Erinnern an den Holocaust und Bekämpfung von Antisemitismus – Internationale Konferenz in Malmö
Ausgerechnet im südschwedischen Malmö findet dieser Tage eine Konferenz gegen Antisemitismus statt. Die drittgrößte Stadt des skandinavischen Landes erlangte durch den berüchtigten Stadtteil Rosengård traurige Berühmtheit über die schwedischen Grenzen hinaus. Während dieses Viertel in Schweden "empfindliche Gegend" genannt wird, würde man ihn im Nachbarland Dänemark schlicht als Ghetto bezeichnen. Die Integration scheint hier gescheitert, die Anwohner misstrauen der Staatsmacht, rivalisierende Banden liefern sich offene Gefechte, und Rosengård wurde zum Symbol des schwedischen Antisemitismus. Holocaust-Überlebende wurden hier nicht mehr in die Schulen eingeladen, da muslimische Schüler sie respektlos behandelten.
Vor fast zwei Jahren hatte die schwedische Politik entschieden, dass es an der Zeit sei, das Thema Antisemitismus erneut auf einer internationalen Konferenz zu diskutieren. Die letzte überstaatliche Tagung dieser Art auf schwedischem Boden fand vor 21 Jahren statt.
Die Wahl fiel dabei ausgerechnet auf Malmö.
Zudem entschied man, dass das Land ein Museum brauche, in dem an den Holocaust erinnert werden soll, und an die Rolle, die das Land einst dabei gespielt hatte. Das Museum wird in Stockholm errichtet, denn man will erreichen, dass möglichst viele Schulklassen den Weg dorthin finden. Die Eröffnung ist für Juli 2022 geplant.
Hoffnung auf konkrete Lösungen gegen den wachsenden Antisemitismus
Die Teilnehmer der Holocaust-Konferenz in Malmö stammen aus über 40 Ländern, darunter Staats- und Regierungschefs, Holocaust-Überlebende sowie Vertreter von Organisationen und Konzernen der Sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Tiktok.
Um den Teilnehmern den notwendigen Schutz zu gewähren, wurden Teile der Stadt und sogar ein Teil des Luftraums gesperrt. Auf einigen Gebäuden sind Scharfschützen positioniert.
Die Pressesprecherin der Polizeibehörde, Ewa-Gun Westford kann sich an keine Veranstaltung erinnern, bei der es ein höheres Polizeiaufgebot gegeben hätte.
Auch der schwedische Premier Stefan Löfven nimmt an der Konferenz teil. Er erwartet, dass die Teilnehmer nicht nur Reden halten, sondern konkrete Lösungsvorschläge unterbreiten, wie dem Antisemitismus begegnet werden kann.
Insgesamt vier Themen umfasst die Konferenz:
Erinnerung an den Holocaust, Aufklärung über den Holocaust, Antisemitismus in sozialen Medien, und der Kampf gegen Antisemitismus sowie andere Formen des Rassismus.
Verjährung der Verbrechen schwedischer Holocaust-Täter?
Die ersten Menschen jüdischen Glaubens, die sich im 17. Jahrhundert in Schweden niederließen, wurden gezwungen, Christen zu werden – genauer gesagt, Lutheraner. Erst 1774 legte ein aus Deutschland stammender jüdischer Mann den Grundstein für die erste jüdische Gemeinde. Zwischen 18.000 und 20.000 Menschen jüdischen Glaubens leben gegenwärtig in Schweden.
Die schwedische Gesellschaft rühmt sich bis heute, während des Zweiten Weltkriegs ein "neutrales Land" gewesen zu sein. Kritiker dieser Theorie betonen jedoch, dass Schweden nicht nur aus dem Helden Raoul Wallenberg bestand. Wallenberg war ein schwedischer Diplomat, der vielen Juden von Budapest aus die Flucht nach Schweden ermöglichte.
Schließlich hatte das kleine skandinavische Land darauf bestanden, die Pässe deutscher Juden mit einem "J" stempeln lassen, um diese besser identifizieren und an der Grenze abweisen zu können. Schweden kooperierte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zudem mit der Wehrmacht, lieferte Waren an Nazi-Deutschland und ließ sich dies mit Gold bezahlen. Das Land trug auf diese Weise auch seinen Teil zur Vernichtung des jüdischen Volks bei.
Und letztlich gab es auch schwedische Bürger, die sich freiwillig der Waffen-SS anschlossen. Nachdem bekannt wurde, dass ein Wächter des Konzentrationslagers Treblinka aus Schweden stammte, erreichte Stockholm eine Aufforderung aus Israel, die noch lebenden schwedischen Täter zu bestrafen und die Verbrechen aufzuarbeiten. Die schwedische Regierung allerdings erinnerte in ihrer Antwort an die im Land geltende Verjährungsfrist von 25 Jahren für Mordverbrechen.
Das Judentum gilt im heutigen Schweden als eine von fünf offiziell anerkannten nationalen Minderheiten. Das Gesetz schützt das Jiddische als Minderheitensprache. Die Beziehungen Stockholms mit Israel gestalten sich jedoch eher schwierig. Die Tatsache, dass die schwedische Regierung unter Stefan Löfvens als EU-Mitglied im Jahr 2014 den Staat Palästina anerkannte, führte zu einer diplomatischen Eiszeit.
Vorurteile und Hass gegen Juden sind Alltag in Schweden
Im Jahr 2009 gab es einen Angriff mit Molotowcocktails auf ein jüdisches Bestattungsunternehmen. Auf propalästinensischen Demonstrationen vermischt sich die Kritik an Israel immer wieder mit antisemitischen Ausrufen. Ein Tennisspiel zwischen Schweden und Israel führte zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Demonstranten.
Das Simon Wiesenthal Center in Jerusalem verhängte sogar eine Reisewarnung für Malmö. Zu gefährlich sei die Situation in der Stadt.
Eine 21 Jahre alte Jüdin hat nun dem schwedischen Aftonbladet berichtet, wie es sich anfühlt, als Bürgerin jüdischen Glaubens in einer Stadt wie Malmö zu leben. Viele ihrer jüdischen Freunde seien aus Angst vor Übergriffen inzwischen weggezogen. Sie selbst wolle sich der Angst um ihre Sicherheit zwar nicht beugen und trägt offen ihren Davidstern – dies sei sie ihrer Urgroßmutter und allen schuldig, die den Holocaust überlebt haben. Sie und andere Juden aus ihrem Umfeld seien aber seit der Schulzeit beleidigenden Witzen, Mobbing bis hin zur Körperverletzung ausgesetzt.
Der schwedische Premierminister ist der Ansicht, dass es in Schweden nur in geringem Ausmaß ein Antisemitismus-Problem gebe:
"Es ist immer noch bedauerlich, dass Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft verbleibt. Gott sei Dank in Schweden in relativ geringem Ausmaß, aber leider nimmt das Phänomen zu. Und auch wenn es wenig ist, ist es zu viel."
Das Ziel der Konferenz sind konkrete Maßnahmen, die das jüdische Leben in Schweden schützen sollen. Die ehemalige Vorsitzende des Jüdischen Zentralrats in Schweden, Lena Posner-Körösi zeigt sich optimistisch:
"Ich denke, es werden weit mehr sein als leere Worte – und das ist auch meine Hoffnung."
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mahnt indes, dass Antisemitismus keine Meinung sei.
— Jüdische Allgemeine (@JuedischeOnline) October 12, 2021
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