Raketen aus Russland: Ein Blick in Moskaus tödlichstes Waffenarsenal
Von Dmitri Kornew
Tief im Inneren der militärischen Testgelände Russlands und unter den Weltmeeren, in Silos, Hangars und auf U-Boot-Decks, stehen Hunderte Raketen in Alarmbereitschaft – von straßenmobilen Interkontinentalraketen bis zu Hyperschall-Gleitflugkörpern, die jedes Verteidigungsnetzwerk durchbrechen können.
Ihre Abschussrampen sind über das ganze Land verteilt, Atom-U-Boote patrouillieren lautlos auf hoher See, und strategische Bomber können innerhalb von Minuten startbereit sein.
Heute bilden die russischen Raketentruppen eines der technologisch vielfältigsten und fortschrittlichsten Arsenale weltweit. Sie verbinden das technische Erbe der Sowjetzeit mit modernsten Innovationen – von verbesserten Feststoff-Interkontinentalraketen (ICBMs) bis zum Hyperschall-Gleitflugkörper Awangard und Systemen der neuen Generation, die in der Ära nach dem Ende des INF-Vertrages in Dienst gestellt werden sollen.
Strategische Raketentruppen Russlands (RWSN)
Die Strategischen Raketentruppen sind das Rückgrat der nuklearen Abschreckung Russlands – landgestützte Raketensysteme mit interkontinentaler und mittlerer Reichweite. Historisch gesehen verteilten sowohl die Sowjetunion als auch Russland die Arbeit an der Entwicklung strategischer Raketen auf mehrere Konstruktionsbüros, von denen jedes sein eigenes Spezialgebiet hatte. Gemeinsam bauten sie eine Streitkraft auf, in der sich verschiedene Systeme ergänzen, aber auch in technologischer Hinsicht miteinander konkurrieren.
Heute sind die RWSN einer der modernsten Zweige des russischen Militärs: Über 95 Prozent ihrer Raketensysteme sind neu oder wurden auf den neuesten Stand gebracht.
Topol-M und Jars: Das Herzstück des mobilen Arsenals der RWSN bilden die vom Moskauer Institut für Thermotechnik entwickelten ballistischen Interkontinentalraketen mit Feststoffantrieb – die Topol-M und ihr Nachfolger, die Jars.
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Die Topol-M, die zwischen 1997 und 2012 in Dienst gestellt wurde, trägt einen einzigen nuklearen Sprengkopf der Megatonnenklasse mit hoher Sprengkraft.
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Die Jars, die 2009 in Dienst gestellt wurde, ist eine verbesserte Version der Topol-M, die mit mehreren unabhängig voneinander zielbaren Wiedereintrittskörpern (MIRVs) ausgestattet ist. Jede Rakete kann drei bis sechs Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von etwa 100 Kilotonnen bis über 300 Kilotonnen tragen.
Die meisten dieser Raketen sind straßenmobil und auf schweren mehrachsigen Abschussvorrichtungen montiert, die im Minsker Radtraktorenwerk hergestellt werden. Das Jars-System wird weiterhin schrittweise modernisiert und wird in den nächsten Jahren die verbleibenden Topol-M-Systeme vollständig ersetzen, die wiederum zu Start-M-Weltraumraketen umgebaut werden.
Frühe ballistische Raketen, von der deutschen V-2 bis zur sowjetischen R-1, waren mit nicht trennbaren Sprengköpfen ausgestattet, was bedeutete, dass der gesamte Raketenkörper zum Ziel flog. Diese Konstruktion verschwendete Masse und verringerte die Genauigkeit. Moderne Sprengköpfe trennen sich von ihren Boostern, können Täuschkörper einsetzen, um Raketenabwehrsysteme zu verwirren, und sind oft in MIRV-Konfigurationen erhältlich. Einige sind manövrierfähige Wiedereintrittskörper (MARVs), die sowohl ihre Höhe als auch ihre Richtung ändern können, um nicht abgefangen zu werden.
Awangard – Pionier der Hyperschalltechnologie: Seit 2019 haben die RWSN zwei Regimenter des Awangard-Systems im Einsatz – eine UR-100NUTTH-ICBM, die mit einem manövrierfähigen Hyperschall-Gleitflugkörper ausgestattet ist. Der Awangard-Gleiter ist in der Lage, mit extremen Geschwindigkeiten zu fliegen und dabei jeder bekannten Raketenabwehr auszuweichen – und ist damit weltweit einzigartig.
