Die Friedensbewegung kann sich in dieser politischen Lage keine Spaltung leisten
Von Felicitas Rabe
Anfang Juli hatten die USA angekündigt, ab 2026 US-Marschflugkörper des Typs "Tomahawk" mit einer Reichweite bis zu 2500 Kilometern sowie Mehrzweckraketen vom Typ SM-6 und neu zu entwickelnde Überschallwaffen in Deutschland zu stationieren. Im Interview mit der Moderatorin der Berliner Friko (Berliner Friedenskoordination), Laura von Wimmersperg, fragte RT zunächst nach dem Motiv der USA, zum jetzigen Zeitpunkt neue Raketenstationierungen für Deutschland anzukündigen.
Die Berlinerin ist seit 1980 in der Friedensbewegung aktiv. Als die NATO im Dezember 1979 die Stationierung von Atomwaffen in Westdeutschland und vier anderen europäischen Ländern beschloss, gehörte sie zu den Gründerinnen der ersten Friedensinitiative in Westberlin. Damals seien innerhalb kurzer Zeit viele weitere Friedensgruppen in der Stadt entstanden, in Gewerkschaften, Kirchengemeinden, Schulen und Betrieben. Gemeinsam wollten sie die Stationierung von US-Atomraketen verhindern. Die ehemalige Lehrerin, die in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiern wird, war seit der Zeit durchgehend als Friedensaktivistin tätig.
Die neu angekündigten US-Raketenstationierungen sind keine Überraschung
Für viele Aktivisten aus der Friedensbewegung käme diese Ankündigung aus den USA nicht überraschend und dafür gebe es zwei Gründe, erklärte Laura von Wimmersperg. Zum einen sei schon seit längerem bekannt, dass die in Büchel in der Eifel stationierten US-Atomwaffen nur aus dem Grund zurückgenommen worden seien, um gegen modernisierte, d. h. leistungsfähigere, weiterreichende Raketen ausgewechselt zu werden. In Büchel protestieren Friedensaktivisten seit Jahren mit Kundgebungen und Blockaden gegen die gefährlichen US-Raketen in Deutschland, so von Wimmersperg.
Und zum anderen, haben die USA seit einigen Jahren alle Abrüstungsverträge aufgekündigt – "sehr zu unserer Beunruhigung", so die Friedensaktivistin. Insbesondere haben die USA auch den 1987 zwischen Michail Gorbatschow und Ronald Reagan vereinbarten INF-Vertrag über den Abbau von nuklearen Mittelstreckenraketen am 2. August 2019 einseitig aufgelöst. Russland habe daraufhin ein Moratorium eingeführt. Dieses sollte so lange gelten, bis die USA diese Art Waffen wieder ins Spiel bringen würden. Der Punkt sei jetzt erreicht. Das Abkommen untersagte die Produktion, Neuentwicklung und Tests an landgestützten Waffensystemen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Außerdem verpflichteten sich die Vertragspartner dazu, die amerikanischen Pershing-II-Raketen und die sowjetischen SS-20 binnen drei Jahren nach Vertragsabschluss zu vernichten.
Konsequenzen der neuen US-Waffenstationierung in Deutschland
Auf die Frage nach den Konsequenzen solcher neuen US-Waffenstationierung in Deutschland erklärte von Wimmersperg, solche Waffen brächten natürlich keinen Schutz. Im Gegenteil bedeuteten sie eine Erhöhung der Kriegsgefahr, nicht nur für Deutschland. Würde ein dritter Weltkrieg nicht verhindert werden können, dann wäre das Schlachtfeld in Europa. Zur trügerischen Sicherheit von Waffen stellte die Friedensaktivistin fest:
"Wir brauchen nicht mehr Waffen, wir brauchen Diplomatie und Verhandlungen, um die Welt sicherer zu machen. Aber Diplomatie gehöre gegenwärtig nicht mehr zum Strategiepool."
Besonders empört sei sie darüber, dass ein so bedeutungsvoller Beschluss nicht im Bundestag behandelt würde. Dort müsse die Entscheidung diskutiert werden, wenn Deutschland, weiterhin die Bezeichnung "Demokratie" für sich in Anspruch nehmen wolle. Dabei sei dies auch nicht vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossen worden, er habe die Entscheidung nur begrüßt. Tatsächlich sei das von den USA beschlossen worden. Was aber hieße, "der Bundeskanzler überlässt die Verantwortung, die er für die deutsche Bevölkerung mit seinem Amtseid übernommen hat, einer fremden Macht."
