Добавить новость
ru24.net
World News in German
Декабрь
2024

Bürokratie, Normenkontrollrat und die schleichende Entdemokratisierung

0

Von Dagmar Henn

Vor wenigen Tagen erst meldete sich ein Gremium, von dem die Wenigsten bisher gehört haben dürften: der Nationale Normenkontrollrat. Aber diese Äußerung war lautstark; es wurde gleich mit dem "Kollaps der öffentlichen Verwaltung" gedroht, die nur verhindert werden könne, wenn ebendieser Normenkontrollrat ein Vetorecht gegen Gesetze erhielte.

Diese Meldung zu lesen, sorgte für ein unheimliches Gefühl, denn irgendwie erinnerte das sehr an den Ethikrat, der in der Corona-Zeit geradezu wie ein Deus ex Machina auftauchte, um zu erklären, was denn nun ethisch sei und was nicht; eine auf absurde Weise institutionalisierte Preisgabe persönlicher Verantwortung. Und tatsächlich ist dieser Normenkontrollrat ein ähnliches Produkt einer neoliberalen Kernvorstellung, nämlich, politische Entscheidungen durch jene von "Experten" zu ersetzen.

Schon die Bezeichnung ist irritierend, denn mit Norm ist hier Gesetz gemeint, und die eigentliche Kontrolle über die Normen liegt beim Bundesverfassungsgericht. Die Aufgabe dieses ernannten, nicht gewählten Gremiums soll der Bürokratieabbau sein; ein Wort, angesichts dessen die meisten Deutschen inzwischen in schallendes Gelächter ausbrechen dürften.

Interessant ist jedoch der Zeitpunkt der jüngsten Äußerungen. Denn erst Anfang Oktober hieß es im Zusammenhang mit der Vorstellung des Jahresberichts aus dem Munde des Vorsitzenden: "Ich würde sogar von einem verhaltenen Lob für die Regierung sprechen." In diesem Jahresbericht wurde zwar erwähnt, dass das Heizungsgesetz großen Aufwand erzeugt, aber es war nicht wichtig genug, das auch bei dieser Vorstellung zu betonen. Der Unterschied zwischen Anfang Oktober und heute: Die Ampelkoalition ist zerbrochen. Und damit ist das Thema "Bürokratieabbau" auf dem Grabbeltisch der Wahlkampfthemen gelandet.

Nun klingt der Auftrag ja auf den ersten Blick vernünftig. Wer wollte nicht weniger Bürokratie? Der Normenkontrollrat soll Gesetze vorab danach beurteilen, in welcher Höhe sie zusätzliche Belastungen auslösen. Nicht nur bei der Verwaltung, sondern auch in "der Wirtschaft". Das muss man in Anführungszeichen setzen, da es rund um diesen Begriff in Deutschland eine gewaltige Verwirrung gibt, seitdem die Nationalökonomie oder Volkswirtschaft so sehr aus der Mode gekommen ist.

Wenn man den Auftrag dieses Gremiums nämlich genau liest, heißt Wirtschaft hier: die privaten Unternehmen. Es gibt tatsächlich ein Gesetz, mit dem dieser Normenkontrollrat im Jahr 2006, also unter der ersten Regierung Merkel, eingeführt wurde. In diesem Gesetz ist vom "Erfüllungsaufwand" die Rede. Den muss man sich genauer ansehen.

Im Zusammenhang mit dem Mindestlohn beispielsweise zählten zum "Erfüllungsaufwand" nicht nur die zusätzlichen Verwaltungsarbeiten, sondern auch der Betrag, um den sich der Lohn der Beschäftigten erhöhte. Volkswirtschaftlich ist das Unfug – gerade im unteren Lohnbereich wird zusätzliches Einkommen in der Regel vollständig verbraucht; was heißt, das Geld, das an die Beschäftigten gezahlt wird, fließt in Gestalt zusätzlichen Konsums sofort wieder zurück in den wirtschaftlichen Kreislauf. Weshalb es, gesamtwirtschaftlich gesehen, einen weit größeren Nutzen darstellt, jene, die wenig haben, besserzustellen, als den ohnehin Wohlhabenden noch eine Steuererleichterung nachzuwerfen. Im konkreten Fall des Mindestlohns könnte man außerdem noch anführen, dass an anderer Stelle, etwa durch einen sinkenden Bedarf an aufstockenden Sozialleistungen, wieder Verwaltungsaufwand eingespart wird, beim Staat wie bei den betroffenen Bürgern.