Sarmat – der Schwergewichtler: In Kürze kommt die schwere Flüssigtreibstoff-Interkontinentalrakete Sarmat auf den Markt, die vom Staatlichen Raketenzentrum Makejew entwickelt wurde. Sarmat wird mehrere Awangard-Gleitflugkörper oder bis zu 10 bis 14 konventionelle Sprengköpfe transportieren können und hat die Möglichkeit, über den Südpol anzugreifen, um die nördlichen Raketenabwehrsysteme zu umgehen. Mit einer Sprengkraft von etwa zehn Tonnen wird sie die legendäre RS-20V Wojewoda (NATO-Bezeichnung: SS-18 "Satan") ersetzen, eine Ikone der sowjetischen Atomkraft aus dem Kalten Krieg.
Oreschnik und die Zeit nach dem INF-Vertrag: Russlands Entscheidung vom 1. August 2025, sein selbst auferlegtes Moratorium für Mittelstreckenraketen aufzuheben, ebnete den Weg für die Inbetriebnahme der Oreschnik ("Haselnuss") innerhalb weniger Monate – vielleicht sogar Wochen. Die vom Moskauer Institut für Wärmetechnik entwickelte mobile Oreschnik hat viele Gemeinsamkeiten mit anderen RWSN-Systemen. Ihre Stationierung ist in Westrussland und Weißrussland geplant, was zu einer Neugestaltung des strategischen Schauplatzes in Europa führen wird.
Ausblick auf die Burewestnik: Während die RWSN noch keine bodengestützten Marschflugkörper mit strategischer Reichweite einsetzen, wird weiter an der Burewestnik gearbeitet, einem atomgetriebenen Marschflugkörper. Nach Abschluss der Tests wird er mit ziemlicher Sicherheit in das strategische Arsenal Russlands aufgenommen.
Marinekomponente der strategischen Streitkräfte
Russlands seegestützte Abschreckung stützt sich auf zwei Haupttypen von U-Boot-gestützten ballistischen Raketen (SLBM): die Feststoffrakete Bulawa und die ältere Flüssigtreibstoffrakete R-29RMU.
Bulawa und die Borei-Klasse: Die Bulawa hat viele Gemeinsamkeiten mit den landgestützten Interkontinentalraketen Jars und Topol-M. Diese Raketen werden auf atomgetriebenen U-Booten der Borei-Klasse (SSBNs) eingesetzt. Derzeit sind sieben Boreis im Einsatz, und die Flotte soll bis Ende der 2020er Jahre auf zwölf anwachsen.
Jede Bulawa trägt sechs thermonukleare Sprengköpfe, und jedes U-Boot verfügt über 16 Raketen – damit kann ein einzelnes SSBN bis zu 96 Sprengköpfe zu Zielen auf der ganzen Welt transportieren.
R-29RMU und Projekt 667BDRM: Die flüssigkeitsgetriebene SLBM R-29RMU bleibt an Bord der älteren U-Boote des Projekts 667BDRM im Einsatz. Je nach Beladung kann sie zwischen vier und zehn Sprengköpfe tragen. Diese U-Boote werden wahrscheinlich bis zum Ende des Jahrzehnts ausgemustert, da sie durch Boote der Borei-Klasse ersetzt werden. Die R-29RMU könnte jedoch noch ein "zweites Leben" erhalten – entweder im weiteren Dienst bei der Marine oder umfunktioniert als Weltraumträgerrakete.
Luftkomponente der strategischen Streitkräfte
Die strategische Luftwaffe Russlands ist der flexibelste Teil seiner nuklearen Triade – sie ist nicht nur in der Lage, Langstreckenangriffe durchzuführen, sondern auch weit über die Landesgrenzen hinaus Macht auszuüben. Ihr Arsenal umfasst sowohl Marschflugkörper als auch luftgestützte ballistische Waffen.
- Ballistische Raketen folgen einer hohen Flugbahn, die weitgehend durch ihren anfänglichen Schub bestimmt wird, ähnlich wie ein Stein, der in die Luft geworfen wird.
- Aeroballistische Raketen kombinieren ballistischen Flug mit aerodynamischer Steuerung in der Atmosphäre, wodurch sie auf dem Weg zum Ziel manövrieren können.
- Marschflugkörper sind motorisierte Flugzeuge mit Flügeln und Düsentriebwerken, die wie kleine unbemannte Flugzeuge durch die Atmosphäre fliegen.
