage verwandeln konnte.

In den letzten Jahren scheint es in vielen Momenten so, als müsste man längst gelernte Lektionen abermals lernen. Das ist beim syrischen Scheitern nicht anders. Denn auch das Fazit, das sich daraus ziehen lässt, ist nicht wirklich neu: Es ist nützlich, von den noch Stärkeren und den Stärksten zu haben. Aber die wirklich große Kraft in der Geschichte entsteht nicht durch sie. Sie entsteht dann, wenn die Schwachen eine Stunde lang kämpfen und zu Stärkeren werden.

Mehr zum Thema - Bericht: Baschar al-Assad ist in Moskau eingetroffen




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