Aber die Einbeziehung ebendieser Fragen wurde bei der Schaffung dieses Normenkontrollrats als "zu kompliziert" verworfen. Diese Beschränkung der Fragestellung veränderte jedoch grundsätzlich die Wirkung, die die Aussagen dieses Gremiums haben können – übrig blieb Wirtschaftslobbyismus. Nicht dass die Unternehmensvertreter nicht schon hunderte anderer Wege gehabt hätten, ihre Klagen über bestimmte Gesetze an den Mann zu bringen (erst seit den Russlandsanktionen scheint auch da grundsätzlich der Wurm drin zu sein), und es vielmehr eher die "kleinen Leute", vom Bürgergeldbezieher bis zum Handwerksmeister, sind, deren Erfahrungen und Nöte schwer nach Berlin durchdringen.

Das passt zur Vorgeschichte, oder vielmehr dazu, aus welcher Ecke das Thema "Bürokratieabbau" überhaupt eingebracht wurde. 2007 gab es dazu eine Anfrage der Linken im Bundestag: "Die Rolle der Bertelsmann-Stiftung beim Bürokratieabbauvorhaben der Bundesregierung". Die Antwort besagte erwartungsgemäß, da sei nichts. Aber tatsächlich findet sich beispielsweise ein Papier aus dem Jahr 2005 der Bertelsmann-Stiftung, das das Konzept einschließlich einiger später umgesetzter Details enthält.

Dazu muss man wissen, dass eines der Stichworte, das immer fällt, wenn von "Bürokratieabbau" die Rede ist, Digitalisierung lautet. Und Bertelsmann bietet digitale Dienstleistungen, beispielsweise über seine Tochter Arvato. Bereits 2007 hatte Bertelsmann versucht, in Würzburg ein Modellprojekt zu starten, bei dem Arvato mehr oder weniger das gesamte Bürgerbüro übernommen hätte, ist mit diesem Anlauf aber politisch gescheitert.

Es gibt seit vielen Jahren Auseinandersetzungen darüber, wer den Zugang zu diesem Markt und, das ist der entscheidende Punkt, Zugang zu den dabei verarbeiteten Daten erhält. Wenn dieser nicht gewählte Normenkontrollrat jetzt darauf drängt, die Digitalisierung zu beschleunigen, und die Möglichkeit verlangt, gegen Gesetze ein Veto einzulegen, hat das zwei Konsequenzen – zum einen ist die derzeitige Kassenlage der Kommunen eine vorzügliche Gelegenheit, einen neuen Anlauf einer Privatisierung zu versuchen; zum anderen würde das einen weiteren Machtzuwachs dieses nicht politisch legitimierten Gremiums bedeuten, das eine Steuerung nach den falschen Kriterien vornimmt.

Wobei man sich eine Tatsache vergegenwärtigen muss: Jede Verwaltung reagiert auf eine Vereinfachung bestimmter Prozesse damit, schlicht neue Informationen zu entdecken, die erfasst und verarbeitet werden müssen. So führt beispielsweise die Forderung, die Wirksamkeit sozialpolitischer Programme zu überprüfen, vor allem dazu, dass die bürokratischen Anforderungen steigen. Inzwischen verbringen Sozialarbeiter mindestens ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Dokumentationen verschiedenster Art.