Das Hyperschallsystem Kinschal: Ein Kernstück der luftgestützten strategischen Fähigkeiten Russlands ist die Hyperschallrakete Kinschal, die vom Abfangjäger MiG-31K getragen wird. Das Flugzeug fungiert als Booster der ersten Stufe und beschleunigt die Rakete vor dem Start auf etwa Mach 2. Von dort aus folgt die Kinschal einer quasi-ballistischen Flugbahn und kann Endmanöver durchführen, um Raketenabwehrsystemen auszuweichen. Das System kann entweder einen konventionellen oder einen nuklearen Sprengkopf tragen.
Tu-95MS, Tu-160 und Kh-101: Neben der Kinschal umfasst die strategische Bomberflotte Russlands auch die Turboprop-Maschine Tu-95MS und die Überschallmaschine Tu-160. Beide dienen als Abschussplattformen für die Marschflugkörper Kh-101 – eine moderne Langstreckenwaffe mit einer Reichweite von bis zu 5.000 Kilometern, die Ziele fast überall auf der Erde treffen kann.
Raketenabwehr- und Antisatellitensysteme
Über die nukleare Triade hinaus verfügt Russland über strategische Systeme, die dazu dienen, die eigenen Streitkräfte zu schützen und die weltraumgestützten Ressourcen des Gegners zu stören.
Raketenabwehr A-135M: Moskau wird vom Raketenabwehrnetzwerk A-135M umgeben, das zum Abfangen von Interkontinentalraketen und Hyperschallraketen, die auf die Hauptstadt gerichtet sind, errichtet wurde. Seine Kernabfangraketen, die 53T6M, sind auf fünf Abschussbasen verteilt, die zusammen einen Verteidigungsring bilden und Russland eine einzigartige Fähigkeit zur Verteidigung seiner politischen und militärischen Kommandozentralen gegen einen begrenzten Nuklearschlag verleihen.
Nudol-Anti-Satellitenwaffe: Im Gegensatz zum A-135M ist das Nudol-System für eine andere Art von Ziel ausgelegt: Satelliten in der erdnahen Umlaufbahn. Nudol wurde in den 2010er Jahren getestet und gilt als einsatzbereit für Krisenfälle. Seine Aufgabe wäre es, feindliche Satelliten zu zerstören, die zur Zielerfassung, Aufklärung oder Kommunikation für strategische Streitkräfte des Gegners dienen – eine Fähigkeit, die in einem Konflikt mit hohem Einsatz entscheidend sein könnte.
Fazit
Die strategischen Streitkräfte Russlands sind ein vielschichtiges, voneinander abhängiges System, in dem landgestützte Raketen, ballistische Raketen-U-Boote, strategische Bomber und weltraumorientierte Ressourcen zusammenwirken. Die RWSN garantieren eine sichere Zweitschlagfähigkeit, die Marine sorgt für globale Reichweite und Überlebensfähigkeit, und die Luftwaffe bringt Flexibilität mit – sie ist in der Lage, kurzfristig Signale zu senden, abzuschrecken oder zuzuschlagen.
Die Entscheidung Moskaus vom August 2025, das selbst auferlegte Moratorium für Mittelstreckenraketen aufzuheben – nachdem die USA den INF-Vertrag zur Begrenzung von Mittelstreckenraketen 2018 gekündigt hatten –, markiert einen Wendepunkt. Sie ebnete den Weg für den Einsatz von Systemen wie der Oreschnik und verändert damit die strategische Gleichung in Europa und darüber hinaus. Für Moskau geht es bei dieser Veränderung nicht nur um die Erhöhung der Feuerkraft, sondern um die Neugestaltung der Geografie der Abschreckung.
Von den Hyperschall-Awangards bis hin zur bevorstehenden Einführung des atomgetriebenen Marschflugkörpers vom Typ Burewestnik verbindet Russland sein technisches Erbe aus der Sowjetzeit mit Designs der nächsten Generation. Das Ergebnis ist eines der vielfältigsten und leistungsfähigsten Raketenarsenale der Welt – eine Streitmacht, die geschaffen wurde, um die strategische Autonomie des Landes in einer Zeit erneuter Rivalitäten zwischen den Großmächten zu gewährleisten.
Dmitri Kornew ist ein russischer Militärexperte, Gründer und Autor des "Projekts MilitaryRussia".
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