Wie regiert die deutsche Friedensbewegung auf die neu geplanten US-Raketenstationierungen?
Über die deutsche Friedensbewegung von heute zu sprechen und dabei gerecht zu urteilen, sei im Rahmen eines kurzen Interviews nicht möglich, so die Berlinerin. Eine Friedensbewegung sei per se nicht homogen, die Vielfalt sei ihre Stärke. Aktuell gäbe es jedoch nicht mehr viele Friedensaktivisten, und diese würden auch nicht mehr die Gesellschaft repräsentieren. Zum Alter und den Erfahrungen der Friedensaktivisten erklärte von Wimmersperg: "Wir sind fast alle weißhaarig, was etwas über unser Alter aussagt, aber keine Rückschlüsse auf unsere politische Arbeit erlaubt. Die sich noch in der Friedensbewegung engagieren, haben über die Jahre Erfahrungen gesammelt, die der gegenwärtigen Arbeit nützt und nicht unterschätzt werden sollte."
Doch in der Russland-Frage sei man gespalten: Für einen Teil der Friedensbewegung – dieser Teil würde moralisch argumentieren, Krieg dürfe nicht sein – sei der russische Präsident Wladimir Putin der Aggressor. Die anderen Friedensaktivisten, zu denen Laura v. Wimmersperg sich bekenne, "orientieren sich zur Beurteilung des Konfliktes an der Realität."
Putin habe im Laufe der Jahre viele Friedensangebote gemacht, die vom Westen immer wieder zurückgewiesen oder nicht berücksichtigt worden seien. Der Präsident der Russischen Föderation habe sich beispielsweise sieben Jahre darum bemüht, den Krieg zu vermeiden. Noch im Dezember 2021 habe er einen "beeindruckenden Friedensvorschlag" an den Westen gerichtet. Laut von Wimmersperg beruhe sein Vorschlag auf dem Grundgedanken "die Sicherheit des einen Staates darf nur so weit gehen, wie er die Sicherheit eines anderen Staates nicht verletzt."
Aufmerksame Beobachter der politischen Vorgänge, hätten schon vor 2014 mit Sorge festgestellt, dass das "Feindbild Russland" wieder erfolgreich aus der Mottenkiste der psychologischen Kriegführung geholt worden sei, so von Wimmersperg. Besonders die Medien hätten dieses neue Feindbildnarrativ wirksam verbreitet. Bis auf den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, habe sich bislang kein westlicher Politiker um einen Friedensdialog bemüht:
"Hat sich eigentlich ein westlicher Politiker irgendwann aufgemacht, Putins Friedensbereitschaft auf die Probe zu stellen? Meines Wissens nach nur in den letzten Wochen der ungarische Präsident Viktor Orbán, und seine Erfahrungen scheinen dem Feindbild nicht zu entsprechen."
Kooperation mit der Querdenker-Friedensbewegung?
Am 3. August veranstaltet die Initiative Querdenken 711 in Kooperation mit anderen Initiativen eine große Friedensdemonstration unter dem Motto "Für Frieden und Freiheit." In welchem Verhältnis steht Laura v. Wimmersperg zu den Friedensaktivisten der sogenannten Querdenkerbewegung, will RT am Ende des Gesprächs noch wissen.
Bei einer Frage, von so grundsätzlicher Bedeutung wie Frieden oder Krieg, könne man sich Spaltung oder Ausgrenzung nicht leisten, antwortet die Berliner Friedensaktivistin. Sie habe vor 1 1⁄2 Jahren versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen der "alten" und der "neuen" Friedensbewegung. Vorbehalte der "Alten" Friedensbewegung gegenüber den neuen Gruppen seien nicht mit ein paar Gesprächen abzubauen, das sei ein längerer Prozess. Eine große und vielfältige Friedensbewegung erreiche man nur mit dem Fokus auf ein gemeinsames Ziel:
"Die Friedensbewegung der Achtzigerjahre konnte nur deshalb so groß werden, weil sie sich auf ein Ziel fokussiert hatte."
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