Was natürlich zum Teil dem politischen Prozess entspringt, in dem die Durchsetzungschancen eines Projekts deutlich besser sind, wenn man entsprechende Zahlen vorlegen kann. Diese Zahlen muss man aber erst einmal abfragen. Was seinerseits wieder den bürokratischen Aufwand erhöht.

Genauso, wie die Umstellung öffentlicher Verwaltungen auf doppelte Buchführung den Aufwand in die Höhe getrieben hat. Diese Entwicklung läuft dann unter einem anderen Stichwort, der "Transparenz". In Wirklichkeit bleiben Politik und Verwaltung das Schlachtfeld widerstreitender gesellschaftlicher Interessen, das sie immer waren. Nur die Art und Weise, wie diese Auseinandersetzung inzwischen ausgetragen wird, simuliert eine Objektivität, die über die Inhalte hinwegtäuscht und gleichzeitig große Teile der Bevölkerung von diesem Prozess ausschließt.

Eines der realen Probleme, die gewissermaßen die Lücke geschaffen haben, in der sich derartige Institutionen wie der Normenkontrollrat breitmachen, ist das Verschwinden der klassischen "Ausbildung" in einer politischen Karriere. Über viele Jahrzehnte hinweg war eine Tätigkeit in der Kommunalpolitik die Voraussetzung, um so etwas wie ein Bundestagsmandat überhaupt ins Auge zu fassen. Das hatte vor allem einen Vorteil: Diese Leute wussten bereits aus eigener Erfahrung, wie eine öffentliche Verwaltung funktioniert. Und zwar einschließlich der internen Rangeleien und Konkurrenzen, der Konflikte, die sich aus den Zuständigkeiten der verschiedenen Ebenen (Bund/Land/Kommune) ergeben, der Eigeninteressen des Apparats. Und sie wussten, dass die mögliche Kenntnis immer unvollständig ist, denn auch in diesen Zusammenhängen gibt es das klassische Problem der Karte 1:1 – wonach die Unvollständigkeit von Information die Voraussetzung ihrer Nutzbarkeit ist.

Die meisten heutigen Bundestagsabgeordneten haben diese Kenntnisse nicht mehr. Die Zahl der Berufsfelder, aus denen sie kommen, hat sich deutlich verringert. Das ist ein Wissensverlust, der technisch nicht kompensiert werden kann, aber ermöglicht, irgendein nicht legitimiertes Gremium als Ei des Kolumbus zu verkaufen.

Jedes derartige Gremium, das, wie der Normenkontrollrat, überwiegend mit ehemaligen Staatssekretären bestückt ist, verschiebt die Wiedergabe gesellschaftlicher Interessen weiter. In der früheren Bundesrepublik wäre es beispielsweise nicht möglich gewesen, eine solche Truppe ohne Vertreter der abhängig Beschäftigten aufzustellen (auch wenn Gewerkschaftsvertreter das oft auch nur noch zum Teil sind). Auch die Beschränkung, die eine betriebs- statt einer volkswirtschaftlichen Sicht darstellt, wäre nicht ohne Weiteres gelungen.

In Wirklichkeit ist die Hauptquelle für Bürokratisierung (wenn man mal von spezifischen Meisterleistungen wie dem Heizgesetz absieht) inzwischen Brüssel, und an vielen Stellen findet sich letztlich als Hauptwirkung ein stetig höherer Druck zur Monopolisierung, weil oft die entscheidende Wirkung dieser Bürokratisierung nicht finanzieller, sondern kultureller Art ist; der Metzgermeister oder Bäcker, der es schlicht satthat, ständig mehr Papierkram um die Ohren zu haben, und deshalb aufhört. Oder all die Menschen, die lieber auf Geld verzichten, das ihnen zusteht, statt sich ins Gefecht mit der Bürokratie zu begeben, das beispielsweise für einen Wohngeldantrag geführt werden muss.

An diesem Punkt erweist sich auch die Digitalisierung, die der Normenkontrollrat als Lösung vor sich her trägt, als Falle. Weil es eben nicht wirklich stimmt, dass die Abwicklung digital immer einfacher ist. Denn da gibt es immer neue Versionen, und gerade die Umstellung ist ein ausgesprochen heikler Moment.

Nicht nur, weil Teile der Bevölkerung gerade in einer Gesellschaft mit einem hohen Anteil an Migranten sehr schnell ausgeschlossen werden, oder weil digitale Technik auf verschiedene Weisen nicht barrierefrei ist und Voraussetzungen an technische Ausstattung stellt, die nach wie vor nicht alle erfüllen können (die Katastrophe, die der virtuelle Unterricht während der Corona-Zeit war, belegt das deutlich). Nein, auch, weil deutliche Anzeichen darauf hindeuten, dass Menschen eben nicht jeden Blödsinn im zweijährigen Rhythmus neu lernen wollen, ob es dabei um den Lageplan des nächsten Supermarktes geht oder um die Bedienung eines neuen Handys.

Alles zu digitalisieren kommt nur dem jüngsten Teil der Bevölkerung zugute, der aber in Deutschland deutlich in der Minderheit ist. Würde jetzt mit Druck die Verwaltung digitalisiert, würde das nur dazu führen, dass der Leistungswille der älteren Mitarbeiter deutlich nachlässt, weil sie sich dequalifiziert fühlen; selbst wenn sich daraus in einer abstrakten Berechnung eine Einsparung an Arbeitsaufwand ergeben könnte, kann das im wirklichen Leben das genaue Gegenteil bewirken.

Im Idealfall sollte ein Parlament alle Teile der Bevölkerung und alle Regionen abbilden, damit möglichst viel unmittelbare Information in den politischen Entscheidungsprozess einfließen kann. Noch idealer wäre, wenn die Abgeordneten imstande wären, das, worüber sie entscheiden, vorab mit möglichst vielen verschiedenen Menschen zu diskutieren. Das ist längst in jeder Hinsicht völlig utopisch. Aber das, was herauskommt, wenn stetig weitere Expertengremien entstehen, mag zwar ein hübsches Feigenblättchen sein, um die Behandlung von Problemen zu simulieren, und auf unauffällige Weise Konzernen wie Bertelsmann ermöglichen, ihre eigene Agenda wirkungsvoller voranzutreiben – demokratisch ist das jedoch nicht.

Übrigens gibt es auch in Brüssel ein derartiges Gremium. Falls jemand glaubt, solche externen Berater wären von irgendeinem Nutzen, um Bürokratie zu verringern. Im Grunde ist schon die Existenz des Heizungsgesetzes ein Beleg dafür, dass die deutsche Variante ebenso nutzlos ist.

Die schlimmste Wirkung derartiger Einrichtungen ist jedoch, dass sie die Bürger noch ein Stück weiter daran gewöhnen, politische Entscheidungen in den Händen von "Experten" zu belassen. Damit tragen sie immer dazu bei, dass noch ein weiteres Stück Demokratie verschwindet. Dabei ist die Voraussetzung einer Lösung der meisten politischen Probleme, auch des Problems der Bürokratie, eine ganz andere – dass möglichst viele Menschen verstehen, dass es um ihre ureigenen Angelegenheiten geht; um die sie selbst sich kümmern müssen.

Mehr zum Thema"Gutes Essen für Deutschland" ‒ Özdemirs Ernährungsstrategie für Federfuchser und Bußprediger 




Moscow.media
Частные объявления сегодня





Rss.plus




Спорт в России и мире

Новости спорта


Новости тенниса
ATP

Брисбен (ATP). 2-й круг. Димитров поборется с Вукичем, Лехечка – с Нишиокой






МЧС: Снегопад, гололедица и сильный ветер ожидаются в Москве 1 января

Умерла актриса Выходцева, игравшая в «Москве слезам не верит» и «Каменской»

Захарова шутит: иностранцы боятся поездок в Россию из-за красоты женщин

Аномальные морозы накроют Якутию